Mal angenommen, einer rennt so schnell, wie er noch nie zuvor gerannt ist. Wenn er wirklich sehr schnell unterwegs war, und wenn er hinterher sagt, das war so lala, dann: muss das ja etwas aussagen über den betreffenden Renner. Im Fall des Werder-Sprinters Fabian Linne kann das nichts anderes aussagen, als dass sich sein Horizont doch sehr erweitert hat. Dass die Ansprüche an sich selbst sehr gestiegen sind.
Am Wochenende in Jena jedenfalls ist Fabian Linne über seine Spezialstrecke, die 200 Meter, 21,34 Sekunden gelaufen. Das war erstens Bestzeit und zweitens definitiv schnell. Vor allem unter Berücksichtigung von Karriere-Dauer und Alter. Linne sprintet noch nicht so lange ernsthaft, er wird im August erst 19 Jahre alt. Seine Zeit in Jena bedeutete in seiner Altersklasse Rang zwei hinter Elias Goer aus Wetzlar, der 20,96 Sekunden schaffte. Außerdem bedeutete Linnes Zeit Rang drei unter den schnellsten U 20-Sprintern des Landes. Nur Goer und der Stuttgarter Alexander Czysch (21,20) stehen in der deutschen Rangliste nun vor dem Bremer. Bis auf Czysch hatten sich in Jena alle U 20-Schnellfüße in die Startblöcke gehockt.
21,34. Bei guten, aber nicht idealen Bedingungen, weil 0,0 m/sec. Rückenwind. Das ist einerseits eine prima Sache, reicht aber andererseits nicht, um das zu erreichen, was Fabian Linne erreichen will in diesem Sommer. Er will dabeisein, wenn Mitte Juli im schwedischen Boras die Europameisterschaften der U 20 ausgetragen werden. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat dafür eine Normzeit von 21,30 Sekunden festgelegt. Das ist unabdingbare Voraussetzung neben der Sowieso-Pflicht, mindestens unter den drei besten Deutschen zu sein. Diese mickrigen vier Hundertstel. Fabian Linne sagt, er wird das schon noch hinbekommen mit der Norm, er hat dazu bei drei Wettkämpfen in den nächsten drei Wochen noch insgesamt viermal die Gelegenheit. Aber wer weiß, wie das jeweils wird mit dem Wind, mit dem Wetter, mit der Form.
Er war gut in Form vor Jena. So hatte er das von sich angenommen vor dem Start. Die Trainingslager im April, eines mit Werder in Kienbaum, ein zweites in Portugal mit dem DLV, hatten den deutschen Vize-Hallenmeister der U 20 erwartungsvoll auf das Meeting in Jena blicken lassen. Vor zwei Wochen war er zum Auftakt der Sommer-Saison Bestzeit über 100 Meter gerannt, und über 200 Meter 21,68 Sekunden. Der Start und die Kurve seien super gewesen, hatte sein Trainer Andriy Wornat geurteilt, danach sei er zu verkrampft gelaufen.
An diesem Wochenende hatte Linne mit einer Zeit an die 21 Sekunden heran geliebäugelt. Der Lauf zeigte ihm dann: Er hat das drauf, er kann es aber noch nicht vollständig umsetzen, was er drauf hat. „Ich hatte schon deutlich schönere Läufe“, urteilt der Werder-Sprinter. In den kommenden drei Wochen gilt es für ihn nun, die richtige Balance zwischen Fokussierung und Lockerheit zu erwischen. Ende Juni wird der DLV für Boras nominieren.
Nur wenn Linne die 21,30 unterbieten, darf er antreten in Boras. Er ist zwar aktuelles Mitglied der A-Staffel des Verbandes. Und diese Staffel war in Jena – mit Linne auf Position zwei der 4x100 Meter – erstens schneller als die B-Staffel, zweitens war sie auch deutlich schneller als die Boras-Normzeit. Die liegt bei 40,75 Sekunden, die vier flinken jungen Männer hatten in Jena die Stadionrunde in 39,20 Sekunden umkurvt. Der Bundestrainer sei sehr angetan gewesen, erzählt Fabian Linne.
Der schnelle Bremer wird aber auch in der EM-Staffel nur unter einer Voraussetzung antreten dürfen. Er muss die Norm über eine Einzelstrecke vorweisen, das ist die DLV-Bedingung für einen EM-Start. Also: Die vier Hundertstel, die sind wirklich mickrig, aber sie stehen da halt vorerst. Sie müssen halt weg, sonst wird das nichts mit dem Saisonziel.
Die Saisonziele: Im weiteren Sinne gehörte zu ihnen auch Frage, ob Fabian Linne, der gerade seine Abiturprüfungen absolviert hat, auch in den kommenden Jahren in Bremen bleibt und für Bremen startet. Analog zu den 21,34 Sekunden über die halbe Stadionrunde könnte man hier sagen: Sieht gut aus, steht aber noch unentschieden.
Linne bleibt in Bremen
Fabian Linne hat sich, nach reiflicher Überlegung, wie er es schildert, für eine mindestens drei Jahre währende Ausbildung bei Lürssen entschieden. Heißt: Er bleibt in Bremen. Ob er auch beim SV Werder bleibt, kann gut sein, steht aber noch nicht endgültig fest. Zwar sei es mit der Klubführung mündlich besprochen, ein konkretes Vertragswerk liege ihm aber noch nicht vor, sagt der Sprinter. Theoretisch könnte er zum Jahreswechsel den Verein wechseln, um demnächst als Bremer für einen nicht-bremischen Verein zu starten.
Zumindest ist aber ein Umstand vom Tisch, den man als Klassiker im Bremer Spitzensport bezeichnen darf: Ein junges hoffnungsvolles Bremer Talent verlässt Bremen, weil es anderswo bessere Bedingungen vorfindet, mehr gefordert und gefördert wird, mehr Geld verdienen kann. Wobei es in einer Sportart wie der Leichtathletik mehrheitlich zunächst mal um ein paar hundert Euro handelt und nicht um ein Millionen-Angebot eines x-beliebigen Bundesligisten.
Fabian Linne, das ist die gute Nachricht für ihn, kann das alles jetzt einigermaßen gelassen angehen, auch wenn diese doofen vier Hundertstelsekunden da erst mal noch stören. Sein Talent, sein Standing, das er sich inzwischen erlaufen hat, sollte für einen Vertrag in seinem Sinne ausreichen. Und diese 21,34 Sekunden von Jena sind eine Ausgangslage, mit der sich arbeiten lässt in den nächsten Wochen. Das sind sie definitiv.