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Präzisionsfirma mit weltweitem Ruf Künstler im Schiffbau: Rennjachten made in Bremerhaven

Vom Holzboot zum „fliegenden Holländer“: Rennjachten made in Bremerhaven gibt es inzwischen mehr als 1000 auf der Welt. Die Firma Judel & Vrolijk Design hat sich seit Jahrzehnten auf den Bau spezialisiert.
03.01.2021, 05:00 Uhr
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Von Helmut Stapel

Wenn atemberaubende Segelbilder von Wettbewerben wie dem America’s Cup um die Welt gehen, stehen vor allem die Hochleistungsjachten im Mittelpunkt. Hightech-Material, bis aufs Gramm berechnete Gewichtszahlen, ausgetüftelte Rumpfformen – über den Sieg entscheidet auch das perfekte Zusammenspiel technischer Komponenten. Was aber nur wenige Menschen wissen: Einer der ­weltweit gefragtesten Jachtdesigner entwickelt die „Rennziegen“ am Weserdeich in Bremerhaven.

Torsten Conradi ist Segler durch und durch. Der 64-Jährige steht am bodentiefen Fenster der Geschäftsräume von Judel & Vrolijk Design am Weserstrandbad in Bremerhaven und beobachtet die Schiffe auf dem Wasser. Seit 1986 ist er Partner der beiden Firmengründer. Die Handschrift der drei Jachtdesigner findet sich mittlerweile bei weltweit mehr als 1000 Segel- und Motorschiffen. „Wir sind mit dem Segelsport gewachsen. Vor 40 Jahren war das Hochsee-Regattasegeln eher eine Art Amateursport. Heute ist das ein absoluter Profisport“, sagt Torsten Conradi. Dementsprechend haben sich die Schiffe verändert. „Wir arbeiten im Rennbereich nur noch mit Carbonfaser-Rümpfen und sogenannten Prepregs – also vorgefertigten Kohlefasermatten mit Harzanteil, die praktisch im Ofen gebacken werden“, erklärt Torsten Conradi.

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Was sich profan anhört, ist hohe Schiffbaukunst. Die schwarzen Kohlefasermatten werden hochpräzise über oder in ein 1:1-Modell der zukünftigen Rumpfform gelegt. Dann wird die Gesamtkonstruktion im Ofen zwischen 80 und 90 Grad erhitzt. Harze und Kohlefasern verbinden sich. Ein anteiliger Aushärter im Material sorgt für die nötige Stabilität. „Wir haben hier bei Judel & Vrolijk vor gut 40 Jahren damit angefangen. Das hat uns international große Beachtung gebracht. Heute ist das Standard“, erzählt Torsten ­Conradi.

Das Segelschiff erkennen können

Auf diese Art werden komplette Jachten von Judel & Vrolijk hergestellt – vom Fahrtensegler über die Rennjacht bis zum 60-Meter-­Segelschiff. Produzieren lassen die Jachtdesigner unter anderem in Italien, Finnland, Australien und auch Deutschland. „Früher haben wir auch im Rennbereich normale ­Segelschiffe gebaut“, schmunzelt Torsten Conradi. „Betrachtet man sich die heutige Generation von America’s-Cup-Schiffen, dann muss der Laie da schon zweimal hingucken, um das Segelschiff zu erkennen. Inzwischen fahren die Rennjachten auf Tragflächen – sogenannten Foils.“

Foils bewirken, dass das gesamte Schiff ab einer bestimmten Geschwindigkeit aus dem Wasser hebt und nur noch auf den seitlichen Kufen fährt. „Als ich Mitte der 1980er-Jahre in den Rennjachtbau eingestiegen bin, war ja schon nicht mehr viel in den Booten, um Gewicht zu sparen“, sagt Conradi und lacht. „Heutzutage ist gar nichts mehr drin – damit die Jachten möglichst leicht sind.“ Es gehe in der Rennjachtkonstruktion gar nicht mehr um das eigentliche Boot. Wichtig sei inzwischen, wie schnell sich der Rumpf aus dem Wasser hebe und auf die Kufen komme, so Torsten Conradi.

