Dieser Vorfall sorgte für Aufsehen: Bei einem Kreisligaspiel in Bremerhaven wurde der Schiedsrichter getreten, beleidigt und mit dem Tod bedroht. Die Bilanz des Spiels zwischen SFL Bremerhaven III und FC Sparta Bremerhaven II: vier Rote Karten, ein Spielabbruch, ein Polizeieinsatz.
Das war ein schlimmer Fall. Aber ein Einzelfall war es nicht. Die Liste ähnlicher Vorfälle ist lang, auch im Raum Bremen. Mal sind Gegenspieler das Opfer, mal Schiedsrichter. Manchmal passiert es auf dem Spielfeld, mal auf dem Parkplatz – wie zuletzt in Findorff, als ein 15-Jähriger nach Spielende von einer Gruppe angegriffen und verletzt wurde.
Allein für das Spieljahr 2020/21 hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bundesweit bei fast 1700 Spielen „besondere Vorkommnisse“ registriert, dabei kam es in rund 1000 Fällen zu Gewalt und 755-mal zu Diskriminierungen. 193 Amateur- und Jugendspiele mussten abgebrochen werden.
Wer es unbedingt möchte, kann diese Zahlen kleinrechnen – schließlich gibt es jährlich mehr als 400.000 Spiele unter dem Dach des DFB. Die meisten gehen also ohne „besondere Vorkommnisse“ über die Bühne. Wer sich der Wahrheit nähern möchte, sollte das Kleinrechnen lieber lassen. Denn eine erdrückend hohe Zahl an Vorkommnissen taucht in der Statistik nicht auf, weil sie nicht gemeldet werden.
Als Beispiel taugt ein Vorfall aus Bremen, passiert bei einem Jugendspiel in Walle. Schon mehrfach verwarnt, meckerte und foulte ein Jugendlicher weiter. Der junge Schiedsrichter, der eine sehr gute Leistung ablieferte, zeigte die Rote Karte. Der Übeltäter wütete und schrie: „Bei der Ehre meiner Mutter: Den Schiri bringe ich um!“ Folgen hatte das keine: Nicht mal der eigene Trainer schritt ein. Einen Sonderbericht gab es auch nicht. Als wäre nichts passiert.
Anders beim Vorfall in Bremerhaven: Dort verhielten sich alle Seiten vorbildlich. Die Mannschaft des SFL Bremerhaven beschützte den Schiedsrichter und rief die Polizei. Spieler und Trainer von Sparta schämten sich für ihre gewaltbereiten Mitspieler und entschuldigten sich. Spartas Vereinsvorsitzender Michael Söhlke handelte für alle transparent: Der Haupttäter wurde aus dem Verein geworfen und der Migrationshintergrund aller Beteiligten offen benannt. Denn: Sparta ist ein Verein aus der Mitte der Gesellschaft, hier wird Integration gelebt, auch in der Flüchtlingskrise leistete man hervorragende Arbeit. Wird dieser Ruf aus den eigenen Reihen so beschädigt, muss man seine Werte noch lauter formulieren und sich deutlich distanzieren.
Die Fußballverbände scheuen dieses Thema. Sobald es politisch werden könnte, herrscht schnell Ruhe. Immerhin leistet sich der Bremer Verband aber eine „Zentrale Anlaufstelle für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle“. Das hilft den Opfern, verhindert aber nicht die Taten.
Im Alltag, an der Basis, spielen deshalb die Amateur- und Jugendtrainer eine wichtige Rolle: Es ist nicht nur ihre Aufgabe, die Werte ihres Vereins vorzuleben – sie allein entscheiden auch, wer auf dem Platz steht und wer nicht. Der Sieg im nächsten Spiel sollte nicht wichtiger sein als die Werte, für die man steht. Warum also wieder die aufstellen, die lauter und aggressiver sind und immer meckern? Mitunter sogar als Kapitän? Der Volksmund spricht hier vom Bock, der zum Gärtner wird. Schließlich braucht man sich doch: den Gegner, den Schiedsrichter, die Kollegen.
Die Trainer, die sich trauen, die ständigen Übeltäter aus den eigenen Reihen nicht mehr aufzustellen oder zu fördern, sollten mit Fair-Play-Preisen überhäuft und von ihren Vereinen unterstützt werden, auch wenn dann nicht mehr die fußballerisch stärkste Elf aufläuft. Zum Amateursport gehören Respekt, Freude und Miteinander. Wer das nicht verstehen will, sollte für sein Tun gar nicht erst eine Bühne bekommen.
Auch die Fußballverbände müssen handeln: Dass im Fall Bremerhaven noch kein Urteil gesprochen wurde, obwohl eine Sperre des Haupttäters von bis zu zehn Jahren im Raum steht, wirkt nicht abschreckend. Wann, wenn nicht hier, hätte ein Sportgericht mal schnellen Prozess machen müssen?