Es ist erst ein Jahr her, da drohte Werder aufzusteigen. Man muss das so formulieren, denn auf einen Aufstieg in der erste Liga wäre die Handball-Abteilung der Grün-Weißen nicht wirklich vorbereitet gewesen. Jahrelang ging es in der 2. Bundesliga gegen den Abstieg, doch nach dem Trainerwechsel von Robert Nijdam zu Timm Dietrich standen die Bremerinnen lange auf dem ersten Platz – weil sie auch die engen Spiele gewannen. Das mit dem Aufstieg hatte sich im Winter erledigt: Der Mannschaft wurden vier Punkte abgezogen, Grund war ein Verstoß des Lizenznehmers SV Werder Bremen GmbH & Co KG aA gegen die Statuten wegen des negativen Eigenkapitals. Dieses Problem hatten im Prinzip zwar die Fußballer verursacht, aber die Handballerinnen mussten es ausbaden. Die Nachricht wirkte wie das Ziehen eines Steckers: Werder rutschte in der Tabelle ab, landete aber auf dem achten Platz – die beste Platzierung in der Bremer Zweitligageschichte.
Ein Aufstieg wäre mit Konsequenzen verbunden gewesen, wahrscheinlich hätte sogar der Spielort gewechselt werden müssen, weil die Klaus-Dieter-Fischer-Halle nicht den Vorgaben für die höhere Liga entspricht. Zwei Tribünen auf den Längsseiten wären zum Beispiel gefordert, mit einer Kapazität für 1500 Zuschauer. Das bietet in Bremen die ÖVB-Arena. Die sportliche Herausforderung wäre ebenfalls happig, denn Erstliga-Handball wird mit anderer Intensität gespielt. Das merkten die Bremerinnen, als sie im Sommer in einem Testspiel und im Pokal jeweils deutlich gegen Erstligist VfL Oldenburg verloren. Von den Finanzen ganz abgesehen, denn ein Erstliga-Etat müsste etwa doppelt so hoch sein wie jetzt. Auch deshalb tun sich viele Aufsteiger so schwer, in der ersten Liga anzukommen. „Das wäre in allen Belangen eine große Herausforderung“, weiß Werders Trainer Timm Dietrich, „aber man könnte für alles auch Lösungen finden.“
Weil sie Leistungssport betreiben, stellt sich auch intern die Frage: Wo wollen sie hin? Reicht es, ein etablierter Zweitligist zu sein? Oder ist an einem handballverrückten und traditionsreichen Standort wie Bremen mehr möglich? Um diese Fragen geht es auch in den Gesprächen, die Werders Handball-Abteilungsleiter Martin Lange mit Dietrich wegen der weiteren Zusammenarbeit führt. Der Zweijahresvertrag des Trainers läuft am Ende der Saison aus. Um in Vollzeit Handball zu trainieren, hat der frühere Oberliga-Torhüter Dietrich seinen Beruf als Lehrer (Deutsch und Geschichte) ruhen lassen.

Treffer vor vollen Rängen: Elaine Rode trifft für Werder im Heimspiel in der Klaus-Dieter-Fischer-Halle.
Sein Aufwand ist groß, denn Dietrich wollte von Beginn an nicht nur verwalten, sondern gestalten. Zu den sechs Trainingseinheiten der Mannschaft kommen zwei Athletik-Einheiten, auch mehrere Video-Analysen stehen auf dem Programm. Die Athletik ist ein Schwerpunkt, denn hier hat das Team das gößte Potenzial. Weil nicht alle Spielerinnen aus beruflichen Gründen jede Einheit mitmachen können, wird noch individuell im Fitness-Studio gearbeitet. In den ersten Monaten der Zusammenarbeit war es Dietrich wichtiger, möglichst schnell eingespielt zu sein und die neuen Spielzüge zu üben. Seit dem Winter aber gibt es einen Athletiktrainer.
„Die Spielerinnen merken, dass ihnen das etwas bringt“, sagt Dietrich, dessen Überlegungen auch auf die älteren Jugendmannschaften zielen: Denn in Sachen Athletik, Sprungkraft oder Torabschluss unter Druck können A- und B-Jugendliche im Handball enorme Entwicklungsschritte machen. Deshalb meint der Trainer: „Wenn wir ein Zweitligist mit guten Platzierungen sein wollen, sollten wir den Jugendbereich mitdenken.“ Auch, um regionale Talente für die erste Mannschaft zu entwickeln.
Sonnabend Heimspiel gegen Leipzig
Der Torabschluss ist ebenfalls ein Trainingsschwerpunkt, denn bei freien Würfen vergibt Werder zu oft wertvolle Gelegenheiten. Hier arbeitet Dietrich an den Details: Verzögerung, Automatismen, Selbstvertrauen.
Neun Spielerinnen sind unter ihm neu zum Kader gestoßen, einige aus dem Großraum Hannover, in dem sich der Trainer besonders gut auskennt. Die Torhüterin Yasmin Friesen und Kreisläuferin Benita Zemke trainierte er früher schon selbst. Es ist also eine Handschrift zu erkennen, wobei Co-Trainer Radek Lewicki mit seiner Erfahrung wichtig bleibt: Als Dietrich zuletzt krankheitsbedingt fehlte, füllte Lewicki routiniert die Chefrolle aus.
Mit dem 25:20-Sieg gegen die Kurpfalz Bären hat Werder die ersten Punkte der Saison geholt. Dabei half, dass die neue Spielmacherin Emma Ruwe in engen Situationen Verantwortung übernahm wie früher Denise Engelke, die ihre Karriere beendet hat. Im Heimspiel am Sonnabend gegen HC Leipzig (18.30 Uhr) soll der zweite Sieg folgen. Das Saisonziel ist klar: „Wir wollen den achten Platz und die Leistung bestätigen“, sagt Dietrich, „zwei Punkte mehr als damals wären toll.“
Im Winter wird Rückraumspielerin Lena Thomas nach einer Schulter-OP zum Team stoßen, Leistungsträgerin Alina Defayay (Kreis) fehlt wegen einer Ellbogenverletzung wohl die ganze Saison. Neben Engelke war Defayay ein Eckpfeiler. Perspektivisch würde Dietrich den SV Werder gern zu einem Zweitligisten entwickeln, „der vorzeitig sicher die Klasse hält“. Denn wenn das erreicht ist, kann der Blick automatisch nur noch nach oben gehen.