Zuletzt war die Suche nach einem neuen Trainer ein bisschen kompliziert geworden, vor allem geprägt von Zeitnot: In der vergangenen Saison hatte Vatan Sport in Ugur Biricik und Turan Büyükata zwei renommierte Übungsleiter auf der Bank. Da würde ja wohl mindestens einer für die kommende Spielzeit zur Verfügung stehen. Das dachte man jedenfalls im Verein. Doch weil Biricik sich früh für die SG Aumund-Vegesack entschieden hatte und Büyükata im Mai ein Angebot von Rot-Weiß Ahlen annahm, stand man dann doch ohne Trainer da. Also wurden kurzfristig Gespräche geführt, schließlich warten ja auch zu einem späten Zeitpunkt noch immer genug Kandidaten auf einen Posten in der Bremen-Liga. „Aber da gab es keinen Wow-Effekt“, sagt Mert Sait. Der 26-Jährige tritt nun selbst an und übernimmt das Traineramt der Vatanesen. Darauf wäre man nicht so leicht gekommen.
Denn eigentlich – sein vergleichsweise junges Alter gibt bereits einen Hinweis darauf – ist Sait ein Vatan-Kicker. Er wird deshalb auch als Spielertrainer geführt, ganz offiziell. Wie oft Mert Sait tatsächlich auf den Platz stehen wird, ist derzeit nicht ganz klar. Die Unsicherheit resultiert jedoch nicht aus seiner neuen Doppelfunktion. Hinter Sait liegen vielmehr zahlreiche Verletzungen, und aktuell, mittlerweile seit vier Jahren, laboriert der Offensivspieler an einer weichen Leiste. Ganze acht Punktspiele mit vier Toren vermochte Sait in der vergangenen Saison beizusteuern. Er sagt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder ausfalle, ist hoch – aber als Trainer kann ich dem Verein wenigstens etwas zurückgeben.“
In gewisser Weise beschreiben diese Worte auch, wie Mert Sait an die neue Aufgabe gekommen ist. Er war aus familiären Gründen im letzten Sommer von Berlin nach Bremen gewechselt. Denn Vatan-Keeper Burak Dilek ist sein Schwager und bot ihm als Inhaber einer Immobilienfirma einen Job an. Zudem ist er Sponsor des Vereins und genießt einen gewissen Einfluss. Deshalb war Dilek auch in die Trainersuche involviert. Seinen mit Fußball-Erfahrung versehenen Verwandten Mert Sait brachte er zu den Gesprächen mit. Als sich immer mehr abzeichnete, dass sich auf die Schnelle wohl kein passender Übungsleiter finden ließe, wurde nach einer internen Lösung gesucht. „Und irgendwann fiel mein Name“, erinnert sich Sait.
Er kennt sich nach vielen Jahren als aktiver Kicker aus im Geschäft. Mit allzu großer Erfahrung als Trainer ist der neue Mann auf der Vatan-Bank allerdings noch nicht versehen. Die ein oder andere Jugendmannschaft hat er zwar trainiert. Aber in die Ausbildung zum Übungsleiter ist Mert Sait gerade erst gestartet. Er will trotzdem „etwas weitergeben“ an seine Spieler und wird ihnen wohl auch viel aus der eigenen Karriere berichten. „Ich habe mich früher auf meinem Talent ausgeruht“, sagt Sait. Er war in der U19 von Union Berlin angetreten und galt als ziemlich guter Nachwuchsspieler. Doch aus der steilen Karriere wurde nichts, und das ist auch auf eine beispiellose Verletzungshistorie zurückzuführen.
Es begann mit 18 Jahren, im zweiten Jahr als A-Jugendlicher, also kurz vor dem Aufstieg in den Herrenfußball: Ein Kreuzband- und Meniskusriss zwang Mert Sait zu einer Pause. Rund zwei Jahre sollte die Auszeit dauern. „Den wichtigsten Schritt zu verpassen, hat mich extrem geprägt“, sagt Mert Sait. Es reichte danach „nur“ noch für die Regionalliga, der Angreifer trat beim FC Strauberg, in Fürstenwalde sowie bei Tasmania und TeBe Berlin an. Allerdings wurden diese Stationen regelmäßig von weiteren Verletzungen geprägt. Bevor die weiche Leiste für Schmerzen und Ausfallzeiten sorgte, war das Außenband gerissen, zudem hatte sich Sait einen Leistenbruch zugezogen.
Er sieht nun durchaus einen Zusammenhang zwischen seiner einstigen Haltung, also dem festen Vertrauen auf das eigene Talent, und den vielen Blessuren. „Ich habe nicht viel trainiert, und jetzt bekomme ich die Quittung“, sagt Mert Sait. Der eigene Einsatz präge nämlich nicht allein die spielerischen, taktischen und athletischen Fähigkeiten eines Fußballers. Er wirke sich auch auf dessen körperliche Robustheit aus. Nur interessierte sich Mert Sait in seinen jungen Jahren eben nicht so richtig für all die stabilisierenden Maßnahmen: Er verzichtete auf jede Art der Vorbeugung und suchte auch nicht den Kontakt zu den Physios seiner Vereine. Für Sait reichte damals aus, dass er „immer viel Zuspruch“ bekam.
"Ernährung und Schlaf sind wichtig"
Abschließend lässt sich natürlich nicht klären, ob es mit einem entsprechenden Einsatz anders gelaufen wäre. Aber Mert Sait ist überzeugt davon, dass er „mit einer höheren Wahrscheinlichkeit“ weniger Verletzungen gehabt hätte. „Ohne harte Arbeit kommst du nicht weit“, sagt Mert Sait. Er bezieht diese Feststellung aber nicht nur auf das Training und die Ausbildung des eigenen Körpers. „Man muss daneben auch auf die Ernährung und seinen Schlaf achten“, betont der Vatan-Trainer. Das klingt nun endgültig sehr ambitioniert, wie ein Auszug aus dem Karriereplan eines Jungprofis.
Sind diese Anforderungen an einen Bremen-Liga-Spieler nicht doch ein bisschen überhöht? „Wir haben viele Spieler aus den Jahrgängen 2004 bis 2006, und sie träumen von der Regionalliga“, sagt Mert Sait. Spätestens in der vierten Liga würde von einem Spieler aber eine mehr oder weniger professionelle Haltung erwartet. Wer sich auf das Leben im überregionalen Fußball vorbereiten möchte, sollte deshalb schon in der Bremen-Liga nach dessen Maßstäben arbeiten. „Aber viele junge Leute sind ein bisschen bequem geworden“, sagt Sait. Das klingt etwas komisch aus dem Mund eines zukünftigen Spielertrainers, der bis vor wenigen Jahren selbst noch zu diesen „jungen Leuten“ zählte. Aber vielleicht hören ihm die Vatan-Kicker ja gerade deshalb sehr genau zu. Er hat offenbar genug zu erzählen.