Und wieder zeigt sich das Kämmerei-Quartier von einer neuen Seite: Erst kamen die vorderen Lagerhallen weg und die historischen Industriebauten zum Vorschein – jetzt sieht das Gelände so aus, als wollte die Stadt einen Strand anlegen. Überall heller Sand, fein säuberlich verteilt auf zwei Hektar. Bagger haben quasi den Boden für den Blumenthaler Berufsschulcampus bereitet. Es ist nicht das Einzige, was auf dem Gelände an der Weser mittlerweile anders ist. Auch Zeitpläne haben sich verschoben und Projektkosten erhöht.
Daniel Schaefer hat es im Kopf überschlagen: Seit Anfang des Monats ist die Fläche zwischen Ortsamt und früherem Sortiergebäude der Bremer Woll-Kämmerei eine plane Fläche. Der Projektleiter der Wirtschaftsförderung sagt, dass der helle Sand aus dem Baugrund von damals stammt und deshalb nicht extra von Lastwagen angeliefert werden musste. Und dass die Erdarbeiten fürs Erste abgeschlossen sind. Zumindest in diesem Teil des Kämmerei-Quartiers. Und zumindest fürs Erste. Er geht davon aus, dass als Nächstes die Vermesser kommen, um Maß für den Schulcampus zu nehmen.
Alles, meint er, geht jetzt in die nächste Stufe über, um den Rahmenplan für den Bau der neuen Berufsschulen umzusetzen. Und um noch mehr Platz für sie zu schaffen. Die Abbruchbagger sind kaum weg, schon spricht Schaefer vom nächsten Abriss. Erst kamen die Hallen mit den Nummern 221, 230 und 240 weg, jetzt sollen die mit den Ziffern 200 und 210 folgen. Beide stehen so eng zusammen, dass man meinen könnte, es handelt sich um ein einzelnes Gebäude – und dichter an benachbarten Einkaufsmärkten als alle anderen Hallen. Sie beginnen dort, wo die Straße Am Kammstuhl endet.
Wann es losgeht, kann der Projektleiter noch nicht sagen. Ihm zufolge wird der Abriss gerade geplant. Bei diesen Hallen ist es nämlich genauso wie bei den ersten: Es geht nicht nur ums Kleinmachen und Recyceln, sondern auch darum, alles rauszuholen, was früher verbaut wurde und heute verboten ist. Die Schadstoffsanierung der drei Hallen dauerte Monate. Am Ende kamen die Arbeiter auf 200 Tonnen Dämm- und 300 Tonnen Baumaterial mit Bitumen. Die einen nennt Schaefer KMF, die anderen PAK. Das erste Kürzel steht für Künstliche Mineralfaser, das zweite für polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Auch im Sortiergebäude sind Schadstoffe. So viele, dass die Sanierer, die seit Monaten dabei sind, sie zu beseitigen, weitere Monate brauchen werden – und damit länger als geplant. Ursprünglich wollte Schaefer im August sagen können, dass jetzt die Handwerker reinkönnen, um den Komplex zur ersten Campusschule umzubauen. Doch die Arbeiter mit den Einweganzügen sind auf mehr Material gestoßen, das auf die Sondermülldeponie und nicht in ein Unterrichtsgebäude gehört. Inzwischen rechnet der Projektleiter der Wirtschaftsförderung damit, dass sie noch bis Ende des Jahres zu tun haben werden.
Er hat gewusst, dass die Sanierung keine Kleinigkeit wird. Mehrmals waren Gutachter im Gebäude, jedes Mal wurde die Liste an gesundheitsgefährdenden Baustoffen länger. Auch Asbest steht auf ihr. Die Abschnitte, in denen die Sanierer arbeiten, sind deshalb in Schwarz- und Weißbereiche unterteilt. Die ersten sind die verschmutzten, die zweiten die sauberen. In die kontaminierten Zonen geht es nur in Vollschutzmontur – und über eine Schleuse, damit nicht hinausdringen kann, was drinnen ist. Im Arbeitsbereich herrscht konstanter Unterdruck, um auch kleinste Schadstoffteile entfernen zu können.
Dass die Sanierer immer wieder auf neue Quellen mit belastetem Material stoßen, hat mit vielschichtigen Lagen zu tun. Der Projektleiter sagt, dass sich die Schadstoffe häufig hinter anderen Schadstoffen verbergen, die wiederum hinter anderen Schadstoffen sind. Mit der Folge, dass die Gutachter ihm zufolge gar nicht alles finden konnten, was jetzt rausmuss. Auf mehreren Etagen ist inzwischen der gesamte Putz und Beton runter, der mal an Decken und Wänden war. In manchen Hallen, die so groß sind, dass man deren Ende gerade mal erahnen kann, liegt er knöchelhoch in Brocken auf dem Boden.
Bisher hatte Schaefer geglaubt, dass es an die 1000 Kubikmeter an Schadstoffen sind, die in dem 80 Meter langen, 25 Meter breiten und fünfgeschossigen Gebäude gefunden werden. Wie viele es tatsächlich sein werden, hat er noch nicht zu Ende ausgerechnet. Genauso wenig, wie die neue Rechnung für die Schadstoffsanierung ausfallen wird. Im Mai hatte der Projektleiter für sie noch rund eine Million Euro veranschlagt – und damit 400.000 Euro weniger, als der Abriss der ersten drei Hallen gekostet hat. Inklusive Schadstoffsanierung.