Täglich erhält Marcus Henke E-Mails von Bremerinnen und Bremern, die ihn um Hilfe bitten. Mal, so schildert es der Präsident der Bremer Landesjägerschaft, gehe es um Nutrias, die sich auf einem Schulgelände in einer künstlichen Wasseranlage aufhalten oder in Gemüsebeeten im Blockland für Ärger sorgten. Mal beschwere sich eine Anwohnerin über Krähen, die Singvögel in ihrer Hecke verscheuchten. Henke scrollt über seinen Bildschirm: Die Beschwerden über invasive Arten wie Nutrias und andere Populationen würden zunehmen, sagt er. Gleichzeitig komme die Landesjägerschaft mit der Bejagung kaum hinterher. Krähen stünden unter Schutz und dürften bislang nur in Ausnahmefällen bejagt werden. Bei den Nachbarn in Niedersachsen sei das anders. Über diese und viele andere Themen – wie über eine anstehende Novellierung des Jagdrechts – wollen sich Jägerinnen und Jäger auf der Mitgliederversammlung am Donnerstag, 24. April, um 19 Uhr in Becker's Restaurant in Frankenburg 27 in Lilienthal austauschen.
Die Novellierung des Jagdrechtes sei in Bremen längst überfällig, sagt Marcus Henke. Man sei darüber bereits seit über zwei Jahren in einem guten Austausch mit Behörden und Naturschutzverbänden. Grund für eine Überarbeitung der Gesetzesgrundlage seien veränderte Lebensräume von Mensch und Tier. "Für uns steht dabei der Arten- und Naturschutz mit an erster Stelle. Wir sind kein Schießbudenverein, wir kümmern uns unter anderem um die Bestände von invasiven Arten", unterstreicht Henke. Der Schutz der Deiche vor Hochwasser spiele dabei eine große Rolle. Durch die stetig wachsende Zahl der Nutrias sei dieser Schutz gefährdet, so der Präsident der Landesjägerschaft.
Das bestätigen auch Expertinnen und Experten aus Deich- und Naturschutzverbänden. "Bei jedem Nutriabau landet bis zu ein Kubikmeter Erde unweigerlich im Graben oder Fluss. Deichbrüche sind da programmiert", sagt Heike Behrens. Die Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Lilienthal-Grasberg ist für die Bejagung von Nutria, Waschbär und Marderhund. "Ganze Röhrichtbestände sind durch die Nutriabauten bereits an der Wümme verschwunden und damit auch die Lebewesen, die im Schilf ihre Heimat haben", sagt die Tierschützerin. Die Nutria vermehre sich so schnell, dass die Bremer Landesjägerschaft mit der Bejagung der invasiven Art „kaum hinterherkommt“, berichtet auch Stadtjägermeister Richard Onesseit. Der technische Leiter des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer, Rolf Dülge, ist ebenfalls alarmiert.
"Das Hauptproblem liegt aber nicht nur im Bereich der Deiche", unterstreicht Markus Henke. Gravierend seien auch die Veränderungen in den Naturschutzgebieten. "Reetflächen werden immer weniger – das kann man sogar auf Google Maps sehen." Die Nutrias würden die Flächen zerstören. "Sie sind ständig dabei, ihren Lebensraum zu erweitern." Andere Arten seien dadurch in Gefahr. Ein weiteres Problem sei die Ausbreitung von Kormoranen in Bremen. Die Stinte-Jäger würden die Fischbestände drastisch minimieren – auch darüber wolle man auf der Mitgliederversammlung sprechen.
Nutrias dürfen seit einigen Jahren zwar bejagt werden. Dennoch steige die Zahl der Population rasant an: Im Jahr 2017 habe man 200 Tiere getötet, 2018 waren es 500, für 2019/2020 meldete die Landesjägerschaft dem Deichverband 1300 bejagte Tiere. „Und die Zahlen steigen kontinuierlich weiter“, sagt Richard Onesseit. Der Stadtjäger berichtet von über 2173 getöteten Tieren im Jagdjahr 2022/23. Ein Jahr später waren es bereits 2469 Tiere. Zahlen für das laufende Jagdjahr liegen noch nicht vor, sagt Onesseit. Marcus Henke verweist jedoch darauf, dass allein in einem Jagdgebiet im Bremer Blockland mehr als 600 Tiere bejagt worden seien.
Laut Stadtjägermeister gibt es rund 80 Jägerinnen und Jäger, die die invasive Art in Schach halten. „Viele gehen täglich auf die Jagd“, sagt Onesseit. „Wir müssen der Situation habhaft werden.“ Laut Deichverband zahle man den Jägern eine Prämie pro Tier und bezuschusse den Kauf von Fallen. Doch weder das eine noch das andere reiche für eine erfolgreiche Bejagung der Populationen aus, stellt Marcus Henke klar. Es gebe viel Gesprächsbedarf – auch solle es um die Forderung der Bejagung von Krähen gehen – und um die Ausstattung der Jägerinnen und Jäger mit Nachtsichtgeräten.