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Mediator Lou Richter „Große Spieler sprechen Konflikte klar an“

Bei der Fußball-WM war es im deutschen Team wieder zu sehen: Schwelende Konflikte können Erfolg im Sport verhindern. Ein Gespräch mit Mediator Lou Richter über Hansi Flicks Dilemma und Otto Rehhagels Stärke...
04.01.2023, 12:26 Uhr
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„Große Spieler sprechen Konflikte klar an“
Von Jean-Julien Beer

Herr Richter, Sie sind davon überzeugt, dass aus Konflikten Erfolge werden können – wird Deutschland also 2024 Fußball-Europameister?

Lou Richter: Da bin ich tatsächlich bester Dinge. Diese Weltmeisterschaft in Katar war für die deutsche Mannschaft wie ein schlimmer Unfall, es ist maximal unglücklich gelaufen. Fällt gegen Japan das 2:0, wozu es reichlich Gelegenheiten gab, wären wir vielleicht weit gekommen. Natürlich hatte die Mannschaft viele Defizite, aber die hatten andere europäische Teams auch. Wenn es jetzt gelingt, die Konflikte, die bei diesem Turnier in der Mannschaft entstanden sind, zu lösen – dann wird sie besser abschneiden. Es ist ein wesentlicher Sinn von Konflikten, dass man durch sie Verbesserungen herbeiführen kann. Und dann kann Deutschland auch Europameister werden.

Sie sind vielen Leuten als Sportmoderator bekannt. Wie kam es, dass Sie nun eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator gemacht haben?

Ich habe mich schon in den 80er-Jahren damit beschäftigt, als das Thema in den USA aufkam. Durch meinen beruflichen Einstieg beim Radio habe ich es aber zurückstellen müssen. 2018 hörte ich von einem Ski-Bundestrainer, dass ihm bei seiner Tätigkeit die Ausbildung als Mediator sehr nutzen würde. Das war für mich der Grund, mich wieder mehr damit zu beschäftigen und auch die Ausbildung zum Mediator zu machen. Dabei entstand die Idee, ein Buch über Konflikte und Lösungen zu schreiben, vor allem über die GERNE-Methode, die ich dabei entwickelt habe.

Was verbirgt sich dahinter?

Man sollte sich gerne mit Konflikten auseinandersetzen, weil die das Potenzial haben, positive Veränderungen anzustoßen. GERNE ist in dem Fall eine Abkürzung für gemeinsam, ergebnisorientiert, rücksichtsvoll, neugierig und einvernehmlich. Das ist mein kleiner Wegweiser, um einen Konflikt mindestens zu einem Kompromiss und optimalerweise zu einem Konsens zu bringen.

Sie loben im Buch den langjährigen Bremer Trainer Otto Rehhagel. War seine Art, Konflikte zu moderieren, ein Grund für seinen sportlichen Erfolg?

Liebe deinen nächsten wie dich selbst, das ist ein christlicher Gedanke, den es schon sehr lange gibt. Otto Rehhagel hatte das im Umgang mit seinen Spielern drauf. Im Umgang mit Journalisten überhaupt nicht, ganz im Gegenteil, da gab es gnadenlose Konflikte. Was man aus seinen Mannschaften aber immer hört: Als Spieler hat er einen auch mal in die Pfanne gehauen, aber als Mensch hat er einen behandelt wie ein rohes Ei. Seine Spieler konnte er kritisieren, aber als Menschen waren sie ihm heilig. Wenn ein Trainer dieses Gefühl vermittelt, bringt das unglaublich viel in der Kommunikation, weil er dadurch drei wesentliche Prinzipien beherzigt: niemanden auszuschließen, auch nicht Typen wie Mario Basler oder Uli Borowka damals bei Werder, die sich selbst manchmal ausgeschlossen haben. Der zweite Punkt ist Wertschätzung. Und dann natürlich Gerechtigkeit. Rehhagel war ein sehr gerechter Trainer, dessen Entscheidungen die Spieler nachvollziehen konnten. Er hat interne Konflikte moderiert und war auch dadurch erfolgreich.

Welchen Einfluss haben schwelende Konflikte in einer Mannschaft auf den Ausgang eines Spiels?

