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Kreisliga-Eklat in Bremerhaven "Ich hatte Angst vor dem Messer"

Der Fall sorgte für Schlagzeilen: In Bremerhaven wurde ein Kreisligaspiel abgebrochen, es gab vier Platzverweise, einen bedrohten Schiedsrichter und einen Polizeieinsatz. Was der Schiedsrichter alles erlebte...
11.11.2021, 17:05 Uhr
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Von Jean-Julien Beer

Auf den Abend, der so schrecklich enden sollte, hatte sich Kevin Lehmann eigentlich gefreut. Der Fußball-Schiedsrichter aus Bremerhaven macht eine Ausbildung zum Mechatroniker, Spezialgebiet Lastwagen, das ist stressig. Am Wochenende geht er noch einem Nebenjob nach. Auch das macht müde. An diesem Sonnabend war er vormittags noch Arbeiten und freute sich auf das Fußballspiel am Abend. Es stand zwar nur die Kreisliga an, SFL Bremerhaven III gegen FC Sparta Bremerhaven II. Aber: mit Flutlicht, und das auch noch auf dem schönen neuen Kunstrasenplatz des SFL. Kevin Lehmann, 20 Jahre, legte sich zu Hause noch kurz hin und fuhr dann zum Spiel. Dass sein vermeintlicher Höhepunkt dieses Wochenendes zu einem Tiefpunkt für die Bremerhavener Fußballszene ausarten würde, ahnte er nicht.

Dreißig Minuten waren in diesem kleinen Stadtderby gespielt, es stand 1:1, als sich die Dinge plötzlich überschlugen. Lehmann hatte einen Freistoß für die Gastgeber gepfiffen, etwa 20 Meter vor dem Tor. Ein klares Foul. Lehmann spielt selbst Fußball, als Torhüter in der Bezirksliga bei der TSV Wulsdorf. Er ist seit 2015 Schiedsrichter und sagt: „Ich weiß schon, was ich da pfeife. Ich finde es besser, wenn Spieler selbst Schiedsrichter sind, weil sie ein anderes Gespür mitbringen.“ 2017 wurde er als „Nachwuchsschiedsrichter des Jahres“ ausgezeichnet. Und jetzt, in der 31. Minute dieses Spiels, wollte er alles richtig machen: „Ich stellte mich vor den Ball und fragte den Schützen, ob er eine Mauer will. Er wollte nicht. Also habe ich laut gesagt, dass der Ball frei ist.“ Die Gastgeber führten den Freistoß schnell aus und trafen zur 2:1-Führung. Der Nationalspieler Didi Hamann schoss auf diese Weise mal ein Tor, es war das letzte im alten Wembleystadion, Deutschland gewann durch diesen schnell ausgeführten Freistoß  mit 1:0 gegen England. Lehmann wusste das. Aber wer weiß so etwas beim FC Sparta II?  

Jedenfalls nicht jeder. „Warum zählt das Tor, du Hurensohn!“, dieser Ruf eines Spartaspielers flog ihm als Erstes um die Ohren, als Lehmann den Treffer gab. Er zeigte dem Spieler die Rote Karte. Der Übeltäter trat Lehmann sofort gegen die Leiste. Auch am Schiedsrichtertrikot wurde er gepackt. Einige Spieler, Trainer und Betreuer des SFL gingen bei diesem Tumult dazwischen.

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Lehmann entschied sich, das Spiel abzubrechen. Es war eine spontane Reaktion, er hatte so etwas noch nie gemacht und wusste gar nicht, wie ein Spielabbruch geht. Lehmann pfiff ab und ging zur Mittellinie. Er schrieb etwas auf seine Notizkarte, als weitere Spieler von Sparta kamen, ihn bedrohten und beleidigten. Lehmann verteilte dafür drei weitere Rote Karten – und sah aus dem Augenwinkel einen Mann mit Messer, der von der Werbebande aus kam, die neben der Sparta-Bank stand. Lehmann erzählt: „Ich weiß nicht, ob das ein Zuschauer war, ein verletzter Spieler oder ein Betreuer. Aber er hatte ein gezogenes Messer in der Hand.“ Ein Spieler von SFL habe das gesehen und auf den Mann eingeredet. „Schau mal hier“, habe der Messermann ihm noch zugerufen, sagt Lehmann, „da habe ich den Ernst der Lage erst begriffen. Ich hatte Angst vor dem Messer.“ Noch heute fragt er sich: „Wer geht denn mit einem Messer zu einem Kreisligaspiel? Das war schockierend.“ Auch hier, betont er, habe er sich durch die Spieler des SFL beschützt gefühlt: „Sonst wäre das vielleicht anders ausgegangen.“

