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NS-Zwangsarbeit Wie der Bunker Leben zerstörte

Vier Biografien: Die Mitarbeiter des Denkorts Bunker Valentin stellen neue Schicksale in den Mittelpunkt. Erstmals rücken Frauen ins Blickfeld.
19.06.2023, 18:00 Uhr
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Wie der Bunker Leben zerstörte
Von Patricia Brandt

„Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich Deutsch konnte. Soweit ich weiß, waren dort keine Juden. Ich gehe davon aus, dass ich die Einzige war. Ich wollte nicht, dass jemand merkt, wer ich wirklich war.“ Das Zitat stammt von Susanna Goldschmitt, deutsche Jüdin und ehemalige französische zivile Zwangsarbeiterin im Lager Heidkamp. Das Team des Denkortes Bunker Valentin will erstmals nach Baubeginn des U-Boot-Bunkers Valentin vor 80 Jahren mit neuen Biografie-Stationen aufzeigen, dass in Bremen-Nord auch Frauen zur Zwangsarbeit eingesetzt waren.

Was ist neu?

„Es geht um Häftlinge, die für bisher weitestgehend verdrängte beziehungsweise vergessene Gruppen stehen: Spiros Pasaloglou aus Griechenland, Aklin Banoun aus Algerien, Susanna Goldschmitt, geborene Schack, als jüdische Zwangsarbeiterin und Nadja Kovalova, die stellvertretend für eine große Gruppe ukrainischer Zwangsarbeiterinnen steht“, sagt Marcus Meyer, wissenschaftlicher Leiter des Denkorts Bunker Valentin. In Kürze will das Team der Gedenkstätte an diese Opfer des Nationalsozialismus mit vier neuen Biografie-Tafeln erinnern. Es sei länger klar gewesen, dass auch Nordafrikaner und Griechen nach Farge verschleppt worden waren. Doch es fehlten bisher die Quellen dazu. „Es ist erstaunlich, was nach 80 Jahren noch auftaucht“, so der Historiker. Eine Besonderheit stelle in diesem Zusammenhang auch die Gruppe der Frauen dar.

Warum wurden Frauen ausgeklammert?

„Frauen waren bei der alten Forschung zur Zwangsarbeit auf der Bunker-Baustelle nicht präsent, schlicht weil es keine Quellen gab“, erläutert Ksenja Holzmann, pädagogische Mitarbeiterin des Denkorts. Die Historikerin ist nach den Worten des wissenschaftlichen Leiters des Denkortes, Marcus Meyer, die erste, die gezielt zu Frauen geforscht hat. Möglich gemacht habe dies der Fund des Personalien-Buchs der Organisation Todt (OT). Die OT galt als staatliche Bauverwaltung der Nationalsozialisten, an deren Spitze Adolf Hitlers Architekt Albert Speer stand.

Ksenja Holzmann: „Das Buch ist ein Nachweis darüber, dass auch Frauen auf der Baustelle gearbeitet haben müssen. Aber es ist eine furchtbare Quelle, handschriftlich und von mindestens fünf verschiedenen Schreibern geführt.“ Angefangen hat die gebürtige Nordbremerin ihre Forschung mit fünf Namen. Zum Schluss hatte sie 700 Frauen identifiziert. Das Denkort-Team ist nun überzeugt, dass sogar etwa zehn Prozent der Zwangsarbeiter weiblich waren. Marcus Meyer macht deutlich, dass die Nationalsozialisten Frauen nicht nur als Kantinenpersonal arbeiten ließen. „Es gibt versprengte Hinweise auf Russinnen, die Zementsäcke getragen haben sollen. Die Rede ist von ‚baumstarken Russinnen‘. Wir gehen inzwischen davon aus, dass auch Frauen für die kompletten Arbeiten auf der Baustelle eingesetzt worden sind.“ Noch bis 2016 hatten Wissenschaftler vorausgesetzt, dass beim Bau des Bunker Valentin überhaupt keine Zwangsarbeiterinnen beschäftigt waren.

Wieso sind Postkarten für Forscher wichtig?

Die Gefangenenpost war ein Lebenszeichen an die jeweilige Familie zu Hause, abgeschickt vom Marinegemeinschaftslager Neuenkirchen, wo die Baracke Wilhelmine steht. Private Nachrichten finden sich wegen der Zensur zwar nicht auf Postkarten, dennoch haben zwei solcher Karten den Denkort-Mitarbeitern neue Hinweise auf Zwangsarbeiterinnen in Farge gegeben. Darunter die Karte von Nadja Kovalova, zivile Zwangsarbeiterin aus der ukrainischen Sowjetrepublik. Sie schrieb am 23. September 1943: „Wir, 20 Personen, wurden in die Stadt Bremen geschickt. Wir landeten in einer Stadt, aber nicht am selben Ort. Wir sind vier Mädchen: Ich, Tanya, Klara und Nina – wir sind alle zusammen.“ Marcus Meyer, wissenschaftlicher Leiter des Denkortes, geht aufgrund des Zitats davon aus, dass die Frauen jahrgangsweise verhaftet und deportiert wurden: „Wahrscheinlich in hoher Zahl aus der Ukraine.“ Lebensdaten oder ein Bild von Nadja Kovalova fehlen, dennoch soll nun an ihr Schicksal mit einer Biografie-Tafel erinnert werden.

Was hat Steven Spielberg mit Farge zu tun?

„Einen Zufallsfund“, wie Marcus Meyer formuliert, hat das Denkort-Team bei seinen aktuellen Recherchen der USC Shoah Foundation zu verdanken, die von Regisseur Steven Spielberg in den USA gegründet wurde. Diese nahm nach den Dreharbeiten zu Spielbergs Film „Schindlers Liste“ weltweit Aussagen von Überlebenden des Holocausts auf Video auf. Ksenja Holzmann, die nach Zwangsarbeiterinnen in Farge suchte, und diese mit der deutschen Jüdin Susanna Goldschmitt (1924 -2008) in diesem Archiv fand, erzählt: „Susanna Goldschmitt beschreibt im Interview eine Situation mit einer polnischen Aufseherin. Dadurch konnte ich herleiten, dass sie im Lager Heidkamp gewesen war, denn nur hier gab es polnische Aufseherinnen.“ Die ehemalige französische, zivile Zwangsarbeiterin sei bei der Überquerung der französisch-spanischen Grenze gefasst und nach Bremen-Nord verschleppt worden. Sie habe von 1943 bis 1945 in Farge arbeiten müssen.

Wo befinden sich die Biografie-Tafeln?

Die vier neuen Biografie-Tafeln sollen in Kürze den bestehenden Rundweg auf dem Areal des U-Boot-Bunkers ergänzen. Am Wegesrand finden sich bereits heute Steinplatten mit Fotos, Lebensdaten und Zitaten von Häftlingen des KZ-Außenlagers Farge und Zwangsarbeitern der angegliederten Lager, die vor 80 Jahren in der 22-monatigen Bauzeit des Bunkers in Farge gelitten haben. „Es gehörte zum Prinzip der Nazis, Menschen zu Nummern zu degradieren. Sie waren Verfügungsmasse, die eigentlichen Biografien spielten keine Rolle“, berichtet Marcus Meyer als wissenschaftlicher Leiter des Denkorts. Mit den Tafeln wollen die Historiker den Opfern der Nationalsozialisten ihre Namen zurückzugeben: „Es sind Menschen, die hier winzige Spuren hinterlassen haben.“

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