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Sportlehrer schlagen Alarm "Ein nicht gesunder Körper belastet die Seele"

Der Sportunterricht in der Krise: Mangel an Lehrkräften und sinkende motorische Fähigkeiten bei Schülern alarmieren Experten. Ein Gespräch über die Gründe und mögliche Lösungen.
22.11.2024, 14:59 Uhr
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Von Stefan Freye

An den Schulen geht es um einen Doppelauftrag: Erziehung durch und zum Sport. Was kann der Sportlehrer-Verband dazu beitragen?

Fred Brauweiler: Es geht um eine Brücke zwischen der beruflichen Praxis der Lehrer und Lehrerinnen, dem Lehrplan und der Bildungspolitik. Insgesamt fördern wir die Sportlehrenden und bauen Kooperationen auf, etwa mit dem Landessportbund. Daneben ist es ja erkennbar, dass die motorischen Fähigkeiten von Schülern und Schülerinnen in den letzten Jahren rapide abgenommen haben. Da haben wir eine Public Relation-Funktion gegenüber der Politik und den Behörden. Wir sind schließlich auch im Runden Tisch Schulsport vertreten, unter anderen mit der GEW, Elternvertretern und der Schulbehörde.

Gerrit Lubitz: Die motorischen Fähigkeiten sind echt ein Problem und stellen alle Beteiligten vor eine Herausforderung. Die Situation hat sich mit Corona sogar noch einmal verschärft. Mittlerweile sind ja alle Bremer Schüler mit Tablets ausgestattet. Diese Maßnahme war wichtig. Aber sie hat auch dazu geführt, dass die Schüler noch mehr in der digitalen Welt unterwegs sind, und dabei bewegen sie sich auf keinen Fall.

Ist die Erziehung durch und zum Sport derzeit also besonders wichtig?

Lubitz: Nirgendwo fällt so viel Unterricht aus wie im Sport, und nirgendwo wird so viel Unterricht durch fachfremde Kräfte erteilt. Nirgendwo wird auch Verweigerung so akzeptiert wie im Sport. Dort schreiben Eltern leichter eine Entschuldigung. Es wird viel mehr respektiert, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher sagt: Ich habe keine Lust zum Sport.

Hat der Sportunterricht also ein Imageproblem?

Brauweiler: Sämtliche Organisationen, etwa die Kultusministerkonferenz oder der DOSB, sprechen davon, wie wichtig der Sportunterricht ist. Die Präambeln klingen alle ganz hervorragend.

Aber es gibt offenbar einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis?

Lubitz: Das ist abhängig vom Teil der Gesellschaft. Manche finden Sport super, auch weil sie gute Erfahrungen in der Schule gemacht haben, andere sehen die Bedeutung nicht. Es ist aber auch abhängig von der Schule selbst. Ich wurde auch schon von einem Kollegen gefragt: Ihr habt doch in der dritten, vierten Stunde Sport – kann Schüler XY da nicht Englisch nachschreiben? Da geht es nicht um ein schlechtes Bild vom Sport an sich, sondern um seine Bedeutung. Insgesamt sind die Ganzheitlichkeit des Menschen und die Ergebnisse der Hirnforschung noch nicht in der Gesellschaft angekommen. Früher hat man gesagt: In einem gesunden Körper wohnt eine gesunde Seele. Heute müsste es heißen: Ein nicht gesunder Körper belastet auch die Seele.

Brauweiler: Alle großen Organisationen sind sich darüber einig, dass Sport sehr wichtig ist, also auch der Sportunterricht. Wenn ich das aber herunterbreche auf die Politik, wird es schon kritisch: Dort wird nicht immer gesehen, welche Wirkung der Sport-Unterricht hat. Es geht dabei ja nicht nur um gesundheitsfördernde Bewegung, sondern etwa auch um Verständigung und einen Fair-Play-Gedanken, der in die Gesellschaft mitgenommen wird.

Lubitz: Die Jugendlichen sollen fit gemacht werden für den Arbeitsmarkt, und das sieht zunächst einmal andere Fächer wie Deutsch oder Mathematik vor. Das ist so in den Köpfen drin.

