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Interview mit Tempomacher "Und du, du bist halt nur der Hase"

Sie sorgen für Tempo und für Windschatten. Und doch kennt sie kaum jemand. Hasen im Sport haben viel Verantwortung, viel Arbeit – und wenig Ruhm. Das besondere Interview mit einem anonymen Gesprächspartner.
10.04.2023, 08:46 Uhr
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Von Olaf Dorow

Es ist Ostern, da stehen Hasen hoch im Kurs. Sie auch?

Hase: Haha, sehr witzig. Nee, wir stehen überhaupt nicht hoch im Kurs. Hasen, die die Eier verstecken und die ganzen Ostersachen, die sind ja so süß. Jeder kennt sie, jeder mag sie. Aber wir Hasen im Sport, die wir die ganze Arbeit machen: Wir interessieren doch keinen. Sie rufen doch auch bloß an, weil gerade Ostern ist und Sie eine Hasen-Story brauchen.

Das klingt ja sehr frustriert.

Ohne Tempomacher gäbe es keine Rekorde bei den großen Meetings und Stadtmarathons. Kein Rekord, kein Spektakel, so sieht‘s doch aus heutzutage. Wir sorgen also fürs Spektakel, sozusagen an vorderster Front.

Weil Sie an der Spitze des Feldes im Wind stehen und der Star sich schonen kann? 

Er kann Kräfte sparen, nicht nur körperlich. Den ganzen mentalen Stress, den nehme ich ihm doch erst mal ab. Ich kümmer‘ mich um die exakten Zwischenzeiten, ich achte darauf, dass schön gleichmäßig und nicht so ruckelig gelaufen wird. Ich ziehe den Champion mit durch, ich ziehe ihn, so lange es irgendwie geht.

Er ist halt der Champion...

... ja, aber wir sind oft besser als die Läufer, die Silber und Bronze bekommen. Bekommen wir aber nicht, weil wir uns so verausgaben müssen, dass wir aussteigen und nicht mehr ins Ziel kommen.

Die Hasen sind fast so gut wie die Champions?

Manchmal sind sie sogar genauso gut. Kennen Sie zum Beispiel Sammy Korir?

Äh...

... sehen Sie! Sie kennen ihn nicht, obwohl er damals beim Berlin-Marathon fast Weltrekord gelaufen ist. Er war als Hase für den Supermann Paul Tergat verpflichtet worden. Hat Tergat praktisch durch die Stadt geschleppt. Und dann ist Korir bis zum Schluss durchgelaufen. Im Zielspurt hat ihn Tergat gerade mal um eine Sekunde geschlagen und sich für die neue Weltbestzeit feiern lassen. Eine Sekunde! Im Marathonlauf!!

Der arme Hase!

Naja, Korir hat ja wenigstens noch ganz gut verdient und auch ein bisschen was vom Ruhm abgekriegt. Aber die vielen namenlosen Hasen, die auch zuverlässig ihren Job machen, die hätten etwas mehr Wertschätzung verdient.

Das Leben ist selten gerecht, und der Sport leider auch nicht. Meinen Sie das? 

Da sagen Sie was. Die im Schatten sieht man nicht, heißt es ja so schön. Dabei sind wir noch nicht mal die im Schatten. Wir sind sozusagen die, die den wichtigen Schatten spenden.

Wie sind Sie eigentlich so ein professioneller Hase geworden?

Wie das so ist im Leistungssport: Wenn du was ziemlich gut kannst, dann ist das nicht immer nur zu deinem Vorteil. Bei mir hatten die Trainer schnell gesehen, dass sie gar keine Stoppuhr brauchen. Wenn die gesagt haben: Renn' jetzt mal pro Kilometer drei Minuten, dann wussten sie: Den brauch' ich nicht mehr anzutreiben. Oder zu bremsen.

Ihr gutes Zeitgefühl wurde ihnen quasi zum Verhängnis?

Es haben ja nicht nur die Trainer mitgekriegt, sondern auch die Meeting-Direktoren und die Manager. Also wurde ich als Hase engagiert. Wie ein Schauspieler mit einer, nun ja: Hasenscharte. Der darf auch selten den Liebhaber spielen oder so. Der spielt meistens den armen Tropf, dem übel mitgespielt wird.

Mit Verlaub: Es drängt sich ein bisschen der Verdacht auf, dass Sie Ihr limitiertes Leistungsvermögen schönreden wollen.

Da würde ich Sie mal bitten, dieses Klischee nicht auch noch zu bedienen. Ist zwar bei uns nicht ganz so schlimm wie bei den eitlen Filmdiven. Aber was glauben Sie wohl, was sich so mancher dieser tollen Spitzenläufer einbildet: Hach, ich bin ja eh der Schnellste heute! Ich bin der Gepard, und du, du bist halt nur ein Hase! Das kann schon wehtun, wenn die sich so aufführen.

Die Laufszene wird doch immer als große Familie beschrieben...

...das mag für irgendwelche Volksläufe auch stimmen. Stimmt ja so ganz generell vielleicht auch. Aber bei uns da vorne an der Spitze, da geht's um Tempo, Tempo, Tempo. Um Money, Money, Money. Da darfst du nichts falsch machen.

Apropos: Was ist mit falschen Hasen?

Ihr Journalisten lasst aber auch kein Wortspiel aus, was? Also, in dem Sinne, wie Sie es meinen, gibt es bei uns eigentlich keine falschen Hasen.

Und uneigentlich?

Es kann natürlich sein, dass ein Hase mal unabsichtlich was Falsches macht. Dass er an einer Straßenkreuzung falsch abbiegt, das Feld hinterherrennt und der neue Streckenrekord futsch ist.

Dann kriegt der Hase – Verzeihung für das Wortspiel – was hinter die Löffel, oder?

Kann passieren. Dann war der Hase schuld und nicht der Veranstalter, der nicht in der Lage war, die Strecke vernünftig auszuschildern oder mit Streckenposten zu versehen. Alles schon vorgekommen.

Ich muss wirklich sagen: Als Hase haben Sie es auch nicht immer leicht.

Sag' ich doch. Frohe Ostern allerseits!

Das Gespräch führte Olaf Dorow.

Zur Person

Als Hasen

bezeichnet man im Sport jemanden, der engagiert worden ist, um an der Spitze des Feldes zunächst für das nötige Tempo zu sorgen, damit am Ende für andere die gewünschte Zeit oder ein neuer Rekord herauskommt. Die Hasen steigen zumeist irgendwann aus und sind weitgehend unbekannt. Dem WESER-KURIER ist es gelungen, einen professionellen Hasen zu befragen. Er möchte allerdings anonym bleiben.   

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