An diesem Tag, den er nie mehr vergessen wird, wollte Mouhamed Diallo nur Fußball spielen. Der junge Mann aus Guinea, gerade 25 Jahre alt geworden, ist ein wichtiger Spieler in der zweiten Mannschaft von Vatan Sport im Bremer Stadtteil Gröpelingen. Mal spielt er im Sturm, mal in der Abwehr, er wird mit seinen Qualitäten überall gebraucht. Das Fußballspielen lernte er in seiner westafrikanischen Heimat – nicht in einem Verein, dafür fehlte der Familie das Geld, sondern nur auf der Straße. Hätte er eine Ausbildung in einem Verein bekommen, wäre dieser Sport heute vielleicht mehr als nur ein Hobby.
So aber ist Fußball für ihn nur ein Zeitvertreib nach Feierabend oder am Wochenende, um abzuschalten von seiner Arbeit in einem metallverarbeitenden Betrieb in Burg-Lesum. Man kann sagen, dass der schüchterne Mouhamed Diallo längst ein Bremer ist, gut integriert. Als er 2014 herkam, sprach er kein Deutsch. Er lernte die Sprache, machte eine Ausbildung und hat einen festen Job. Er machte den Führerschein und kaufte sich ein Auto. Wenn Werder Bremen spielt, arbeitet er nebenher im Weserstadion. Auch zuletzt beim Heimspiel gegen Kiel war er wieder da und versorgte die Gäste im VIP-Bereich mit Köstlichkeiten aus der Küche.
Er hat sich in Deutschland mehr erarbeitet, als er zu träumen wagte. Doch diese schöne Welt brach für ihn im März ein Stück weit zusammen. Es war ein Fußballspiel wie viele andere in der Kreisliga A. Manchmal ging es ruppiger zu gegen die zweite Mannschaft von BTS Neustadt, aber so ist das halt in dieser Liga. Nach einem Zweikampf beschimpfte ihn sein Gegenspieler plötzlich als „Affe“. Von jetzt auf gleich schossen Mouhamed Diallo viele Gedanken durch den Kopf. Er kannte so etwas nur aus dem Internet, aus Italien oder Spanien, wo farbige Fußballstars als „Affen“ beleidigt wurden und viel Solidarität im Kampf gegen Rassismus erfuhren. Und jetzt er, Mouhamed Diallo? Nach sechs Jahren ohne einen solchen Vorfall in all seinen Spielen hier in Bremen?
„Ich konnte es gar nicht glauben, aber das Wort Affe war laut zu hören“, erzählt er, „und ja, ich muss sagen, dass ich sauer wurde.“ Diallo regte sich dermaßen auf, dass es zur Rudelbildung auf dem Platz kam. Der Schiedsrichter zeigte Diallo deshalb die Gelb-Rote Karte. Dem Opfer, nicht dem Täter. Eine Strafe für den Täter folgte erst später. Und so kam es, dass Mouhamed Diallo gar nicht mitbekam, dass dieses Spiel kurz darauf abgebrochen wurde, zum ersten Mal in der Geschichte des Bremer Amateurfußballs wegen eines solchen Rassismusvorfalls. Diallo schnappte sich nämlich seine Tasche und ging duschen: „Ich war ganz durcheinander, es tat mir in der Seele weh.“ Später wollte er nur noch den Schlüssel für den Duschraum zurückbringen, als er merkte, dass gar kein Fußballspiel mehr lief.
Inzwischen hatte auch der Täter Gelb-Rot gesehen, nicht Rot. Doch die Mannschaft von Vatan wollte nicht mehr weiterspielen. Trainer Murat Camdereli erklärt: „Wir wollten unserem Spieler beistehen, wenn er wegen seiner Hautfarbe diskriminiert wird.“ Diallo war gerührt, wie sehr sich seine Mitspieler kümmerten, bis in den Abend munterten sie ihn auf.
