Die Entwicklung auf der Karriereleiter von Martin Schultze lässt seinen nächsten Schritt nur logisch erscheinen. Und trotzdem kommt der Wechsel des 50-Jährigen an die sportliche Spitze des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) wohl nur für ihn selbst nicht völlig überraschend. Gerade erst sind die Frauen des Bremer HC zum zweiten Mal in die Bundesliga aufgestiegen, verlässt sie nun mitten in der Saison ihr Trainer. Nicht nur das: Der Verein verliert demnächst auch seinen langjährigen und sehr engagierten Geschäftsführer.

Martin Schultze Ende August bestens gelaunt während der Saisonvorbereitung der Frauen des Bremer HC.
Krönung der Karriere
"Dieser Posten beim DHB ist so ziemlich das Einzige, weswegen ich von hier weggehen würde", sagt Martin Schultze am Morgen nach seiner Bestätigung durch das DHB-Präsidium. Er verhehlt nicht, dass er mit einem weinenden Auge gehe, aber dass das kombinierte Amt Vorstand Sport/Sportdirektor beim DHB die Krönung seiner Karriere sei. Beim Bremer HC sieht man den Verlust von Martin Schultze erwartungsgemäß mit gemischten Gefühlen. "Wir freuen uns wahnsinnig für ihn", sagt der zweite Vereinsvorsitzende Sarat Maitin, "das ist eine Riesenauszeichnung für ihn." Für den Klub aber stelle der Wechsel "eine Herausforderung dar, weil der BHC natürlich betroffen ist und Martin mehrere Rollen hatte". Mit ihm geht zum 1. November nicht nur der Trainer und der Sportliche Leiter Hockey, sondern auch der Geschäftsführer.
Sarat Maitin kann und will Details zur künftigen Besetzung der Positionen noch nicht mitteilen. "Über allem steht, dass der sportliche Erfolg auch weiterhin gewährleistet sein muss", sagt er und stellt klar: "Die Verantwortlichen hatten mit Martin eine Entwicklungsidee des Klubs – und daran wird sich ohne ihn nichts ändern." Nun werde geschaut, welche Chancen sich aus der neuen Situation ergeben. Und positiv sei auf jeden Fall, "dass wir künftig näher dran sein werden am DHB".
Betroffenheit hatten Schultze und Maitin am Mittwochabend unter den Bundesliga-Spielerinnen ausgemacht, mit denen sie nach dem Training zusammensaßen und die sie nach der Entscheidung des DHB umgehend informierten. Wochenlang hatten außer Martin Schultze nur Personen aus seinem nahen Umfeld von einem möglichen Wechsel gewusst. "Der engste Vorstand war eingeweiht", sagt er, "dieser Anstand gehört sich."
Suche nach Nachfolgern beginnt
Ein bisschen gemunkelt worden sei im Verein schon, als bekannt geworden war, dass der bisherige DHB-Sportdirektor Christoph Menke-Salz ausscheiden werde. So gesehen sind Schultze und die anderen Verantwortlichen sogar froh, dass jetzt Klarheit herrscht. Nun könne intensiv und offen nach Nachfolgern von Martin Schultze gesucht werden. Es werden wohl mehrere sein, denn einen Eins-zu-Eins-Ersatz für ihn werde es nicht geben, glauben alle. Die Kombination aus Trainer, Sportlicher Leitung und Geschäftsführer in einer Person dürfte wohl einmalig sein. Nicht zu vergessen, dass Schultze auch in Sachen Internat für die Sportbetonte Schule an der Ronzelenstraße und viele BHC-Großprojekte die treibende Kraft war. Die Chancen stünden nicht schlecht, dass die Inbetriebnahme des Internats noch möglich sei, so lange er für den BHC arbeitet, sagt der 50-Jährige.

Im Vorjahr verabschiedete der Geschäftsführer Martin Schultze in Anwesenheit von Nana Stubbe den langjährigen BHC-Vorsitzenden Christian Stubbe – demnächst wird auch Schultze in der ersten Reihe des Vereins Geschichte sein.
