Erst im Sommer ist im Nordbremer Klinikum der Betrieb wieder hochgefahren worden, weil die Zahl der Corona-Fälle zurückgegangen ist – jetzt bereitet sich das Krankenhaus erneut auf das Gegenteil vor: auf den Krisenmodus. Und auf eine Corona-Welle, die anders ist. Nicht nur, weil das Infektionsgeschehen bundesweit größere Ausmaße angenommen hat als bisher. Sondern auch, weil die Ressourcenlage auf den Intensiv- und Covidstationen schlechter geworden ist.
Eigentlich steht Bremen im Vergleich zum Bund noch einigermaßen gut da: Die Inzidenzwerte sind halb so hoch. Angespannt, sagt Frank Wösten, ist die Situation aber trotzdem. So sehr, dass der ärztliche Direktor des Klinikums Nord beinahe wieder so viele Stabskonferenzen hat wie zu den Hochphasen der vorherigen Infektionswellen. Dass die Lage ernst ist und vielleicht ernster werden könnte als sonst, hat für Wösten damit zu tun, dass es schwieriger geworden ist, schnell auf steigende Fallzahlen reagieren zu können.
Nach seinen Worten kommt inzwischen mehr als bisher auf einen Schlag zusammen, was den kommunalen Kliniken zu schaffen macht. Wösten spricht zum einen von den Infektionszahlen, die bundesweit höher sind als im Jahr zuvor. Und zum anderen von immer kleiner werdenden Teams, die sich um Covid-Fälle kümmern sollen – und dass zu einer Jahreszeit, in der die Zahl der Patienten, die auch ohne Corona auf die Intensivstation müssen, erfahrungsgemäß am höchsten ist: in den Herbst- und Wintermonaten nämlich.
Momentan werden im Klinikum 13 Menschen versorgt, die sich mit dem Virus angesteckt haben. Drei sind auf der Intensiv-, zehn auf der Covidstation. Damit kommt das Krankenhaus inzwischen auf fast halb so viele Fälle wie in den Monaten, als bisher die meisten Corona-Patienten behandelt werden mussten – und auf so wenig Pflegepersonal wie lange nicht. Nach den Zahlen von Timo Sczuplinski gab es auf der Intensivstation in Nord mal 46 Vollzeitkräfte. Jetzt, sagt der Sprecher des Klinikverbundes, zu dem das Krankenhaus gehört, sind es fast zehn weniger.
Ihm zufolge gibt es dafür viele Gründe. Mal sind Mitarbeiter in Elternzeit oder in Rente gegangen, mal verließen sie das Klinikum, um ein Studium anzufangen oder bei einem anderen Arbeitgeber. Oder weil sie einfach nicht mehr konnten. Wösten sagt, dass Kündigungen wegen der enormen Arbeitsbelastung immer wieder vorkommen. Und dass sie mit jeder neuen Welle weiter zunimmt. Während gleichzeitig das Verständnis für das Verhalten mancher Patienten abnimmt. Und mit ihm die Bereitschaft, auf der Intensiv- oder Covidstation auszuhelfen.
Inzwischen, meint der Chefmediziner, tendiert sie gegen null. Die Argumente, die er zu hören bekommt, sind immer dieselben: Die Pflegekräfte können nicht verstehen, warum es noch immer Vorbehalte gegen das Impfen gibt – und sie jetzt vorwiegend mit Menschen zu tun haben, die sich nicht schützen ließen. Sie sollen sich in Gefahr bringen, weil andere diese Gefahr nicht sehen wollen. 80 Prozent der Covid-Fälle, die im Klinikum behandelt werden, sind Ungeimpfte. Bei den übrigen handelt es sich um Menschen mit einem geschwächten Immunsystem.
Wösten und andere Klinikentscheider gehen mittlerweile Notfallpläne durch, wie sie die Teams für die Corona-Patienten behelfsmäßig stärken können – und Szenarien, was passiert, wenn sie das nicht tun. Steigen die Fallzahlen weiterhin so wie jetzt, wollen die Krankenhäuser auf pensionierte Pflegekräfte sowie Helfer setzen, die bislang in anderen Klinikbereichen eingesetzt werden. Für den ärztlichen Direktor gibt es keine Alternative, um zu verhindern, dass zahlreiche Intensivbetten und Beatmungsplätze leer bleiben, weil nicht genügend Kräfte da sind.
Er rechnet damit, dass in den nächsten Wochen das Klinikum erneut anfangen muss, Operationen zu verschieben, bei denen es nicht um Notfälle geht, damit Ressourcen für Covid-Fälle bleiben. Dass sich die Situation schnell zuspitzen kann, kommt für ihn nicht von ungefähr: Nach einer Hochrechnung der Behörden gibt es in Bremen rund 10.000 Ungeimpfte, die älter als 60 Jahre sind.