Auf den Geschmack war das Staatsarchiv Bremen schon lange gekommen. Bereits seit 20 Jahren stand die Einrichtung in Kontakt mit den Hütern des Firmenarchivs der Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft, kurz: Kaffee Hag. Nun konnte das Staatsarchiv endlich Vollzug melden: Bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz verkündete Archivleiter Konrad Elmshäuser am Montag den „wertvollen und einmaligen Zugang“ des Hag-Firmenarchivs aus der Obhut des Kaffee- und Teeunternehmens Jacobs Douwe Egberts (JDE). Über den Wert des Materials für die Stadtgeschichte wie auch die Wirtschafts- und Sozialgeschichte hegt Elmshäuser keinen Zweifel. „Vielleicht ist Hag die stärkste Marke, die jemals in Bremen auf den Markt gebracht wurde“, sagt er. „Darin steckt ganz viel bremische Identität.“
Der Umfang des Firmenarchivs kann sich sehen lassen. Rund 100 laufende Regalmeter sind nach und nach ins Haupthaus gelangt. „Komprimiert aus circa 500 Regalmetern“, so Elmshäuser. Dazu gehören Dutzende Meter Leitz-Ordner mit zahlreichen geschäftlichen Korrespondenzreihen sowie die mehr oder weniger komplett übernommene Werbeabteilung mit Plakaten, Entwürfen, Verpackungen und Fotos. Um Platz zu schaffen für den neuen Bestand musste das Staatsarchiv sogar einer Behörde kündigen. Denn: „Im Staatsarchiv herrscht eine dramatisch knappe Magazinsituation.“
Patent von 1906 dabei
Zum Zuwachs zählt auch das Original der Patenturkunde von 1906, mit der Ludwig Roselius sein neuartiges Entkoffeinierungsverfahren schützen ließ. „Damit hat er den Grundstein für einen Weltkonzern gelegt“, sagte Elmshäuser. Kaffee stand damals als Gesundheitsrisiko zunehmend in der Kritik, Kaffee ohne Koffein war deshalb ein echter Clou für ein Unternehmen der Kaffeebranche. Allerdings musste der koffeinfreie Kaffee auch vermarktet werden. Das schaffte Roselius, indem er „von Anfang an auf konsequente Markenwerbung setzte“, wie Jörn Brinkhus sagte, im Staatsarchiv zuständig für das Schriftgut der bremischen Wirtschaft.
Wie gewieft die Marketing-Strategen aus dem Hause Hag waren, erwies sich nicht zuletzt bei der internationalen Vermarktung. Weil die Franzosen sich bekanntermaßen schwer tun bei der Aussprache des „H“, firmierte Kaffee Hag in Frankreich als „Sanka“, kurz für „sans caffeine“, zu deutsch: ohne Koffein.
Was für Kaffee Hag galt, galt ab Ende der 1920er-Jahre auch für die zweite Erfolgsmarke: Kaba, kurz für Kakao- und Bananenpulver. Das kakaohaltige Mischgetränk wurde als „Der Plantagentrank“ auf den Markt gebracht und sollte auch Erwachsenen munden. Davon zeugen alte Werbeprospekte, die die wohltuende Wirkung für Mütter und Schwangere preisen. Nach der Auszeit im Zweiten Weltkrieg wurde Kaba einer neuen Zielgruppe schmackhaft gemacht: den Kindern. Zahlreiche Fotos belegen, welche Breitenwirkung die Werbekampagne entfaltete. Ein abermaliger Marketingerfolg, der ganz im Sinne des bereits 1943 verstorbenen Firmengründers Roselius gewesen sein dürfte.
Selbstverständlich ist die Übernahme des Hag-Bestands nicht. Denn laut Archivgesetz sind nur Behörden, Gerichte und andere Stellen von Stadt und Land Bremen verpflichtet, ihre nicht mehr benötigten Unterlagen dem Staatsarchiv anzubieten. Auf die freie Wirtschaft erstrecke sich das Archivgesetz „natürlich nicht“, betonte Elmshäuser. Weshalb bedeutende Bremer Unternehmen auch nicht unbedingt im Staatsarchiv vertreten sind. Als Beispiele dafür können der Norddeutsche Lloyd ebenso wie die AG Weser oder der Automobilkonzern Borgward herhalten.
Anders im Falle von Kaffee Hag. Als das Unternehmen Jacobs Douwe Egberts, das aktuell die Rechte an der Bremer Traditionsmarke besitzt, seinen Verwaltungssitz an der Langemarckstraße umbaute und modernisierte, stellte sich die Platzfrage für das Hag-Firmenarchiv. „Wir waren auf der Suche nach einem geeigneten, sicheren Standort“, sagte Firmensprecher Dirk Friedrichs. Dank der langjährigen und kollegialen Kontakte zum Staatsarchiv war eine Übereinkunft schnell erzielt. „Es ist schon ungewöhnlich, einen so großen Archivbestand angeboten zu bekommen“, sagte Elmshäuser. Mit einiger Genugtuung beurteilt der Archivleiter den Zustand des Firmenarchivs. In anderen Fällen lasse der zu wünschen übrig, doch die Hag-Unterlagen seien professionell in Rollregalanlagen aufbewahrt worden.
Neue Erkenntnisse über den völkischen Propagandisten Roselius erwartet Elmshäuser nicht. Gleichwohl sei seine Orientierung immer mal wieder erkennbar. Kein Wunder: Nicht nur mit der Böttcherstraße wollte Roselius nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg die deutsche Seele streicheln, das Gleiche hatte der Hitler-Bewunderer mit seinem Angelsachsen-Verlag, dem Nordischen Thing und völkischen Publikationen im Sinn.
Der neue Bestand soll laut Elmshäuser „sehr zügig“ nutzbar gemacht werden. Ungefähr in einem halben Jahr werde die Aktenüberlieferung erfasst sein. Der Sammlungsbestand dagegen sei „sehr, sehr komplex“, deshalb könne es damit ein wenig länger dauern. Als Archivgut der Freien Hansestadt Bremen sind die Hag-Materialien dann frei nutzbar.