„Ich denke, es gibt nicht viel Bessere in Deutschland“: Das hatte der langjährige BHC-Vorsitzende Christian Stubbe, der im Vorjahr sein Amt an Henning Mühl übergab, schon 2015 gegenüber dem WESER-KURIER über Martin Schultze gesagt. Davon scheint auch das Präsidium des DHB überzeugt zu sein. Für den Trubel im Alltag gewohnten Familienvater werden die Tage auch beim DHB mehr als ausgefüllt sein. Schultze verantwortet beim DHB künftig alle Bereiche des Leistungssports, alle Auswahlteams, -trainer und Stützpunkte. Er kümmert sich um die Geschäftsstelle, um wissenschaftliche Projekte, um Fördermittel für den Verband beim Deutschen Olympischen Sportbund und beim Bundesinnenministerium. Und er vertritt den DHB nicht nur in Deutschland, sondern auch gegenüber dem europäischen und dem Weltverband.
Erster Einsatz in Argentinien
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit steht Schultzes erste Auslandsreise an, wenn er die Nationalmannschaften zu den Pro-League-Spielen nach Argentinien begleitet. "Ich will in die Teams hineinhören", sagt er. Das muss er auch, denn der Noch-Bremer, der seinen Wohnort Achim als Dienstort ausgehandelt hat und deshalb nicht in die Nähe der DHB-Zentrale in Mönchengladbach ziehen muss, will das deutsche Hockey weiter entwickeln und mit den Mannschaften bei Olympia 2024 eine gute Rolle spielen. Sein Vertrag mit dem DHB läuft erst einmal bis zum 31. Oktober 2024. "Aber ich will den DHB bis dahin überzeugt haben, dass ich auch der Richtige für Olympia in Los Angeles bin", sagt Schultze so selbstbewusst, wie ihn alle kennen. Er freut sich bereits jetzt, dass er die Olympischen Spiele von innen miterleben darf und nicht mehr nur vorm Fernseher. Aus Schultzes Umfeld heißt es, dass für ihn damit ein Traum in Erfüllung gehe.
Martin Schultze gilt als erfolgreichster Vereinstrainer Europas. Er hat mit deutschen Topteams Meisterschaften und europäische Titel gesammelt, schon bevor er 2005 den Weg nach Bremen-Oberneuland zur BHC-Jugend fand. Zwischen 2006 und 2013 führte er als Trainer den Uhlenhorster HC Hamburg in der höchsten Spielklasse Europas zu drei Euro-Hockey-League-Siegen.
Ab 2013 arbeitete der ehemalige Bundesligaspieler ausschließlich für den BHC: als hauptberuflicher Geschäftsführer, weiterhin als Trainer für die Jugend, zwei Jahre als Trainer auch für die Männer, ab 2015 für die Frauen des Vereins. Meisterschaftstitel sammelte Schultze in Bremen ebenfalls. Beinahe regelmäßig triumphierte er mit der weiblichen Jugend auf nationaler Ebene, im Oktober zum Ende seiner Amtszeit beim BHC könnten noch ein oder zwei weitere Titel folgen. "Das ist das eine große Ziel", sagt er. Das andere sind viele Punkte der Frauen, um im möglichen Abstiegskampf der Bundesliga eine gute Ausgangsposition für die Rückrunde im Frühjahr 2023 zu schaffen. 2019 stiegen die Frauen nach nur einem Jahr wieder ab, das soll kein zweites Mal passieren.
Vielleicht ist es ganz gut, dass die BHC-Frauen ihr letztes Hinrunden-Spiel am 22. Oktober beim Berliner HC bestreiten und nicht zuhause. Unabhängig vom Ergebnis dürfte diese Partie eine sehr emotionale werden. Tränen dürften selbst dann fließen, wenn die Bremerinnen gewinnen sollten.