Folgende Konstellation: Eine Frau, Anfang 30, arbeitet bei der Bereitschaftspolizei im Drei-Schicht-System. Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht. Manchmal geht die Schicht über zwölf Stunden. Am Wochenende: oft im Einsatz. An Feiertagen auch oft. So wie am Donnerstag zur Einheitsfeier in Kiel. Und jetzt die Preisfrage: Worauf freut sich die Frau in ihrer Freizeit so sehr, dass sie geradezu wie aufgedreht davon erzählt? Ja, auf einen Marathon.
Wenke Schauer ist noch nie einen gelaufen. Sie hätte aber „richtig Bock“, sagt sie. Sie sagt: „Ich fühle mich wie ein Rennpferd in der Box.“ Es kommt auch wirklich so viel zusammen am Sonntag beim Bremen-Marathon. Ihre Eltern werden da sein, ihre Kollegen aus ihrem Zug, in dem sie als einer von drei Gruppenführern fungiert, werden an der Strecke stehen. Und sie wird Bremens einzige Starterin sein unter den rund 30 Polizistinnen, deren gestoppte Zeit nach den 42,195 Kilometern nicht nur für den Bremen-Marathon zählt. Sondern auch für die Deutsche Polizeimeisterschaft, die im Rahmen des Rennens ausgetragen wird. Sie ist quasi eine Botschafterin. „Team Polizei Bremen“, steht gut sichtbar vorne drauf auf ihrem Trikot. Hinten drauf steht: „Läuft bei uns. Und bei Dir?“
Also, auf geht’s. Sie ist eher der Wenn-schon-denn-schon-Typ, dieser Eindruck entsteht schnell, wenn man sich mit ihr unterhält. Sie hat sich ein Fachbuch besorgt, um sich anhand eines Trainingsplans über zwölf Wochen auf das Ding am Sonntag vorzubereiten. Sie hat sich für den ersten Marathon ihres Lebens eine Zeit vorgenommen, mit der sie im vergangenen Jahr als viertschnellste Frau wieder am Bremer Rathaus angekommen wäre: drei Stunden, 15 Minuten.
Schafft sie das tatsächlich, wird es voraussichtlich nicht zu Rang vier reichen. Aus ganz Deutschland kommen flinke Polizistinnen nach Bremen. Zu einem Platz unter den Top Ten könnte es aber langen für die Bremerin. Wobei für sie der Platz weniger wichtig ist als die Performance. Sie vertritt Bremen, sie ist der Wenn-schon-denn-schon-Typ. Sie will nicht ins Ziel kommen und: ach, eigentlich noch ganz munter sein. Gar bedauern, dass es nun vorbei ist. Sie will das rausholen, was der Körper hergibt. Sonntag ist Wettkampf. Sie ist nicht im Einsatz und will vollen Einsatz zeigen. „Wenn ich im Ziel sage, dass es mir gut geht, habe ich etwas falsch gemacht“, sagt sie.
Laufen gehört zu ihr
Dass sie das alles so planvoll, so ehrgeizig und so erwartungsfroh angeht, liegt dabei weniger an Gedanken, die etwas Verpflichtendes hätten. Gegenüber dem Dienstherren, gegenüber Bremen oder gegenüber Freunden, Kollegen, Eltern. Es liegt eher an ihr selbst. Laufen gehört zu ihr. Laufwettkämpfe gehören zu ihr. Obwohl, gesteht sie, ihr einst mal ein Trainer gesagt habe: „Wir werden damit nicht unser Geld verdienen.“
Solch ein nüchterner Spruch scheint durchaus geeignet, einem Mädchen die Lust am Weitertrainieren zu nehmen. Oder: Er ist nicht mehr als ein nüchterner Spruch. Für den Lauftrieb völlig egal. So wie bei Wenke Schauer. „Laufen“, sagt sie, „ist in meiner DNA. Laufen ist mein Ding.“ Wenn Kollegen oder Freunde sie fragen, wie sie das mit dem vielen Laufen macht, bei dem anstrengenden Schicht-Alltag als Gruppenführerin bei der Bereitschaftspolizei, dann erzählt sie vom Kopf-frei-Kriegen beim Laufen. Von klaren Gedanken, vom Abschalten. Von der meditativen Note des monotonen Trapp, Trapp, Trapp. Sie läuft immer zwischen Weserstadion und der Überseestadt. Immer wieder. Derzeit jeden Montag auch einen langen Sonntagslauf über 35 Kilometer. Sonntags kann sie ja selten, da ist sie ja meistens im Einsatz.
Mit sechs Jahren, erzählt Wenke Schauer, sei sie zur Leichtathletik gekommen. Wettkämpfe gehörten schon immer zu ihrem Alltag, fast so wie heute die Einsätze auf Demos oder bei Fußballspielen. Sie rannte erst für den heimischen SV Fortschritt Neustadt-Glewe, später für den TuS Finkenwerder. Mit 19 kam sie zum Polizei-Studium nach Bremen, sie lief für den TuS Huchting oder OT Bremen. 2006 schaffte sie 12:55,61 Minuten über 3000 Meter Hindernis. Das ist kein Tempo, um Geld mit dem Laufen verdienen zu können, aber keineswegs eine Allerweltsleistung. Der Bremer Leichtathletik-Verband führt ihre Zeit immer noch als Landesrekord.
Heute laufe sie nicht mehr im Verein. Eher für sich. Oder mit Kolleginnen. Eine aus ihrem Zug ist gerade den Berlin-Marathon mitgerannt. Eine andere ist schwanger, sonst wäre sie womöglich auch angetreten fürs Team Polizei Bremen beim Bremen-Marathon. Seit einigen Jahren schon wisse sie, dass Bremen mal dran ist mit der Polizeimeisterschaft, sagt Wenke Schauer. Der Marathon-Gedanke wabere schon länger in ihrem Kopf. Lange habe sie ihn vor sich hergeschoben. Sie haderte. Büßt sie an Grundschnelligkeit ein, wenn sie für den langen Kanten trainiert?
An den Plan halten
Der Gedanke ist weg. Die Gedanken sind jetzt eher: Ruhig, ruhig. Stürme nicht los wie ein aus der Box befreites Rennpferd, halte dich an deinen Plan. 4:40, 4:45 Minuten pro Kilometer. Wenn es dir zehn Kilometer vorm Ziel noch richtig gut geht, kannst du ja immer noch schneller werden.
Da ist nur dieses kleine Bergauf-Problem gegen Ende des Marathons. Dann geht es am Weserstadion die Rampe hinauf zum Osterdeich. Bergauf, das sei dann mal so gar nicht in ihrer DNA, sagt Wenke Schauer. Treppen steigen? Ein Graus. Man darf sich bei ihr also auch folgende Konstellation vorstellen: Eine Polizistin, Anfang 30, schlank und lauferprobt, kommt im Einsatz keuchend die Treppe herauf und entschuldigt sich oben erst mal, dass sie noch kurz auskeuchen muss. Ja, so sei das bei ihr, sagt Wenke Schauer.