In gewisser Weise ist es ein Ende: Julian Stöhr hat seinen Vertrag bei Weiche Flensburg aufgelöst und ist zum FC Oberneuland gewechselt. Auf den ersten Blick hat sich damit nicht komplett alles geändert, tritt der Kicker doch nach wie vor in der Regionalliga Nord an. Einzig die Staffel ist rein nominell eine andere, ging es für Stöhr doch vom Norden in den Süden. Es hat sich darüber hinaus aber schon eine Menge getan im Leben des 22-Jährigen: In Flensburg hatte Julian Stöhr einen Vertrag, der dem eines professionellen Fußballspielers schon recht nahe kommt. Er wohnte in einer Wohnung, die ihm der Verein stellte, und kassierte daneben ein Gehalt, vom dem er leben konnte. In Oberneuland gibt es dagegen für keinen Spieler mehr als 250 Euro zu verdienen. Diese Summe lässt sich durch Erfolgsprämien zwar etwas steigern. Aber selbst wenn die Bremer die Staffel Süd anführen würden, läge ihr Verdienst noch immer deutlich unter dem von Julian Stöhr bei Weiche Flensburg.
Der Neuzugang tritt nun eine Arbeitsstelle als Elektriker an, in Vollzeit. Er sagt: „Es war immer mein Traum, vom Fußball zu leben.“ Warum hat er den bis zum Sommer datierten Vertrag dann aufgelöst? „Das war eine Mischung aus vielen Faktoren“, sagt Julian Stöhr. Ein Faktor war sportlicher Natur: Nachdem er in der vergangenen Saison zu den Stammkräften zählte, hat er zuletzt oft auf der Bank Platz nehmen müssen. Der neue Trainer – im Sommer folgte Thomas Seeliger auf Daniel Jurgeleit – verfolgt andere Pläne. Daneben gibt es aber noch weitere Gründe für den Wechsel. So lebte Junian Stöhr in Flensburg sehr weit entfernt von der Familie in Emden. Er findet, angesichts der vielen Freizeit habe er zudem „vor sich hingegammelt“. Den Rest hätte ihm schließlich die Corona-Pandemie und die damit verbundene Unsicherheit gegeben. Deshalb sei es das Beste gewesen, die Zusammenarbeit mit Weiche zu beenden.
Ist er vielleicht einfach nicht geschaffen für den so genannten bezahlten Fußball? Fehlen ihm womöglich Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen? Es gibt sicher Spieler, auf die diese Beschreibung zutreffen würde. Auf Julian Stöhr trifft sie nicht zu. Dafür hat er in den vergangenen Jahren viel zu viel geleistet und investiert. Es begann im Sommer 2014. Werder verpflichtete das Talent von Kickers Emden. Weil weder im Internat noch in den eigenen Wohnungen etwas frei war (Stöhr: „Angeblich“), zog der junge Kicker in eine eigene Wohnung an den Wallanlagen – mit gerade mal 16 Jahren.
Dank starker Leistungen nach Flensburg
Es sollte nicht lange dauern, ehe Julian Stöhr zusätzlich zum viermaligen Training in der Woche noch eine Ausbildung als Elektriker für Betriebstechnik begann. „Ich bin morgens um sechs Uhr raus, zur Arbeit und hatte nach dem Training um 20 Uhr Feierabend“, erinnert er sich. Das ging einige Jahre gut. Doch in der letzten U 19-Saison verletzte er sich am Knie und verlor den Anschluss. Da Werder fortan nicht mehr auf ihn setzte, zog er 2017 zum BSV Rehden, wurde ein halbes Jahr später von der Spielvereinigung Drochtersen/Assel entdeckt und landete dank starker Leistungen 2019 schließlich bei Weiche Flensburg, einem der Spitzenvereine in der Regionalliga Nord.
Es liegen quasi schon zwei beachtliche Aufstiege hinter ihm. Nun macht er freiwillig Schluss, geht nach Oberneuland und arbeitet im alten Ausbildungsbetrieb. „Ich möchte mich so früh wie möglich beim FCO einbringen und helfen, die Klasse zu halten“, sagt Julian Stöhr. So ganz sind die Gedanken an den anderen, etwas größeren Fußball nicht verflogen: „Ich setze jetzt Prioritäten, aber ich denke schon, dass ich noch mal höher spielen könnte.“ Oft ist ein Ende ja auch ein neuer Anfang.