Sie sind eine besondere Truppe bei der zweiten Mannschaft von Vatan, sie haben Teamgeist und nichts zu tun mit dem schlechten Ruf, den sich der Verein in den vergangenen Jahren durch viele Vorfälle erwarb. Trainer Camdereli hat binnen zwei Saisons eine neue Mannschaft geformt und alle Krawallmacher weggeschickt. Jetzt haben sie Spieler aus neun Nationen im Kader, allein zehn Afrikaner aus Guinea, Gambia, Somalia, Marokko und Ägypten. „Das sind tolle Jungs“, schwärmt Camdereli, „die spielen mit großer Leidenschaft.“ Dazu haben sie Syrer im Team, Polen und Türken. Einen Deutschen haben sie nicht. Leider, wie sie sagen. Sie hatten mal einen Kevin, aber der hat aufgehört. Sie hoffen, dass er noch mal kommt.
So viele Kulturen und Nationalitäten, das bedeutete auch mal interne Reibereien. Trainer Camdereli, in Bremen geborener Türke, hat das aber nie durchgehen lassen. Es gab Türken, die etwas gegen die Polen hatten. Dann hat Camdereli die Türken weggeschickt. Bei ihm gilt nicht das Recht des Stärkeren oder die Treue zum Landsmann, ihm geht es um Sportsgeist. In ihrer Umkleide hängt ein Transparent des Deutschen Fußball-Bundes mit der Aufschrift „Fair ist mehr“. Zum Zuckerfest am Ende des Ramadan haben sie hier in kleiner Runde gefeiert.
Dass einer von ihnen als „Affe“ beleidigt wurde, hat sie aufgewühlt. Sie finden es traurig. Noch trauriger wird es, wenn Mouhamed Diallo über Probleme im Alltag spricht, weil er „nicht hell ist“, wie er das mit Blick auf seine Hautfarbe nennt. So oft habe er versucht, in Bremen abends in Clubs oder Diskotheken zu kommen. Immer wieder wurde er weggeschickt, sagt er mit leiser Stimme.
Ein einziges Mal kam er an einem Türsteher vorbei. An den falschen Klamotten lagen die Abweisungen nicht, sagt er: „Ich kenne Menschen mit meiner Hautfarbe, die kaufen sich extra teure Kleidung, um in die Disco zu kommen. Aber sie schaffen es auch dann nicht, sie sind nicht hell genug.“ Das seien keine Einzelfälle, er habe Freunde, die deshalb an Wochenenden oder an Silvester lieber in Belgien oder Frankreich ausgehen, wo es für Farbige einfacher sei. Er hat das noch nicht gemacht. Aber es beschäftigt ihn. Er schämt sich sogar, wenn deutsche Freunde ihn einladen und sagen, man werde sich am Abend in einem Club treffen. Diallo: „Wenn ich denen sage, dass ich das nicht versprechen kann, weil ich nicht weiß, ob ich da reinkomme – dann schauen die mich ungläubig an.“ Aber es sei so, und wer das nicht glaube, könne sich ja mal mit in die Schlange stellen.
Deshalb haben sie sich so gefreut, welche Solidarität sie als zweite Mannschaft von Vatan nach dem „Affen“-Vorfall erfahren haben. Weniger aus ihrem eigenen Verein, da hätten sie sich bei diesem Thema mehr Unterstützung erhofft. Aber zum Beispiel vom SC Weyhe, zu dem eine Freundschaft entstanden ist. Wenn der Täter von BTS Neustadt sich bei ihm entschuldigen würde, „dann würde ich das akzeptieren“, betont Mouhamed Diallo, „aber bisher kam niemand.“ Der Verein BTS hat sich immerhin öffentlich entschuldigt.
Vielleicht soll es mal ein Freundschaftsspiel geben zwischen Vatan II und BTS Neustadt II, sagt sein Trainer, der mit Diallo mitfühlt. Camdereli hat 15 Jahre in der Bremen-Liga gespielt. Und selbst er, der in Bremen geborene Mitarbeiter einer Bank, wurde auf dem Platz als „Taliban“ beleidigt. Heute, mit 47 Jahren, sagt er das: „Unsere Großväter hatten es schwer, in Deutschland anzukommen, sie konnten kaum die Sprache. Die nachfolgende Generation hat nicht alles richtig gemacht. Wir müssen das Miteinander nun besser fortführen, einfach schon deshalb, weil es uns heute besser geht.“ Diallo hört es und nickt. Für sich selbst hofft er einfach, dass er das Wort „Affe“ nie wieder ertragen muss.