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Das Porträt: Ksenja Holzmann Das Interesse am Denkort kam spät, aber innig

Ksenja Holzmann ist neue Mitarbeiterin im Denkort Bunker Valentin. Durch ihre Arbeit hat sich ihr Blick auf die weitere Umgebung verändert. Mancher Ort ihrer Kindheit erscheint ihr jetzt in einem anderen Licht.
10.07.2021, 10:00 Uhr
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Das Interesse am Denkort kam spät, aber innig
Von Björn Josten

Farge. Wenn Ksenja Holzmann über den Bunker Valentin redet, ist die Historikerin in ihrem Element. Für sie ist der Denkort mehr als nur ein Arbeitsplatz. Für sie eröffnet die Aufarbeitung und Vermittlung der Geschichte dieses Ortes auch ganz persönliche Zugänge. "Ich habe durch die Arbeit über den Ort angefangen, meine eigene Familiengeschichte zu hinterfragen", sagt Holzmann. Die wiederum liegt in der ehemaligen Sowjetunion, wo Holzmann 1989 im heutigen Kirgisistan geboren wurde.

Als sie vier Jahre alt war, ist die Familie nach Deutschland gekommen. Als Spätaussiedler. Nach Stationen im Lager Friedland und einer Zeit in Bramsche kam die Familie nach Bremen. Ksenja Holzmann ist in Lüssum in den Kindergarten gegangen, später in Rönnebeck zur Grundschule, ehe sie an der Oberschule In den Sandwehen weiter lernte und ihr Abitur in Grambke am Schulzentrum des Sekundarbereichs II an der Alwin-Lonke-Straße ablegte. Zu der Zeit war der Bunker für sie zwar geografisch recht nah, aber gedanklich sehr weit weg. Er war einfach kein Thema. Auch in der Schule nicht. "Wir haben die Zeit des Nationalsozialismus, sehr aus deutscher Perspektive und anhand von Feldzügen bearbeitet. Das war für mich weit weg und hat mich auch nicht interessiert", gesteht sie. Wenn sie in die Nähe des Bunkers gekommen ist, hat sie ihn stets als bedrohlichen Ort empfunden.

Das änderte sich erst zu Studienzeiten als ein Pflichtpraktikum an der Uni sie 2015 an die gerade neu eröffnete Gedenkstätte brachte. "Da war es dann Liebe auf den ersten Blick", sagt Holzmann. Das lag auch daran, dass sie die Möglichkeit erhielt, einen bis dahin blinden Fleck des Ortes zu recherchieren: das Schicksal von Zwangsarbeiterinnen. "Wir hatten zunächst fünf Hinweise auf Frauen", sagt Holzmann. Es reizte sie, die Perspektive von Frauen in der Geschichte des Bunkers sichtbar zu machen. Auch, weil viele aus der Sowjetunion kamen und sie so eine Beziehung zu den Namen aufbauen und Originalquellen lesen konnte. Diese Herangehensweise eröffnet wiederum Besucherinnen und Besuchern ganz neue Perspektiven. Bei ihren Recherchen hat sie rund 700 Namen von Frauen im Umfeld des Bunkers zutage gefördert. "Wie genau sie eingesetzt waren, ist noch unklar", sagt Holzmann. "Es gibt Hinweise darauf, dass sie auch bei Gleis- und Erdarbeiten eingesetzt waren."

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Der Denkort hat Holzmann seither nicht mehr losgelassen. Zwar jobbte sie während des Studiums auf 400-Euro-Basis anderweitig, doch als sich die Möglichkeit eröffnete, auf Honorarbasis im Informationszentrum zu arbeiten, überlegte Holzmann nicht lange. Ihr Studium hatte sie zunächst nach Leipzig geführt, ehe sie später in Bremen in "Public History" ihren Master machte. Die Disziplin befasst sich, vereinfacht ausgedrückt, mit der faktenbasierten Geschichtsvermittlung. Ein Bereich, dem sie sich in ihrer Zeit im Informationszentrum auch beruflich näherte.

Insofern empfindet Ksenja Holzmann es als "absoluten Glücksfall", dass sie seit Juni am Denkort Bunker Valentin fest angestellt ist und so einen fließenden Übergang zu der Tätigkeit geschafft hat, die sie voll und ganz überzeugt: die Geschichtsvermittlung. Ihre Aufgabe umfasst allerdings deutlich mehr als nur Führungen und die Arbeit mit Jugendlichen. Sie ist auch mit neuen digitalen Angeboten befasst, und damit, neue pädagogische Formate und Bildungsmaterialien zu konzipieren. Zeit für ihre Forschung zu den Zwangsarbeiterinnen bleibt dabei kaum. "Aber ich kann das Thema immer mal wieder einschieben", sagt Holzmann.

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Ihre Ortskenntnis hilft ihr bei der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern immens. Die begegnen – wie sie in ihrer Kindheit auch – vielen Orten in ihrer alltäglichen Umgebung völlig unbedarft. Für Holzmann sind viele diese Stellen Tatorte oder erweiterte Tatorte. "Daher kann ich die Schülerinnen und Schüler gut sensibilisieren", sagt Holzmann. Sie selbst schaut auf so manchen Ort heute auch viel reflektierter. "Es gab in Farge beispielsweise einen Baggersee. Da haben wir als Kinder gebadet und gegrillt", erinnert sich Holzmann. "Das würde ich heute nicht mehr machen." Ebenso wenig, wie sie das Umfeld des Bunkers Valentin als Freizeitareal nutzen würde. Ihre Arbeit hat den Blick auf manche Orte verändert. "Ich sehe Schwanewede mit dem Wissen um die Lagerhistorie heute ganz anders", sagt Holzmann. Im privaten Bereich ist das für ihr Umfeld nicht immer einfach. "Meine Schwester schaut beispielsweise mit mir keine historischen Filme mehr. Ich muss das einfach immer kommentieren", gesteht Holzmann.

Sie selbst hat mittlerweile Abstand zum Gegenstand ihrer Arbeit geschaffen und ist von Farge nach Walle gezogen. "Auch dort gibt es natürlich Spuren des Nationalsozialismus, aber das kann ich dort besser ausblenden als in Farge", sagt sie. Das gelingt ihr vor allem mit Filmen, Serien oder einem guten Buch. "Wobei, zurzeit lese ich eher feministische und antirassistische Literatur. Das ist dann doch wieder näher an der Arbeit als am Abschalten", sagt sie lächelnd.

Den 400 Meter langen Betonkoloss in Farge empfindet Ksenja Holzmann heute nicht mehr als bedrohlich. Und das findet sie gut. "Sonst hätten die Nationalsozialisten gewonnen", sagt Holzmann. "Mir ist es wichtig, dass ich hinter den Betonwänden nicht nur die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sehe, sondern auch die Menschen. Die Väter, die Mütter, die Schwestern, die Brüder." Genau darauf fußt die Konzeption des Denkortes Bunker Valentin. Insofern ist für Ksenja Holzmann der Ort, der ihr einst so fern war, mittlerweile eine Herzensangelegenheit.

Zur Sache

Der Bunker Valentin ist die Ruine einer U-Boot-Werft der deutschen Kriegsmarine aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Gelände und das Infozentrum sind in der Zeit von Dienstag bis Freitag, jeweils von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Multimedia-Guides sind gegen ein Pfand erhältlich.

https://www.denkort-bunker-valentin.de

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