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Olympische Spiele in Tokio Nadine Apetz geht es nur noch um den Doktortitel

Bei Tura in Bremen begann sie ihre Karriere, in Tokio war sie die erste deutsche Boxerin, die sich für die Olympischen Spiele qualifizieren konnte.Jetzt beendet Nadine Apetz ihre erfolgreiche Laufbahn.
08.08.2021, 06:00 Uhr
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Von Rainer Jüttner

Der Start hätte kaum weniger erfolgversprechend verlaufen können. Als sich Nadine Apetz 2008 im Boxtraining bei Tura vorstellte, nahm es Trainer-Urgestein Klaus Becker angesichts der bis dato doch sehr mageren Bilanz von einem Sieg in fünf Kämpfen mit Humor. „Du bist zu schlecht. Solche Leute nehmen wir hier bei Tura eigentlich gar nicht an“, sagte er. Gleichzeitig schien sein Ehrgeiz geweckt zu sein. Und was in der kleinen Halle am Halmerweg in Gröpelingen so ernüchternd begann, führte die heute 35-Jährige bis in die ehrwürdige Arena Ryogoku Kokugikan in Tokio, wo die Japaner dreimal im Jahr bei traditionellen Turnieren ihren Nationalsport Sumo-Ringen zelebrieren. Dort startete Nadine Apetz als erste deutsche Boxerin bei den Olympischen Spielen und schrieb damit Geschichte. Jetzt hat die Neuro-Wissenschaftlerin ihren bereits vor Tokio gefassten Entschluss umgesetzt. Sie beendet ihre bemerkenswerte Karriere und tritt vom Leistungssport zurück.

Den Olympia-Traum hatte sie sich zuvor erfüllt, eine Medaille bleibt dagegen ein Traum. In der zweiten Runde im Weltergewicht bis 69 Kilogramm entschieden die Kampfrichter zugunsten der Inderin Lovlina Borgohain mit 3:2 Stimmen. Wie Apetz hatte Borgohain bereits 2018 den ganz großen Erfolg vor Augen. Damals verloren beide bei der Weltmeisterschaft ihre Halbfinals und teilten sich die Bronzemedaille. In Tokio boxte Apetz zu Beginn der ersten Runde noch etwas verhalten, dann aber voll auf Angriff. Es war ein intensiver und ausgeglichener Kampf. Die Wertung hätte genauso gut knapp zugunsten von Apetz ausfallen können. Später holte Borgohain die Bronzemedaille.

Mit den Gedanken noch in Tokio

Seit gut einer Woche ist Apetz jetzt zurück in Deutschland. In Köln versucht sie wieder in den Alltag als Doktorandin an der Universitätsklinik zu finden, auch wenn die Gedanken oftmals noch in Tokio sind. „Bei der tollen Atmosphäre im olympischen Dorf und den vielen Menschen aus ganz spannenden verschiedenen Kulturen“, wie sie sagt. Und natürlich kreisen sie darum, was gewesen wäre, wenn sie gewonnen hätte. Eine Fehlentscheidung sei es nicht gewesen, sagt sie. „Das war ein richtig enges Ding. Manchmal kommt es ein bisschen auf die Präferenz der Punktrichter an.“

Aber Nadine Apetz ist keine, die lange hadert. So nahm sie auch dieses Urteil an, auch wenn sie natürlich lieber noch weiter um eine Medaille geboxt hätte. Anders sieht es da schon mit ihrer ganz besonderen Sicht auf sich selbst aus. „Sie war damals anfangs schon sehr verunsichert, ohne Selbstvertrauen und stellte sich immer wieder selbst infrage“, sagt Klaus Becker über die Anfänge seines einstigen Schützlings. Und man mag es angesichts der mittlerweile beeindruckenden Erfolgsbilanz kaum glauben, aber daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Ihre Selbstzweifel kamen trotz der Siege immer wieder durch. Nicht unbedingt im Kampf, aber davor. „Ich habe mir oftmals gewünscht, dass ich so auftreten könnte wie Busenaz Sürmeneli. Die geht in den Ring und strahlt schon aus, dass sie gewonnen hat. Das macht viel aus. Das macht Eindruck bei den Punktrichtern und auch bei den Gegnerinnen“, sagt Apetz. Zuletzt bekam sie die Dominanz der Weltmeisterin bei der europäischen Olympia-Qualifikation zu spüren. In Paris verlor Apetz das Finale im Weltergewicht gegen die Türkin deutlich mit 0:5 Punktrichterstimmen, hatte sich aber trotzdem für Tokio qualifiziert.

