Was wäre wenn? Bevis Fedder fragt sich das oft. Das ist Teil seines Jobs. Und ein anderer, die passende Antwort zu finden. Meistens darauf, wie auf gefährliche Situationen zu reagieren ist, bei denen es um giftige Stoffe im Wasser geht. Zum Beispiel Öl in der Weser. Wie an diesem Donnerstagmorgen beim Farger Kraftwerk.
Es ist eine Übung. Ein Schlepper auf der einen Seite, ein zweiter auf der anderen. Und dahinter, genau in ihrer Mitte, ein dritter Schlepper mit einem Schwimmponton. Fedder nennt ihn anders. Der Referent für Meeresschutz und Schadstoffunfälle sagt Ölbekämpfungsponton. Er ist eine Sonderanfertigung. Sein abgeflachter Bug kann sich wie ein Maul öffnen, damit Öl, das sich auf der Wasseroberfläche angesammelt hat, in spezielle Tanks geleitet werden kann.

Fahrt zum Einsatzgebiet: Zwei Schlepper bringen die 80 Meter lange Ölsperre in Position.
Punkt elf sind alle in Position. Der Schlepper "Florian" liegt rechts vom Ponton, der Schlepper "Mars" links. Zwischen ihnen treibt die Ölsperre wie ein übergroßes U im Wasser. 80 Meter ist sie lang – und damit vergleichsweise kurz. Fedder sagt, dass die Einsatzkräfte einen Bruchteil der bereitstehenden Absperrschläuche für die Übung verwenden. Er beobachtet die Manöver von einem Schnellboot aus, das mal vor, mal hinter den Schleppern fährt.
Dass das Einsatzgebiet auf Höhe des Kraftwerks ist, hat einen guten Grund. Das Szenario, das Vorlage für die Übung ist, hat sich nicht weit von ihm entfernt tatsächlich mal ähnlich abgespielt: in Brake. Damals havarierte ein Frachter in der Nähe des Hafens. Vor zwei Jahren war das. Öl lief zwar nicht aus, aber hätte auslaufen können. Und weil es Fedders Aufgabe ist, die Bremer Gewässer zu schützen, ist die Übung diesmal im Norden der Stadt und damit an der Grenze zu Niedersachsen.
Um halb neun ging es los. Erst Lagebesprechung und Equipmentkontrolle, dann Ablegen vom Westpier in Blumenthal. Nach Fedders Rechnung sind 75 Helfer im Einsatz, 30 an Land, 45 auf dem Wasser. Die Übung ist für ihn damit eine mittelgroße Übung. Sie kostet 16.000 Euro und dauert bis zum frühen Nachmittag. Später wird der Referent der Umweltbehörde sagen, dass alle gut gearbeitet haben und es kaum etwas zu verbessern gibt. Es ist seine siebte Übung und die erste, bei der er das Kommando hat.
Fedder ist nicht der einzige Beobachter. An Bord des Schnellbootes sind noch andere, die am Ende auswerten, wie es gelaufen ist. Auch Einsatzkräfte der Feuerwehr. Sie verfolgen die Manöver vom Wasser und aus der Luft aus. Eine Drohne umkreist immer wieder die Schlepper, den Ponton, die Ölsperre. Sie filmt, was Fedder sehen will: die Details. Er sagt, dass es manchmal die Kleinigkeiten sind, die eine Übung zum Erfolg oder Misserfolg werden lassen.
Es geht ums Kurs-, aber vor allem ums Tempohalten. Fahren die Schlepper zu schnell, taucht das Sperrband unter die Wasseroberfläche und schwappt Öl über die Leine. Fahren sie zu langsam, bilden die Schläuche kein U mehr – und kann der Spezialponton nicht die Schadstoffe aufnehmen. Jedenfalls nicht so, wie er das eigentlich sollte. Mit der Folge, dass weiterhin Ölreste auf dem Wasser treiben und irgendwann dorthin driften, wo Fedder sie auf keinen Fall haben will.
Öl im Wasser bezeichnet er als schlimm, Öl am Ufer als noch schlimmer. Der Schadstoffexperte spricht von einem Worst Case. Und davon, dass kontaminierte Erde schlechter von Schadstoffen zu reinigen ist als ein kontaminiertes Gewässer. Sind Strände und Böschungen betroffen, muss geschaufelt und gebaggert werden – und das dauert nicht nur länger als eine Ölabwehr mit Schiffen, sondern ist auch noch komplizierter und darum auch teurer.
Deshalb müssen die Einsatzkräfte schnell sein. Und schnell, sagt Fedder, sind sie nur, wenn jeder Handgriff sitzt. Fünf Übungen im Jahr sind aus diesem Grund vorgeschrieben. Eigentlich. Wegen der Pandemie haben die Helfer weder 2020 noch 2021 die Abläufe an Bord trainieren können. Die Übung am Donnerstag ist ihre zweite nach der Corona-Zwangspause. Und die erste wirkliche. Im August waren sie zusammengekommen, um das Equipment zu inspizieren.
Zwei Depots gibt es. Das kleinere Lager ist in Bremen, das größere in Bremerhaven. Fedder spricht von Containern für die Ölsperren, für die Einsatzteams und -leitungen, für mobile Schleusen, die in kontaminierten Gebieten eingesetzt werden. Von Schleppern, Schnellbooten und Arbeitsschiffen. Von Ölskimmern, Schläuchen, Tanks und eben dem speziellen Ponton, der in Bremen der einzige ist, der Schadstoffe von der Wasseroberfläche aufnehmen kann.
Für nächstes Jahr bereitet Fedder eine Übung vor, die größer werden soll als die beim Kraftwerk in Farge. So groß, dass mindestens doppelt so viele Helfer im Einsatz sein werden wie diesmal. Und bei der alle Fahrzeuge und die gesamte Ausrüstung, die Bremen und Bremerhaven zur Ölbekämpfung haben, verwendet werden. Bei dem Szenario soll es dann um mehr gehen als um ein leckgeschlagenes Schiff – nicht ums Verhindern einer Katastrophe, sondern um den Umgang mit ihr.