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Ausdauerspezialistin Merle Brunnée Frau Doktor Laufwunder

Merle Brunnée wächst in Bremen auf und geht zum Studium nach Heidelberg. Dort vollzieht sich eine sportliche Metamorphose. Und wird 2021 zum Superjahr. Sie promoviert und wird Weltmeisterin. Unter anderem.
18.10.2021, 16:55 Uhr
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Frau Doktor Laufwunder
Von Olaf Dorow

Nein, das hätte sie wirklich nie gedacht, sagt Merle Brunnée, dass sie mal als Dritte der deutschen Meisterschaften im Marathon dastehen wird. Steht sie aber seit ein paar Tagen. Die Zeit von 2:53:14 Stunden, die sie in München gelaufen ist und die sie eigentlich nur so mittelprächtig findet, steht für die 27-Jährige da im Herbst eines Jahres, das sie so als 17-Jährige nie prognostiziert hätte. Als 17-Jährige hatte sie mit Laufen und Ausdauersport nicht viel am Hut. Sie hat neben der Schule Geige gespielt im Jugendsinfonie-Orchester Bremen-Mitte, hat ein wenig Tennis gespielt beim Bremer HC, hat ein wenig geturnt. Ihre Mutter war die, die das Laufen mochte, aber nur auf den Sprintdistanzen. Marathon? Nein, sei ungesund, habe ihre Mutter immer gesagt, erzählt sie.

Das also erzählt eine, die im Jahr 2021 unter anderem Folgendes erreicht hat: Weltmeisterin im Duathlon, Siebte bei deutschen Meisterschaften im Einzelzeitfahren und dann eben noch Dritte der Marathon-Meisterschaften. Nebenher hat sie das quasi erreicht, denn Merle Brunnée hat im Jahr 2021 auch ihr Medizinstudium inklusive Promotion abgeschlossen. Sie ist nun als Neuroradiologin an der Uni-Klinik Heidelberg angestellt. Geboren und aufgewachsen in Bremen, war sie 2013 nach dem Abi zum Studium nach Heidelberg gegangen – und durchlebte dort eine frappierende sportliche Metamorphose. Man ahnt ja nicht, was so alles passieren kann: Das wäre die passende Anmerkung zu ihrem sportlichen Werdegang.

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Ihre Erzählung geht so: Weil sie in Heidelberg keinen Tennisverein fand, joggte sie regelmäßig im Studium. Auch, um einen Ausgleich zum Büffeln zu haben. War ja auch so einfach. Schuhe an, Tür auf, losrennen. Sie merkte, dass sie das ganz gut kann und auch ganz gut findet: Rennen. Warum nicht auch mal mitmachen bei Volks- oder Straßenläufen? Bei einem Zehn-Kilometer-Wettkampf in Mannheim orientierte sie sich am Tempo eines Bekannten. Sie rannte ihm einfach hinterher, das ging erstaunlich gut. Schon nach 39:01 Minuten war sie im Ziel. Christian Stang, Trainer bei der MTG Mannheim, sprach sie an. Sie wurde MTG-Läuferin. Sie trainierte ernsthafter und strukturierter, sie wurde schneller. Vor allem: Sie fühlte sich angefixt. 

Und zündete Stufe zwei. Aus der Läuferin wurde eine Läuferin, die auch noch Duathlon und Triathlon macht. Mit ihrem Gazelle-Rad aus Bremen konnte sie in Heidelberg nicht viel werden. Sie kaufte sich ein leichteres Rad, ehe das Radeln im Odenwald so viel Spaß bereitete, dass ein Rennrad hinzukam. Ihr Freund überredete sie zu einem Triathlon-Wettkampf. Im September 2018 nahm sie in Sindelfingen die Sprintdistanz in Angriff: 500 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Rad, fünf Kilometer Laufen. "Das Schwimmen war schrecklich", bekennt sie, "aber ich bin als Dritte trotzdem auf dem Treppchen gelandet." Auf der Rad- wie Laufstrecke war sie die Beste.