Diese oft hinderliche permanente Selbstreflektion machte die Kölnerin aber durch ihre Härte zu sich selbst, ihre Opferbereitschaft, ihren Ehrgeiz und ihre Trainingsdisziplin wieder wett. „Wenn ich etwas anfange, dann ziehe ich das auch durch“, sagt sie. Nicht umsonst verdiente sie sich ihre Medaillen auf internationaler Ebene, darunter Bronze bei der Weltmeisterschaft 2016 – als erste deutsche Medaillengewinnerin überhaupt. Bronze gab es auch bei der WM 2018, bei der EM und den European Games sowie Gold bei den EU-Meisterschaften. Hinzu kommen insgesamt sechs deutsche Titel, darunter 2011 und 2012 für Tura Bremen. „Klaus hat da einfach einen sehr guten Job gemacht. Er war ehrgeizig, mit Herzblut dabei und hat von Anfang an an mich geglaubt und mein Potenzial gesehen“, sagt Nadine Apetz. Der Kontakt zu ihrem Verein und Klaus Becker, der sie erstmals zu einer positiven Kampfbilanz führte, brach auch nach ihrem Wechsel nach Köln nie ab. „Klaus hat mir immer vor und nach wichtigen Kämpfen und jetzt besonders vor Tokio sehr nette Nachrichten geschrieben, worüber ich mich sehr gefreut habe. Er hat meine Karriere immer verfolgt, und das ist sehr schön zu wissen.“

All das wird Nadine Apetz zweifelsfrei vermissen, wenn sie sich jetzt vom Leistungssport verabschiedet. Aber ihr Entschluss steht fest. „Jetzt mit einer Niederlage aufzuhören, ist zwar irgendwie doof, aber darum jetzt noch einmal bei einer kleineren Veranstaltung anzutreten, um noch einmal zu gewinnen, ist ein unwürdigerer Abschied als wenn ich mit den Olympischen Spielen aufhöre. Das ist nun einmal das Allerhöchste, was man als Sportler erreichen kann. Auch wenn es mit der Medaille nicht geklappt hat, so habe ich doch einen Teil meines Ziels definitiv erreicht. Alles was jetzt noch kommen könnte, würde die Sache nicht besser machen“, sagt Nadine Apetz.

Ein neuer Lebensabschnitt

Die Zeit ist also reif für einen neuen Lebensabschnitt. Die Jagd nach Meisterehren und Medaillen ist beendet, jetzt steht ein anderer Titel im Fokus – ein akademischer:  Dr. rer. nat. Dabei ist ihre Doktorarbeit im Fach der Neurowissenschaften, die sich mit der Therapie der tiefen Hirnströme bei Parkinson befasst, ein Kapitel für sich. Seit 2013 zieht sich die Arbeit daran mittlerweile hin. Sie hatte nun einmal andere Prioritäten. „Promovieren kann ich auch noch, wenn ich alt bin, boxen nicht“, hatte sie sich immer gesagt. Bis spätestens zum Frühjahr 2022 gibt sie sich jetzt noch Zeit, dann will sie auch dieses Kapitel abgeschlossen haben: „Die Arbeit ist empirisch weitgehend abgeschlossen; sie muss nur noch ausgewertet und geschrieben werden.“ 

Langeweile dürfte also auch ohne Boxen kaum aufkommen, zumal neben dem Wunsch, sich beruflich zu etablieren, weitere Pläne warten. „Ich möchte mit meinem Freund zusammenziehen und mir einen Hund zulegen“, sagt Nadine Apetz. Mit Laufen, Krafttraining und Crossfit hält sie sich weiter fit. Und so ganz wird sie dem Boxsport ohnehin nicht Adieu sagen. Den Bundesstützpunkt hat sie zwar verlassen, aber noch ist sie ja Mitglied beim ruhmreichen SC Colonia 06. Und wenn es wieder in den Händen juckt, wird sie auch wieder mal im Training die Boxhandschuhe überstreifen. Sie stellt sich das so vor: „Ich mache einfach das Gleiche weiter wie bisher, nur mit wesentlich geringerem Pensum.“

Zur Sache

Eine Spätstarterin

Nadine Apetz kam erst mit 21 Jahren als Studentin über eine Box-AG an der Uni Bremen zu ihrem Sport. Apetz machte schnell Fortschritte, der Leistungsgedanke stand zu Beginn ihrer Karriere allerdings nicht im Fokus. „Ich hatte nie den Plan, groß rauszukommen. Dass ich dann immer besser wurde, war eigentlich nur ein Nebeneffekt“, sagt sie. Nadine Apetz lebte von 2006 bis 2012 in Bremen und studierte an der Universität Biologie. Über den Hochschulsport kam sie 2008 zu Tura Bremen, wo sie unter ihren Trainern Herwig Claußen und Klaus Becker 2011 und 2012 Deutsche Meisterin in der Gewichtsklasse bis 69 Kilogramm wurde. Fast drei Jahre (2011 bis 2013) verbrachte sie in Australien, stieg dort auch mal als verkappte Kickboxerin in den Ring, um Erfahrungen zu sammeln. Richtig durch startete sie dann nach der Rückkehr nach Deutschland und dem Wechsel zum Bundesstützpunkt nach Köln 2014. Seitdem lebt und arbeitet sie in Köln und startet dort für den SC Colonia 06, für den schon Box-Legende Max Schmeling in den Ring stieg. Dort wird sie von Lukas Wilaschek trainiert, der 2004 selbst Olympiateilnehmer war und danach als Profi im Supermittelgewicht im Ring stand.

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