Trotzdem entwickelt und baut Judel & Vrolijk auch weiterhin andere, herkömmliche Rennjachten. „Die TP 52 ist unser Klassiker. Gut 16 Meter lang und kostet mehrere Millionen Euro“, erzählt der Schiffbauingenieur. Um eine Rennjacht für diese Klasse zu konstruieren und an den Start zu bekommen, muss die Jacht bestimmte, vorgeschriebene Parameter erfüllen. „Die Hauptabmessungen sind festgelegt – das sogenannte Box Rule als Rahmen für das mögliche Design der Jacht“, so Conradi.

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Mit den Jahren habe sich aber nicht nur das Aussehen der Rennjachten verändert, sondern vor allem auch die Geschwindigkeit. „Das waren früher reine Verdränger-Jachten, die aber mit Hilfe des Spinnaker-Segels auch schon mal ins Surfen kommen und bis zu 15 Knoten erreichen konnten“, erzählt Torsten Conradi. Heutzutage würden Rennjachten durch die Kufen-Bauweise bis zu 40 Knoten an Geschwindigkeit machen.

Als Familienschiff konstruiert

Sein eigenes Segelboot erreicht nicht ganz so viel Tempo. Das ist auch kein Wunder, denn es ist aus Mahagoni-Holz. Torsten Conradi hat es vor 32 Jahren selbst als Familienschiff konstruiert. „Hätte ich damals schon gewusst, dass wir mal vier Kinder haben, wäre es sicher größer als zwölf Meter geworden. Wir haben es dann ESTA genannt – nach den Anfangsbuchstaben unserer Kinder. TESA wäre auch möglich gewesen – aber das war uns zu kommerziell“, sagt er und beginnt wieder zu lachen.

Obwohl Judel & Vrolijk aktuell am englischen Schiff für den America‘s Cup arbeiten, steigen sie parallel in einen völlig neuen Sektor der Schiffskonstruktion ein: Passagierschifffahrt. „Wir arbeiten daran, ein Segelschiff mit innovativen Segelsystemen zu entwickeln. Es geht bei dem Schiff auch um den maximalen Nutzen der Hydrodynamik“, sagt Torsten Conradi. Viel will er noch nicht verraten, aber eines zumindest schon: die Länge. Der Passagiersegler der Americas’s-Cup-Designer wird rund 75 Meter lang sein. Und klar ist auch jetzt schon: Er wird selbstverständlich im Ofen gebacken.

Info

Zur Sache

Ein Werk von Torsten Conradi

Der 15. Juli 2016 war ein schöner Sommertag. Und für die Segelkameradschaft Das Wappen von Bremen (SKWB) war es ein ganz besonderer Tag – der Tag, an dem im Europahafen ihr viertes Flaggschiff unter dem Namen „Wappen von Bremen“ getauft wurde. Taufpatin Dorothea Claussen zerschmetterte die obligatorische Champagnerflasche jedoch nicht am sensiblen Rumpf der neuen „Wappen von Bremen“ – sie zerschlug sie kurzerhand an einer eigens aufgebauten Eisenplatte. Ein Segelschiff im Wert von rund einer Million Euro soll nicht gleich den ersten Schaden am Rumpf erleiden, noch bevor es in See gestochen ist.

Unter den feiernden Gästen an jenem 15. Juli 2016 war übrigens auch Torsten Conradi, der federführende Konstrukteur und Geschäftsführer der Bremerhavener Konstruktionsfirma Judel & Vrolijk. Sie hatte die Pläne angefertigt, nach denen die Yachtwerft Benjamins in Emden den Rumpf aus Aluminium herstellte und der Jachtservice Siemer im ostfriesischen Barßel-Reekenfeld anschließend die neue „Wappen von Bremen“ komplett ausbaute. Die alte, die dritte Jacht gleichen Namens der 1934 gegründeten SKWB, war 33 Jahre über die Meere gefahren und hatte aus Holz bestanden. Zwischen Baubeginn und Taufe des neuen Flaggschiffs der SKWB lagen 18 Monate. (jgr)

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