Niemand kann sagen, ob das was wird. Olympia, was für ein Ziel. Karina Schönmaier, die dieses Ziel hat, ist gerade 15. Aber niemand wird, wenn es denn klappt, sagen können, dass er nicht gewusst habe, was für ein Ausnahmetalent die Turnerin aus Huchting schon immer gewesen ist. Zumindest nicht, wenn er mitbekommen hat, was Katharina Kort sagt. Frei übersetzt könnte man das, was Kort, die Trainerin, über ihre Athletin sagt, so formulieren: Karina Schönmaier wurde von der Muse geküsst. Eine herausragende Begabung. Seit Neuestem ist sie Deutsche Jugendmeisterin. Gold im Mehrkampf, dazu Gold am Schwebebalken, Silber am Boden, Bronze am Sprungtisch.
Das mit der Muse ist nichts, was Katharina Kort im Laufe der Jahre klar wurde. Eher etwas, was sie immer wieder bestätigt fand. An der Hand ihrer Mutter sei die damals fünfjährige Karina Schönmaier in der Halle des TuS Huchting erschienen. Turnte prompt, so erzählt es Katharina Kort, die Flickflacks nach, die die anderen Mädchen da machten. Die Trainerin fragte sich, wie das denn sein könne, und fragte die Mutter, ob dieses Mädchen schon mal geturnt habe. Antwort: Nö, nur getanzt. Seit diesem Tag arbeiten Kort und Schönmaier zusammen.
Nur der Donnerstag ist trainingsfrei
Es ist inzwischen ein richtiges Projekt. Ein spezielles Projekt könnte man sagen. Nix Sportinternat, nix Bundesstützpunkt, das ist bis dato zumindest nicht der Weg, der begangen wird. Quasi mit Bordmitteln versucht sich in diesem Fall eine kleine Zelle, ohne die Segnungen des großen Sportfördersystem zu behaupten und an die Spitze zu gelangen. Nicht linear, aber vielleicht doch ein wenig vergleichbar mit dem Familienbetrieb, der sich gegen die Großkonzerne des Landes behauptet. In Berkheim, wo zuletzt die nationalen Titelkämpfe der ältesten Jahrgänge unterhalb der Senioren-Klasse abgehalten wurden, sah es jedenfalls so aus: Die Zweitbeste war ein Mädchen aus dem Sportinternat in Chemnitz. Die Beste war das Mädchen aus Bremen.
Das Mädchen aus Bremen wollte nicht nach Chemnitz. Nach Hannover ist sie immerhin mal zum Training gefahren. „In einem Stützpunkt würde sie niemals klarkommen“, sagt Katharina Kort. Ihre Athletin sei keine, die sich einzwängen lasse. Sei eine, die ihr familiäres Umfeld und vertraute Ansprechpartner brauche. Wenn die Trainerin über die Athletin spricht, darf man sich eine spezielle Mischung aus Introvertiertheit und Freigeist vorstellen, so merkwürdig das auch klingen mag.
So sehr, wie die junge Turnerin auf die Personen in ihrem Umfeld fixiert sei, so eigenwillig, um nicht zu sagen: stur, könne sie auch sein. Sie würde im Training, anders als die, die man gemeinhin unter einer Trainingsweltmeisterin verstehen würde, nur das machen, was sie auch machen wolle. An ein neues Element wage sie sich nicht deswegen heran, weil die Trainerin das anordnet. Sondern erst dann, wenn sie mit dem neuen Element eine Art inneren Frieden geschlossen hat. Ist das geschehen, erlerne sie den neuen Schwierigkeitsgrad viel schneller als andere, sagt Katharina Kort. Wenn es im Fußball so etwas wie Instinktfußballer gibt, dann sei Karina Schönmaier eben eine Instinktturnerin.
Das wäre nicht zu verwechseln mit Trainingsfaulheit. Faulheit wäre wohl die sehr falsche Richtung. Es sei immer nur Turnen in ihrem Kopf, die ganze Zeit. Zumindest sagt sie „Ja“ auf die entsprechende Nachfrage. Morgens um sechs stehe sie auf. Dann eine Stunde Schulweg ans andere Ende der Stadt, zur Ronzelenstraße. Dann Training. Außer donnerstags, da ist den ganzen Tag Schule. Stattdessen sonntags Training. Ein- bis zweimal pro Woche Training bei Blau-Weiß Buchholz, die haben eine super Halle. Für Blau-Weiß startet sie auch auf Wettkämpfen und steht im Aufstiegskampf von der zweiten in die erste Bundesliga. Alle drei Monate kommt Trainer Artem Nykytenko aus der Ukraine angeflogen. Bisweilen gibt dazu Ex-Bundestrainer Wolfgang Bohner Lehrgänge. Die frühere Europameisterin und Olympionikin Dariya Zgoba aus der Ukraine gibt Tipps für die Choreografie und zählt ebenfalls zum Team Schönmaier, wenn man das so nennen darf. Der Vater von Katharina Kort ist der Physiotherapeut. Und natürlich zählt auch die Mutter der Turnerin zu diesem Team. Sie sei wie auch die Trainerin einst aus Russland nach Bremen gekommen, wo 2005 ihre Tochter Karina als drittes von drei Kindern geboren wurde.
„Karina ist zum Turnen geboren“, schwärmt Katharina Kort im Jahr 2020. Der Weg, der ein Mädchen mit tollem Körpergefühl und außerordentlich hoher Auffassungsgabe für neue Elemente bis zu Olympia bringt, ist hart und sperrig. Allem Talent zum Trotz. Die Bremer Sportstiftung hilft etwas, finanziell ist das Team Schönmaier dennoch keines, das auf dick gefüllte Konten zurückgreifen kann. Der Stammverein der Turnerin kann das nicht, die Familie der Turnerin kann das auch nicht. Die Mutter arbeite als Reinigungskraft, erzählt Kort. Der Vater sei gestorben, als Karina Schönmaier drei war.
Aber sie will das schaffen in diesem besonderen Selfmade-Modell. Sie will dabei sein, wenn im Jahr 2024 in Paris die Spiele beginnen. Introvertiertheit hin oder her, wer will bei einem 15-jährigen Mädchen im Schnellverfahren schon ein verlässliches Psychogramm erstellen? Jedenfalls hat Karina Schönmaier auf die Frage nach Paris ganz zweifelsfrei gesagt: „Ja.“