Florian Wellbrock ist der König der Langstrecke: Der aus Bremen kommende Schwimmer hat bei den Olympischen Spielen in Tokio über zehn Kilometer Freiwasser in der Nacht zu Donnerstag die Goldmedaille gewonnen. Im Becken hatte der gebürtige Bremer in Tokio bereits mit der Bronzemedaille über 1500 Meter Freistil geglänzt. Nun hat sich der 23-Jährige mit seinem Triumph im Odaiba Marine Park in der Tokio Bay einen Kindheitstraum erfüllt. „Für mich persönlich ist das mein Sommermärchen heute“, sagte Wellbrock. "Das macht mich wahnsinnig stolz."
Freiwasser-Rekordweltmeister Thomas Lurz attestierte Wellbrock als Eurosport-Experte ein „gigantisches Rennen“. Wellbrock sei „massiv überlegen“ und die Konkurrenz chancenlos gewesen, sagte Lurz. Nach 1:48:33,7 Stunden war Wellbrock als Erster im Ziel, auf den Plätzen folgten der Ungar Kristof Rasovszky (+25,3 Sekunden) und der Italiener Gregorio Paltrinieri (+27,4 Sekunden).
Einer der ersten Gratulanten war der frühere Doppel-Weltmeister und Weltrekordler Paul Biedermann. „Florian Wellbrock hat Historisches geschafft mit dem ersten Olympiasieg im Freiwasser für Deutschland. Eine Medaille im Becken und im Freiwasser zu gewinnen, ist eine ganz eigene Liga und spricht für das Ausnahmetalent Florian Wellbrock“, sagte Biedermann. Die frühere Welt- und Europameisterin Franziska van Almsick wiederum lobte Wellbrocks mentale Stärke. "Florian ist zu einem fokussierten, klaren und ruhigen Athleten geworden, der meinen großen Respekt verdient", sagte der Ex-Schwimmstar.
„Das Wasser auf der Strecke ist sehr trüb. Man hat vielleicht eine Sichtweite von etwa 30 Zentimetern“, hatte Wellbrock nach dem ersten Test zu Wochenbeginn erzählt. Weitere Herausforderungen: die Wassertemperatur von mehr als 29 Grad und die starke Sonneneinstrahlung. "Die Bedingungen sind hart", urteilte der amtierende Freiwasser-Weltmeister vor dem Start. "Es ist abzuwarten, wie warm es sich dann tatsächlich anfühlt, wenn man sich zwei Stunden bei Maximalbelastung in der Sonne und dem warmen Wasser bewegt.“ Er müsse auf sein Körpergefühl hören, vernünftig sein und dürfe die Grenze nicht überschreiten, sagte Wellbrock, der sich von Beginn an an die Spitze setzte und aufs Tempo drückte.
Beeindruckende Startphase
Übersicht bewahren, ab und an den Kopf hoch- und die Richtung beibehalten, darauf kam es auf dem sieben Mal zu absolvierenden Vierecks-Kurs an. Es war eine beeindruckende Startphase des gebürtigen Bremers, der so gleich immensen Druck auf die Konkurrenten ausübte. Und während Wellbrock bei der ersten von sechs Verpflegungsmöglichkeiten auf dem Rücken schwimmend in Ruhe trinken konnte, verzichtete etwa Mitfavorit Marc-Antoine Olivier aus Frankreich bereits auf ein erstes Getränk, um die Lücke etwas zuzuschwimmen und den Rückstand nach der ersten Runde, also nach den ersten 1,43 Kilometern, wieder auf 6,4 Sekunden zu verkürzen.
Das Feld zog sich frühzeitig auseinander, einzig Olivier und der Ungar Kristof Rasovszky blieben zunächst dran an Wellbrock, der schon bei der Generalprobe im Juni im spanischen Banyoles die Konkurrenz klar distanziert hatte und auch diesmal von Bundestrainer Bernd Berkhahn (50), am Bundesstützpunkt in Magdeburg auch Wellbrocks Heimtrainer, taktisch hervorragend eingestellt war. Wellbrock schwamm vorne weg. Er dominierte. Und er zog das Tempo immer dann etwas an, wenn seine Widersacher versuchten, aufzuschließen. "Jungs, wollt ihr keinen Wettkampf schwimmen heute?", habe er sich bei einem Blick zurück gedacht, sagte Wellbrock später.
