Es waren erschütternde Szenen, die sich am Sonntag auf dem Fußballplatz im Bremer Stadtteil Gröpelingen abgespielt haben – und die zu einem Spielabbruch führten, wie es ihn in dieser Form im Bereich des Bremer Fußballverbandes noch nie gab. Beim Spiel der Kreisliga A zwischen den Herrenmannschaften von KSV Vatan Sport II und BTS Neustadt II hatte es in der 75. Minute 1:2 gestanden, als ein Spieler von Neustadt einen aus Afrika stammenden Gegenspieler verbal attackierte. „Du Affe!“, das war für alle auf dem Platz gut zu hören, dazu noch ein paar Bemerkungen, dass er wieder dahin gehen solle, wo er herkomme. Auch das haben viele gehört.
Der rassistisch beleidigte Vatan-Spieler, der aus Guinea stammt, reagierte aufgebracht, es kam zur Rudelbildung mit vielen Spielern auf dem Platz. Der Schiedsrichter hatte einige Mühe, die plötzliche Eskalation unter Kontrolle zu bekommen. Zunächst zeigte er dem wütenden Afrikaner die Gelb-Rote Karte, auch der rassistische Täter bekam etwas später Gelb-Rot. Vatans Trainer Murat Cendereli erinnert sich genau an die Minuten zwischen diesen beiden Platzverweisen: „Der Schiedsrichter kam zur mir und wollte wissen, ob wir das Spiel fortsetzen möchten. Ich habe ihn gebeten, doch bitte erst einmal den Täter zu bestrafen, denn es war ja offensichtlich, was passiert ist. Über den Platzverweis für unseren afrikanischen Spieler habe ich mich nicht geärgert, den kann ich akzeptieren, weil er natürlich emotional reagiert hat nach dieser rassistischen Entgleisung. Aber mir war wichtig, dass der Täter bestraft wird.“
Schiedsrichter entscheidet in der 75. Minute den Spielabbruch
Nach dem Platzverweis gegen den Täter aus Reihen von BTS Neustadt entschied der Schiedsrichter, das Spiel nicht wieder anzupfeifen, sondern in der 75. Minute abzubrechen. „Normalerweise bin ich immer gegen Spielabbrüche, weil sie nicht im Sinne unseres Sports sind“, betont Cendereli, der selbst viele Jahre als Spieler in der Bremen-Liga aktiv war, „aber hier war schnell klar, dass nicht mehr Fußball gespielt werden konnte. So eine Beleidigung geht ans Herz. Das hinterlässt Spuren in der Seele eines Menschen.“ Auf Seiten von Neustadt wirkte ebenfalls ein Spieler aus Guinea mit, ein Landsmann des Opfers also, und der habe nach den Geschehnissen nur noch fassungslos am Zaun gekauert.
Der Schiedsrichter meldete den Spielabbruch wegen „eines rassistischen Vorfalls“ inzwischen dem Bremer Fußballverband, dem auch ein detaillierter Sonderbericht des Unparteiischen vorliegt. Nun beschäftigt sich der Spielausschuss mit dem Fall. Neben den Fragen, warum der Täter nicht mit einer Roten Karte bestraft wurde und wie dieser Spieler sanktioniert werden kann, geht es auch um die Wertung des Spiels. Bei Abbruch hatte Neustadt mit 2:1 geführt.
Ein großes Lob spricht Vatans Trainer trotz aller Emotionen dem Gegner BTS Neustadt II aus. „Die haben gut reagiert und waren selbst beschämt“, berichtet Cendereli, „sie waren auch in unserer Kabine und haben sich entschuldigt für das, was ihr Mitspieler gemacht hat. Ich habe ihnen schon vor Ort gesagt, dass ich großen Respekt habe für dieses Verhalten der Mannschaft von Neustadt. Sie waren wirklich sehr bemüht.“ Dieses Verhalten der übrigen BTS-Spieler wurde auch im Sonderbericht des Schiedsrichters positiv festgehalten.
Der Schiedsrichterobmann des Verbandes, Torsten Rischbode, lobt die Entscheidung seines Kollegen, das Spiel abzubrechen: "Das war genau richtig. Bei einem solchen rassistischen Vorfall braucht man nicht nach einem Wenn oder Aber zu suchen, da gibt es keine Toleranz."
Wegen des laufenden Verfahrens kann man sich beim Fußballverband nicht zum weiteren Prozedere äußern. Der Fall weckt Erinnerungen an den Spielabbruch im Dezember 2021 beim Drittligaspiel zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück. Diese Partie war wegen Schmähungen von den Zuschauerrängen, die der dunkelhäutige VfL-Profi Aaron Opoku auf sich bezog, zunächst unter- und dann abgebrochen worden. Dieser Eskalationsplan greift bei rassistischen Äußerungen von Zuschauern. Er gilt aber nicht, wenn die Äußerungen von Spielern oder Betreuern kommen. Damit soll verhindert werden, dass eine in Führung liegende Mannschaft einen Abbruch provozieren könnte. Im Fall des Bremer Kreisligaspiels wird es nun darum gehen, wer für den Abbruch verantwortlich war. Eine Wiederholung des Spiels ist ebenso möglich wie eine Wertung für Vatan oder für Neustadt. Letzteres ist aber unwahrscheinlich, weil die rassistische Beleidigung von einem Spieler des Neustadt-Teams ausging. Am Ende wird der gesamte Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Sportgericht landen.
"Gemeinsam gegen Rassismus im Amateurfußball"
Vatans Trainer Cendereli ist nicht nur der Kampf gegen Rassismus wichtig, sondern auch der tägliche Kampf gegen Vorurteile. Er weiß ja, welch schlechten Ruf sich die zweite Mannschaft seines Vereins Vatan Sports über Jahre sehr verdient erarbeitet hatte. Spielabbruch bei Vatan gegen Neustadt? Da denke doch jeder fälschlicherweise, das sei wieder wegen Vatan gewesen, meint Cendereli. Dabei ist sein Spieler das Opfer.
Seit zwei Jahren ist er der Trainer von Vatan II, er trennte sich seither von fast 30 Spielern. „Lieber steige ich ab, als dass ich ein paar Leute dabei habe, die nur auf Krawall aus sind“, erklärt er, „es ist uns ein großes Anliegen, das Image unserer Mannschaft zu verbessern.“ Er kann Screenshots zeigen, in denen sein Team als „asozial“ beschimpft wird, als sie ein Freundschaftsspiel vereinbaren wollten. Cendereli: „Wir haben in unserem 25-Mann-Kader Spieler aus neun Nationen. Das funktioniert sehr gut, und das will ich nicht kaputtmachen lassen. Wir alle müssen gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aufstehen. Auch im Amateurfußball.“