Ein Telefonanruf am Mittelkreis

Der Trainer des SFL bot an, die Polizei zu rufen. Lehmann stimmte zu. Noch immer stand er unter Beschimpfungen am Mittelkreis und suchte ein Handy – er wollte seinen Onkel anrufen. Er selbst hatte auf dem Platz kein Telefon dabei, ein verletzter SFL-Spieler lieh ihm eins. Lehmanns Onkel ist Mitglied im Kreisschiedsrichterausschuss, und der junge Schiedsrichter wollte wissen, was er denn jetzt machen muss, bei so einem Abbruch. Der Onkel rief erst mal den Schiedsrichterobmann an und klingelte danach wieder am Mittelkreis durch, eine skurrile Situation mitten im Tumult. Aber Lehmann wusste nun, dass er Sonderberichte schreiben und Anzeige erstatten soll.

Die Polizei kam nach wenigen Minuten. Die Spieler der Gastgeber seien bei ihm geblieben, die Mannschaft von Sparta sei gegangen. Lehmann hörte noch Drohungen wie „Wir warten auf dich, dann wirst du sehen, was du davon hast!“ Die Polizisten nahmen Zeugenaussagen auf und begleiteten Lehmann in die Kabine, wo er einen Strafantrag unterschrieb. Die Polizei begleitete ihn zu seinem Auto. Einer der Rotsünder von Sparta habe sich vor der Kabine noch bei ihm entschuldigt. Auch Spartas Trainer schrieb ihm später eine Entschuldigung.

Fünf Sonderberichte am späten Abend

Zurück in seiner Wohnung musste Lehmann fünf Sonderberichte schreiben und hochladen. Vier für die Roten Karten, einen wegen des Messermanns. Doch sein Laptop machte das nicht mit. Er musste sich ein Gerät von seiner Tante ausborgen, machte die Dokumente fertig und ging ins Bett. Am nächsten Morgen bekam er lauter Nachrichten, weil Fotos der Sonderberichte im Internet kursierten. Der Fußball-Verband will noch aufklären, wie das passieren konnte. Lehmann sagt, er könne sich das nicht erklären.

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In den nächsten Tagen meldeten sich viele Leute bei ihm. „Man kennt sich ja in Bremerhaven“, sagt Lehmann, der in seinem Viertel zwischen lauter Eishockey-Spielern der Fischtown Pinguins wohnt. Deshalb trägt er im Tor auch die Nummer 35, wie der frühere Pinguins-Torhüter Jerry Kuhn. Lehmann ist ein Sportfan, als Junge war er mal Einlaufkind bei Werder, an der Hand von Mesut Özil.

Trotz des Vorfalls will er weiter pfeifen. „Wenn ich aufhöre, wäre es wieder ein Schiedsrichter weniger“, meint er, „das würde nichts besser machen.“ Natürlich müsse man als Schiedsrichter  etwas aushalten, es werde gemeckert und geschrien, aber das sei nie so eskaliert wie an diesem Abend. Inzwischen hat er eine Mail bekommen von einem der Täter, der um Entschuldigung bittet. Er werde das wohl annehmen, meint Lehmann, er sei kein nachtragender Mensch. Solche Entschuldigen gebe es öfter nach Kreisligaspielen: „Wenn einer Mist gebaut hat, sagt er immer, er habe das nicht gewollt.“ Seine Antwort laute dann immer: „Du hast es aber trotzdem getan.“

Zur Sache

Harte Konsequenzen

Nach dem Spielabbruch am 30. Oktober wird der Haupttäter vom FC Sparta Bremerhaven nun aus dem Verein geworfen. "Wir dulden dieses Verhalten nicht", sagt Vereins-Chef Michael Söhlke. Vom Kreissportgericht droht zudem eine Sperre zwischen drei Monaten und zehn Jahren, das Urteil steht noch aus. Auch wegen der drei weiteren Platzverweise drohen längere Sperren durch das Sportgericht. Davon losgelöst ermittelt die Polizei.

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