Sie spürte, dass da noch mehr geht. Sie wollte noch mehr und setzte das um. Koordinierte das zeit- und kraftaufwendige Studium mit dem zeit- und kraftaufwendigen Training. Sie strengte hier den Geist, da den Körper an und belohnte sich mit Erfolgen im Studium wie im Sport. Sie mag dieses Wechselspiel zwischen Anstrengung und Belohnung, sagt sie. Das Geige spielende Mädchen wurde zur taffen Ausdauersportlerin. Sie wurde die Läuferin, die für die MTG Mannheim antritt, die  Duathletin oder Triathletin, die für den Post SV Tübingen antritt, die Radrennfahrerin, die für den RSV Heidelberg antritt. Der wöchentliche Trainingsaufwand neben dem Medizinstudium wuchs auf bis zu 20 Stunden.

Das Allertaffeste kam dann im September dieses Jahres: Duathlon-WM in Zofingen. Zehn Kilometer Laufen, 150 Kilometer auf dem Rennrad und dann noch einmal 30 Kilometer Laufen. 1800 Höhenmeter inklusive. Ebenfalls inklusive war fürchterliches Wetter. Es war sehr kalt, es regnete heftig. Reihenweise gaben Favoritinnen auf. Merle Brunnée hielt durch – und gewann. Sie habe über sich selbst gestaunt, sagt sie. Der Aufgabe-Gedanke sei niemals in ihren Kopf vorgedrungen. Vielleicht habe das an ihrer Vorbereitung gelegen. Sie habe sich auch mental versucht zu wappnen. Was mache ich, wenn ein Malheur passiert? Wie reagiere ich, wenn die Was-mach-ich-hier-Gedanken im Kopf hämmern? Oder die stillen Ich-bin-so-kaputt-Schreie.

In ihrem Job als Neuroradiologin macht sie, vereinfacht gesagt, den Weg ins Gehirn frei, wenn die Blutbahn verstopft ist. Jetzt hatte sie quasi bei sich selbst den Gedankenweg ins Gehirn freigeräumt. Kernsätze: "Das Rennen dauert sieben Stunden, da kann noch so viel passieren." Zweitens: "Die Konkurrenten leiden auch." Und drittes Leitmotiv: "Ich bin keine Gurke." So drückt sie es aus, und damit ist gemeint, dass sie gut trainiert hat und auch was kann. Warum soll sie eingeschüchtert am Startstrich stehen?

Höher, weiter, schneller, so könne das sicher nicht endlos weitergehen, sagt sie. Sie arbeitet seit Anfang Oktober als Klinik-Ärztin, Vollzeit. Der Sport bringt kein Geld, er kostet nur welches. Andererseits: 2022 ohne neue Herausforderung? Passt nicht zu ihrem, nun ja: Verhältnis  zu ihrem taffen Ausdauersport. Er fordert viel von ihr, er gibt ihr viel. So beschreibt sie es. Man müsse "ja nicht immer noch eins draufsetzen", sagt sie, ehe sie vom Ironman 70.3 in Luxemburg erzählt, den sie neben Mannheim-Marathon oder Zofinger Duathlon fürs kommende Jahr anpeilt. Dann würde sie zum ersten Mal eine Triathlon-Mitteldistanz angehen, also knapp zwei Kilometer Schwimmen plus 90 auf dem Rad plus einen Halbmarathon. Wäre also doch wieder eins draufgesetzt.      

Zur Sache

Verworfener Bremen-Plan

Eigentlich wollte die gebürtige Bremerin Merle Brunnée auch am 3. Oktober beim Bremen-Marathon antreten, den sie dann womöglich auch gewonnen hätte. Sie komme immer wieder gern aus Heidelberg nach Bremen zurück, sagt sie. Ihre Eltern und auch ihr Bruder leben hier weiterhin. Doch nur zwei Wochen Pause nach der Ausbelastung bei der Duathlon-WM in Zofingen erschienen schließlich zu kurz, um nicht eine Überlastung zu provozieren. Weil der Plan beim Frankfurt-Marathon Ende Oktober wegen der Absage des Rennens verworfen werden musste, sei sie auf Empfehlung ihres Trainers dann eine Woche nach dem Bremen- beim München-Marathon gestartet. Obwohl nicht speziell dafür vorbereitet, blieb sie auf der Strecke von 42,195 Kilometern weit unter drei Stunden – und wurde Dritte der dabei ausgetragenen deutschen Meisterschaft.       

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