Wir reden also über ein gesellschaftliches Problem?

Brauweiler: Die Gesellschaft muss die Antworten finden, inwieweit der Bedarf umgesetzt wird. Jedem ist ja deutlich, was gerade gesundheitlich mit Kindern und Jugendlichen passiert. Jeder sieht die Aggressivität und die Fremdenfeindlichkeit, dieses: Nicht miteinander umgehen können. Einen Zugang zu diesen Problemen bietet im besonderen Maße der Sportunterricht.

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Der DSLV fordert mehr Sportunterricht und mehr ausgebildete Sportlehrer. Was heißt das konkret?

Lubitz: Mindestens zwei Stunden pro Woche für alle Schüler in der Oberstufe und in den Berufsschulen. Darunter sollten es drei Wochenstunden durchschnittlich sein.

Brauweiler: Es fehlt sonst ja an allen Ecken, an Spielplätzen und Freiflächen. Da haben die Kinder kaum Möglichkeiten.

Und wie sieht es tatsächlich aus?

Brauweiler: Neben dem Gymnasial-Bereich ist nur der Grundschulbereich noch ganz gut bedient, allerdings auch oft mit fachfremdem Personal.

Warum ist eine entsprechende Ausbildung eigentlich so wichtig?

Brauweiler: Weil es in vielen Sportarten um eine technische Basis geht. Nur so schafft der Sportunterricht die Möglichkeiten, eine Disziplin vernünftig auszuüben. Wer zum Beispiel nicht rückwärts oder seitwärts laufen kann, kann auch nicht mit Freude Volleyball, Handball oder Basketball spielen und geht dem Sport schnell wieder verloren.

Lubitz: Wozu studiert jemand mehrere Jahre Sport, wenn es auch mit drei Wochenendcrashkursen gehen sollte? Ein Sportlehrer ist insgesamt breiter aufgestellt: Du machst die motorischen Dinge, Sportbiologie, Sportsoziologie und lernst die pädagogisch-didaktischen Inhalte.

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Wird der Schulsport von dem im Sommer wieder eingeführten Sportstudiengang an der Bremer Uni profitieren?

Lubitz: In fünf Jahren, wenn wir Glück haben.

Und ob dann das Geld für die Einstellung von mehr Fachpersonal vorhanden ist, ist wohl auch fraglich?

Lubitz: Aber es gibt diese Begründungszusammenhänge. Auf die Frage nach mehr Sportlehrern heißt es oft: Wir würden ja einstellen, aber wir finden keine. Aus anderen Bundesländern strömen die Leute nicht unbedingt in Scharen nach Bremen.

Dann fällt also ein Argument weg?

Lubitz: Momentan werden insgesamt nur 60 Leute ausgebildet. Ganz schnell wird das Argument also nicht wegfallen, denn du brauchst natürlich viel mehr Sportlehrer.

Wie viele Sportlehrer fehlen denn?

Brauweiler: Bis auf dem Gymnasial-Bereich, der eine starke Lobby hat und auf etwa 95 Prozent kommt, gibt es überall recht große Lücken. Die exakten Zahlen lassen sich allerdings nur schwer ermitteln, da Lehrkräfte immer in zwei Fächern unterrichten. Wenn sie überwiegend im zweiten Fach tätig sind, reduzieren sich die real erteilten Sportstunden drastisch.

Wieso wird der Gymnasial-Bereich eigentlich bevorzugt?

Brauweiler: Das ist schwer zu erklären und auch nicht hinnehmbar. Vielleicht lautet eine Erklärung, dass aufs Gymnasium die Schüler gehen, die später einmal Sport studieren.

Das Gespräch führte Stefan Freye.

Zur Person

Fred Brauweiler (Präsident) und Gerrit Lubitz (Vizepräsident) zählen zu den führenden Kräften des Landesverbandes Bremen im Deutschen Sportlehrerverband. Der DSLV trifft sich an diesem Sonnabend zu seinem Verbandstag in Bremen.

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