Der 1,92 Meter große und 75 Kilogramm schwere Modellathlet liebt Rapmusik – die gebe ihm vor dem Wettkampf den nötigen Kick, hatte Wellbrock kürzlich der Zeitschrift "Bunte" erzählt. Auch vor diesem Wettkampf durften die Ohrstöpsel nicht fehlen, schließlich galt es ja auch, zu früher Stunde die Müdigkeit aus dem Körper zu vertreiben. Bereits um 3 Uhr war die Nacht für ihn zu Ende gewesen, dann hatte die individuelle Vorbereitung auf dieses abschließende Schwimmevent bei den Spielen von Tokio mit Start um 6.30 Uhr Ortszeit begonnen.
Wellbrock aber war ausgeschlafen genug. Einem Uhrwerk gleich spulte er sein Pensum herunter – was deshalb clever war, weil er so im Feld der 26 Starter allen Nahkampfsituationen im Wasser aus dem Weg gehen konnte. Beim Freiwasserschwimmen werde oft gehauen und gestochen, das gehöre dazu, sagte Wellbrock. Zur Halbzeit des Rennens lag das Spitzentrio mit Wellbrock, Olivier und Rasovszky immer noch vorne, die Medaillenchancen des Bremers waren absolut intakt.
Ab Kilometer sieben wird es richtig hart auf dieser Distanz, dann kommen die Schmerzen. Wellbrock kennt das, er ist ein Langstreckenspezialist. Etwa 90 Kilometer spult er wöchentlich im Training ab, trainiert an sechs Tagen bis zu fünf Stunden, nur der Sonntag ist frei, "da schlafe ich aus", so Wellbrock. Er ist ein ehrgeiziger Typ, der seinen Zielen alles untergeordnet und sein Hobby zum Beruf gemacht hat, wie der gelernte Immobilienkaufmann selbst sagt. Einer, der schon 2014 Bremen und der Sportbetonten Schule an der Ronzelenstraße den Rücken gekehrt hat, um in Magdeburg sein Glück zu finden.
"Als Weltmeister bin ich jetzt natürlich der Gejagte, alle gucken zu mir hoch", hatte Wellbrock vor den Olympischen Spielen im Gespräch mit dem WESER-KURIER gesagt. "Das macht das Ganze nicht unbedingt einfacher. Aber ich weiß, was ich kann." Und mit diesem Selbstbewusstsein ging Wellbrock nun in diesem Wettkampf auch zu Werke.
Er hatte die Ruhe weg. Hinter ihm: Erst sieben, nach Runde fünf nur noch fünf Verfolger, die ernsthafte Chancen auf einen Podestplatz hatten. Am Ende der sechsten Runde verschärfte Florian Wellbrock dann noch einmal das Tempo. Nach einem Zwischenspurt saß ihm zu Beginn der letzten Runde schließlich nur noch der Ungar Rasovszky im Nacken, Zug um Zug setzte er sich ab: Wellbrock war klar auf Goldkurs! Es war eine beeindruckende Leistung, "brutal dominant", nannte es gar Fernsehkommentator Tom Bartels. „Florian war heute auf einem anderen Planeten“, sagte Paltrinieri voller Respekt.
Mit 16 Sekunden Vorsprung ging Florian Welbrock schließlich auf die letzten 500 Meter – und er schwamm das Rennen im Odaiba Marine Park vor der Skyline Tokios souverän und überlegen nach Hause. Zehn Meter vor dem Ziel, so erzählt es Florian Wellbrock später, sei dann dieses Gefühl gekommen: "Ich bin gleich Olympiasieger!" Und das sei ein unglaublich cooles Gefühl.