Das hat ganz extremen Einfluss. Nehmen wir den FC Bayern Anfang der 90er-Jahre, als Leute wie Stefan Effenberg und Olaf Thon überhaupt nicht miteinander klarkamen, obwohl sie super Fußballer waren. Wenn es in einer Mannschaft Konflikte gibt, die nur zur Seite geschoben, aber nicht angefasst werden, behindert das den Erfolg. Andererseits muss es in einer Mannschaft Konflikte geben, weil sie antreiben. Reibung fördert die Leistung. Ein gutes Beispiel für die negative Dynamik ungelöster Konflikte sind die zerstrittenen Franzosen bei der Fußball-WM 2010 oder Deutschland als Titelverteidiger 2018. Beide flogen früh raus. Es gab Grüppchenbildung und damit nicht mehr das Gefühl der Zugehörigkeit. Allein die Debatte um Mesut Özil nach seinem Foto mit Erdogan: Joachim Löw und Oliver Bierhoff erklärten das Thema vor der WM 2018 als abgehakt, aber das war es nicht. Es loderte in der Mannschaft und war ein großer Konflikt. Wie auch jetzt in Katar, als es im Team Konflikte gab, wie man sich in der Werte-Debatte verhalten soll. Da wollten sich nicht alle den Mund zuhalten. Solche Konflikte, die man nicht löst, sind immer leistungsmindernd.

Dabei gilt Bundestrainer Hansi Flick als Meister des Moderierens. Warum hat er das nicht hinbekommen?

Ich glaube, das wurde zu groß für ihn – und er hat zu wenig Hilfestellung bekommen. Es wurde fast erwartet, dass Fußballer Probleme lösen, die dafür ausgebildete und bezahlte Politiker nicht lösen können. So, wie es beim DFB stattgefunden hat, war es eine Überforderung der Mannschaft. Eine Woche vor dem ersten WM-Spiel gab es nur weltpolitische Themen im DFB, viele haben mitgeredet – das war selbst für einen Hansi Flick in der Kürze der Zeit nicht zu moderieren.

Was sagt es über die heutigen DFB-Stars aus, dass sie bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 früh und konfliktreich gescheitert sind?

Ein Trainer braucht immer eine gewisse Anzahl an Führungsspielern, um Konflikte in den Griff zu bekommen. Das ist für die Hygiene einer Mannschaft sehr wichtig. Große Spieler brauchen dafür keinen Trainer. So entstanden früher die Geschichten, dass erfolgreiche Mannschaften der 1970-er und 80-er Jahre sich ohne den Trainer mal richtig einen geballert haben. Oder beim WM-Sieg 1974, als es Gerd Müller und Franz Beckenbauer waren, die ohne Bundestrainer Helmut Schön intern Tacheles geredet haben, um ein frühes Turnier-Aus zu verhindern. Große Spieler sprechen Konflikte klar an und klären sie, indem sie intern aufrütteln.

Man kann Konflikte im Mannschaftssport also nicht aussitzen oder totschweigen?

Letztlich ist das wie bei einer Knie-OP: Manchmal muss man aufschneiden, auch wenn das kurz wehtut. Langfristig geht es einem dann aber besser, wenn das entfernt wurde, was für die Schmerzen gesorgt hat.

Ein anderes Beispiel für Konfliktbewältigung im Sport führt zum Hochspringer Dick Fosbury, bei dem eine neue Betrachtungsweise half. Was kann man daraus lernen?

Eine Menge. Fosbury setzte eine besondere Fähigkeit ein: die Neugierde. Wenn wir Menschen nicht neugierig wären, gäbe es keine Entwicklung. Man braucht diese Neugierde auch, um Lösungen in einem Konflikt zu finden. Fosbury war ein guter amerikanischer Hochspringer, aber kein sehr guter. 1967 sprang er 2,10 Meter hoch, das reichte nicht für die Weltspitze. Bis dahin sprang man Straddle, also bäuchlings. Er war echt verzweifelt, dass er nicht höher kam. Er nahm deshalb einen Perspektivwechsel vor und schaute einfach mal anders auf sein Problem. Welche anderen Optionen gab es für ihn? Eines Tages ist er mit seinem inzwischen berühmten Fosbury-Flop rückwärts über die Latte gesprungen und hat sich damit wesentlich verbessert.

Wie waren die ersten Reaktionen?

Sein Trainer meinte anfangs, er sei ein Idiot, der damit höchstens im Zirkus auftreten könne. Stattdessen wurde Fosbury damit 1968 Olympiasieger, mit einer Höhe von 2,24. Sein Stil wurde weltweit prägend. Das war eine Revolution im Hochsprung. Übrigens gibt es die Legende, dass der Anlauf seitlich im Viertelkreis nur deshalb entstanden ist, weil er in seinem Garten, wo er eine Hochsprungmatte hatte, einem Apfelbaum ausweichen musste. Auf jeden Fall ist es ein schönes Beispiel, dass man Probleme und Konflikte auch durch einen Perspektivwechsel lösen kann.

Das Gespräch führte Jean-Julien Beer.

Zur Person

Lou Richter (62)

wurde als Sportmoderator bekannt und ist auch zertifizierter Mediator. Er hält Vorträge über Konflikte und deren konstruktive Lösungsmöglichkeiten. Er ist Autor des Buches „Ihr könnt mich mal ... g.e.r.n.e haben! Wie aus Konflikten Erfolge werden“.

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