Wer als Städtebauer hoch hinaus will, landet längst nicht mehr automatisch im Abseits. „Nach einer langen Phase der Kritik erlebt das Hochhaus eine Renaissance in Deutschland und Europa“, stellt der Stadtplaner Stefan Rettich fest. Umso wichtiger in seinen Augen, dass die Kommunen keinen „Wildwuchs“ zulassen, sondern Hochhauskonzepte erarbeiten. Konzepte mit grundlegenden Aussagen zu Standorten, Höhenentwicklung und Schutzzonen.

Stadtplaner Stefan Rettich setzt sich für ein Hochschulkonzept ein, das auch die Altstadt-Silhouette berücksichtigt.
In vielen Städten seien solche Konzepte schon entwickelt worden, sagt Rettich. Doch Bremen hinkt nach seinem Empfinden noch hinterher – weshalb der Professor schon mal vorprescht und zusammen mit Masterstudierenden der Universität Kassel einen Vorschlag für ein Hochhauskonzept für Bremen vorlegt. Zu sehen sind die Entwürfe ab Donnerstag in der Ausstellung „Stadtsilhouetten – Hochhäuser in Bremen und Europa“.
Sieben Teilräume für möglichen Hochhausbau in Bremen haben Rettich und seine Studierenden ausgemacht. Darunter auch ein paar Überraschungsgebiete. Als denkbarer Hochhaus-Standort taucht etwa das Areal des Neustädter Güterbahnhofs auf. „Weil es sich dabei um eine Art Stadt-Entree handelt“, sagt Rettich mit Hinweis auf den Blick von der B 75. Ein weiterer Kandidat für Hochhausbauten: der Hohentorshafen und das Beck’s-Gelände. Für Rettich handelt es sich um „Filetgrundstücke direkt an der Weser“. Derzeit seien dort Industrieanlagen zu finden, die eigentlich etwas Besseres verdient hätten. Nämlich eine angemessene Ergänzung durch moderne Hochhäuser.
Rettich spricht von Silhouetten zum Weiterbauen. „Hier bietet sich großes Potenzial zur Anknüpfung und zur Konversion durch neue Hochpunkte.“ Hochhäuser könnten sich auch an wenigen, aber ausgesuchten Knotenpunkten an der Friedrich-Ebert-Straße und Bürgermeister-Smidt-Straße finden. Ebenso an der Bahnstrecke aus Richtung Hamburg. Mit dem Fallturm, dem Fernsehturm und den Türmen der Bahnhofsvorstadt gebe es in diesem Bereich ohnehin schon markante Hochbauten. „Dort könnte eine neue Silhouette entstehen.“ Als quasi natürliche Hochhaus-Zone betrachtet der Stadtplaner die Bahnhofsvorstadt mit der Hochstraße bis zum Rembertikreisel.

Das könnte die Zukunft sein: ein markantes Hochhaus in der Airport-Stadt Bremen.
„Da braucht man nur an einem schon bestehenden Ensemble weiterzubauen.“ In diese Kategorie fallen auch die Airport-Stadt und die Überseestadt samt Kellogs-Areal. Das markanteste Kellogs-Gebäude würden die Studierenden als Erinnerung an eine auch schon historische Industrie-Silhouette erhalten, ansonsten Neubauten hinzufügen. Wobei für Rettich klar ist, dass allzu hohe Hochhäuser zu Bremen nicht passen. „In Bremen sprechen wir nicht über Hochhäuser von 200 Metern, das ist Quatsch.“ Vielmehr gehe es um Bauten von 30 bis 50 Metern Höhe. „Eigentlich braucht Bremen typisch bremische Hochhäuser, die gar nicht so hoch, aber voluminös sind.“
„Die Altstadt-Silhouette muss geschützt werden“
Um über die Fixpunkte des künftigen Hochhausbaus Klarheit zu erlangen, sind laut Rettich die Kommunen gefordert. „Um Investitionen und Begehrlichkeiten in städtebaulich sinnvolle Bahnen zu lenken.“ Dabei wirbt der Stadtplaner dafür, den Hochhausbau als Chance und nicht als Bedrohung zu sehen. „Hochhäuser können helfen, zentrale Punkte der Stadt und Knotenpunkte der Infrastruktur zu akzentuieren und damit neue Entwicklungen anzustoßen.“
Gleichwohl ist sich Rettich im Klaren darüber, dass Hochhäuser noch immer keinen leichten Stand haben. „Eine Grundskepsis ist da“, räumt der 49-Jährige ein. „Es ist nicht so, dass alle Städte auf den Hochhauszug aufspringen.“ Dabei spielt die Furcht vor der Zerstörung historischer Stadtstrukturen eine wichtige Rolle. Für Rettich eine berechtigte Sorge, daher müsse die Erstellung eines Hochhauskonzepts Hand in Hand gehen mit der Benennung unantastbarer Schutzzonen. „Die Altstadt-Silhouette muss geschützt werden“, gibt er als Devise aus. Dazu müsse freilich definiert werden, welche Bauten die Altstadt-Silhouette überhaupt umfasse.
Einen Sonderstatus genießen die Unesco-Schutzzonen, in Bremen der Roland und das Rathaus als das Innere des „Tempelbezirks“. „Weil Roland und Rathaus von außen aber ohnehin nicht wahrzunehmen sind, fallen sie auch nicht ins Gewicht, wenn es darum geht, die Altstadt-Silhouette zu identifizieren.“ Die setzt sich laut Rettich vielmehr aus drei Sakralbauten zusammen: dem Dom, der Liebfrauenkirche und der Martinikirche.
Den weithin sichtbaren Dom-Türmen komme ein besonderer Stellenwert zu, zusammen mit Liebfrauen- und Martinikirche bildeten sie ein „eindrückliches Ensemble“. Nicht zur Altstadt-Silhouette zählt Rettich die Stephanikirche. „Die sieht man eigentlich nur, wenn man relativ weit von Norden die Weser runterschaut.“ Habe man sich erst einmal über erhaltenswerte Sichtachsen und Schutzzonen verständigt, falle es viel einfacher, Räume mit Potenzial für den Hochhausbau zu benennen. „Für Investoren heißt das dann: Hier kann sich die Stadt möglicherweise Hochhäuser vorstellen.“
Die Ausstellung „Stadtsilhouetten – Hochhäuser in Bremen und Europa“ ist von Donnerstag, 15. März, bis Freitag, 23. März, von 10 bis 18 Uhr am Brill 19 zu sehen.