Eine Rückkehr in den Profisport als Mutter? Es ist im modernen Profisport keine Seltenheit. Eine Besonderheit aber bleibt es. Erst recht wird es zur Besonderheit, wenn es sich um einen Teamsport handelt. Kim van de Velde, Mädchenname: Behrens, hat seit etwas mehr als einem Jahr einen Sohn. Und weil sie Beachvolleyball spielt, verlangt der kleine Harvey nicht nur ihr oder ihrem Mann so dies und das ab. Sondern gewissermaßen auch ihrer Partnerin auf dem Spielfeld. Die in Bremen aufgewachsene Kim van de Velde, die seit einiger Zeit mit ihrem Mann in Den Haag lebt, fand diese verständnisvolle Mitspielerin: in Bremen. Zumindest ein bisschen.
Kim van de Velde und Chenoa Christ sind quasi das Team mit dem lokalen Anstrich beim Stopp der German Beach Tour vor dem Hauptbahnhof. Sie wollen lange in Bremen bleiben, in doppelter beziehungsweise dreifacher Hinsicht. Zum Einen ist es für beide ein großes Familientreffen. Van de Veldes Familie lebt in Bremen, Christs in Stubben bei Bremerhaven. Zum Zweiten gibt es in der kommenden Woche gleich noch ein zweites German-Beach-Turnier am Bahnhof, der Sand wird also noch eine Weile vorm Übersee-Museum liegen. Und vor allem wollen die beiden natürlich so lange wie möglich im Turnier bleiben, erst mal möglichst bis Sonntag. Am Sonntag werden Halbfinale und Finale gespielt.
Der erste Turnier-Schritt dorthin ist gemacht. Am Freitag besiegte das Duo, das man der Einfachheit halber wohl "das Bremer Duo" nennen darf, Sandra Ferger und Nele Schmitt in zwei Sätzen (21:15,21:11). Damit hat Team Bremen, an Position drei gesetzt, an diesem Sonnabend zwei Chancen, ins Halbfinale einzuziehen. Entweder besiegt es dafür um 12 Uhr das an Nummer zwei gelistete Paar Leonie Körtzinger/Lea Sophie Kunst, oder es muss sich um 16.30 Uhr in einer Art Hoffnungsrunde durchsetzen. Dann ginge es gegen Melanie Gernet und Anne Krohn.
Im Freitagspiel konnte gut beobachtet werden, wie sich Kim van de Velde und Chenoa Christ gegenseitig anfeuern und unterstützen, wie sie harmonieren. Sie haben vor rund einem halben Jahr zueinandergefunden: Kim van de Velde, die 30-jährige erfahrene frühere EM-Zweite, die sich als Mutter für ein Comeback im Sand entschieden hatte – und die um acht Jahre jüngere Chenoa Christ, die einst eine Zeitlang bei Bremen 1860 Volleyball gespielt hat. "Kim ist offen, ehrlich, direkt, das mag ich", sagt Chenoa Christ, "und sie bringt eine gewisse Ruhe mit, wenn es eng wird in den Sätzen und es 20:20 steht." Dann sage die Ältere der Jüngeren sinngemäß: Entspann' dich! Spiel' einfach das, was du kannst!
Kim van de Velde erwidert nur allzu bereitwillig das Lob. "Trotz ihrer Jugend nimmt Chenoa die Situation mit mir als Mutter an, sie hat Verständnis für jegliche Situation." Dass Harvey, inzwischen 14 Monate alt, für ungeplante Situationen aller Art sorgen kann, liegt auf der Hand. Da funktioniert Profisport in einem Team nur, wenn das stimmt, was gemeinhin als Teamchemie bezeichnet wird. Kim van de Velde und Chenoa Christ trainieren gemeinsam vorwiegend in Bochum, die Eine pendelt zwischen Den Haag und Bochum, die Andere hat sich dort eine Wohnung genommen. Als Beach-Profis können sie durch ihren Förderstatus aktiv sei, beide sind bei der Polizei an-und für den Sport freigestellt, van de Velde in Baden-Württemberg, Christ in Hessen.
Das Turnier in Bremen ist für das Duo eines der ersten Wettkämpfe seit der Babypause von Kim van de Velde, die einst an der Ronzelenstraße zur Schule ging und aus einer durchaus besonderen Bremer Sportfamilie kommt. Bruder Kevin könnte es demnächst mit den Profifußballern des 1. FC Union wieder in den Europacup, vielleicht sogar in die Champions League schaffen. Bei Unions 2:1-Sieg Ende Januar im Weserstadion köpfte er das Siegtor. Für seine Schwester ist der Auftritt im Sand vorm Bahnhof nicht nur das erste Bremer Beach-Turnier, das sie in ihrer langen Karriere mal spielen darf. Es soll auch ein weiterer Entwicklungsschritt sein für das Duo. "Natürlich müssen wir uns noch finden, natürlich machen wir noch Fehler", sagt sie. Am Freitag wirkte es so, dass sie sich innerhalb eines Matches wieder ein bisschen mehr gefunden haben. Zufall oder nicht: Im zweiten Satz dominierten sie ihre Gegnerinnen deutlich mehr als im ersten. Im ersten Satz stand lange ein ausgeglichener Punktestand an der Tafel, im zweiten zogen sie schon bald davon.
Es soll jetzt Schritt für Schritt vorangehen. Noch wissen sie gar nicht so recht, wo sie leistungsmäßig im Vergleich mit den anderen deutschen Teams stehen. Bislang waren sie nur bei Turnieren in Den Haag und Brasilien gestartet. Demnächst folgen Reisen zu den Turnieren in Espinho/Portugal und Jurmala/Lettland – und weitere Stationen der German Beach Tour bis hin zu den Deutschen Meisterschaften am Timmendorfer Strand.
Wie weit nach oben sie in die nationale und internationale Spitze noch vorstoßen werden, lässt sich derzeit noch nicht seriös sagen. Kim van de Velde kann nur sagen, dass die Karriere mit Kind in etwa so laufe, wie sie sich das während der Karriere ohne Kind vorgestellt hat. Herausfordernd, aber schaffbar. Sie strahlt und lacht viel am Rande des Turniers. Sie macht nicht gerade den Eindruck einer jungen mehrfach belasteten Mutter, der alles über den Kopf zu wachsen scheint. "Wir arbeiten hart, wir sind fit", sagt sie. Das sei sie übrigens schon bald nach der Geburt von Harvey gewesen, sagt Chenoa Christ bewundernd. "Kim ist nach der Pause mit einem Sixpack zurückgekommen", sagt sie. Der Sechserträger mit Getränken war damit nicht gemeint.