Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

In Deutschland fehlen rund 80 000 Lkw-Fahrer Nordbremer Spediteur beklagt enge Taktung und strikte Regeln

Deutschlandweit fehlen Kraftfahrer. Viele geben den Beruf stressbedingt auf. Der Leiter der Nordbremer Spedition "Autofit Farge" fährt selbst gern, kritisiert aber die Auflagen und Probleme in den Häfen.
18.10.2021, 16:30 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Imke Molkewehrum

Leere Lager und Regale: In Großbritannien manifestiert sich der Mangel an Lastwagenfahrern aktuell in Lieferengpässen. Immer lauter beklagen auch deutsche Spediteure diesen Missstand. Unregelmäßige Arbeitszeiten, lange Staus und die mäßige Bezahlung werden als Argumente genannt. Olaf Balzun ist selbst Lkw-Fahrer und leitet die Spedition der Nordbremer Firma "Autofit Farge". Er hat noch eine andere Erklärung parat: "Ein wesentlicher Grund ist die Abschaffung der Wehrpflicht. Bei der Bundeswehr haben vorher viele den Lkw-Führerschein gemacht und sind danach in die freie Wirtschaft gegangen. Jährlich fehlen nun in Deutschland etwa 20.000 Fahrer, und wir haben weniger Laderaum."

Die Pandemie habe den Engpass zusätzlich verschärft, betont der 58-Jährige. Viele Schiffe kämen jetzt weniger regelmäßig oder verspätet in Europa an. "Problematisch ist dann für uns, die vorab gebuchten Zeit-Fenster einzuhalten, in denen unsere Lkw die hiesigen Häfen mit der Exportware anfahren können." Die Fracht dürfe nämlich seit Ende 2017 frühesten 48 Stunden vor Ankunft des Schiffs angeliefert werden. Lege das Schiff erst später an, sei das gebuchte Zeitfenster bereits geschlossen und der Fahrer werde seine Ladung nicht los, erläutert der Experte und schimpft: "Diese Verzögerungen sind für uns kostspielig, zumal dann manchmal eine Zwischenlagerung erforderlich ist. Die Reedereien gehen unfair mit den Speditionen um, sie geben uns die Schiffszeiten nicht konkret weiter." 

Lesen Sie auch

Belastend sei auch, dass die Ankunftszeiten der Lkw wegen der zahllosen Baustellen nicht gut kalkulierbar seien. Balzun: "Das ist jeden Tag ein riesiger Stress. Allein auf der A1 gibt es 40 Baustellen." Problematisch seien zudem die stark schwankenden Spritpreise. Ein Lkw verbrauche 30 Liter auf 100 Kilometern und ein Fahrer fahre monatlich etwa 12.000 Kilometer. Da komme einiges zusammen. "Aber wenn die Kunden anrufen, kann ich die Spritpreise noch gar nicht kalkulieren."

Die Farger Spedition hat aktuell rund 30 Fahrer im Fuhrpark. 15 Beschäftigte transportieren Seecontainer, die andere fahren Baufahrzeuge. "Wir könnten aber noch vier bis fünf Fahrer brauchen", betont der Nordbremer. Auch Frauen seien willkommen. "Die machen das genauso wie die Kerle, fahren aber vorausschauender." Anfragen beim Arbeitsamt, Annoncen und Aufrufe bei Ebay seien bis dato allerdings erfolglos. "Der Job ist nicht attraktiv und unterbezahlt. In Vollzeit bekommen die Fahrer zwischen 2400 und 3600 Euro monatlich, sind gegebenenfalls aber auch vier Wochen von Zuhause weg." 

Die  Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven verzeichnet aktuell 280 Bewerbungen von Lkw-Fahrer auf 191 offene Stellen. "So entsteht der Anschein, als gebe es im Land Bremen mehr arbeitssuchende Lkw-Fahrer als offene Stellen. Das liegt aber auch daran, dass sich nicht alle suchenden Speditionen bei uns melden", erklärt Sprecher Jörg Nowag. Zudem seien unter den Arbeitssuchenden womöglich Bewerber, die zwar den notwendigen Führerschein haben, den Ansprüchen der Speditionen aber nicht entsprechen. Fahrer für den Nahbereich seien zudem leichter zu finden als Fahrer für den Fernverkehr. Und manch Arbeitssuchender verfüge auch nicht über die  erforderlichen "Gefahrgutscheine oder Erfahrungen mit speziellen Fahrzeugen".

Erschwerend komme hinzu, dass einige Fahrer mit Kunden schlechte Erfahrungen machen, sagt Olaf Balzun. Vor allem Menschen mit Migrationshintergrund würden häufig abfällig behandelt, kritisiert der Spediteur. Aber letztlich habe das schon fast jeder erlebt. "Die Fahrer werden sogar für eine halbe Stunde Verspätung angemault. Dafür habe ich kein Verständnis."

Fixe Termine seien schon wegen des Verkehrs schwierig einzuhalten. Außerdem müssten die strikten Lenk- und Ruhezeiten beachtet werden. "Die Fahrer dürfen am Stück zehn Stunden arbeiten, davon neun am Steuer. Nach 4,5 Stunden müssen sie eine 45-minütige Pause einlegen. Sie müssen sich entsprechend manchmal mittags hinlegen, sonst werden Strafen fällig." Ein Kollege habe deshalb neulich kurz vor Bremen-Nord neun Stunden Pause auf einem Parkplatz vor der Müllverbrennungsanlage gemacht. "Der hätte sonst bei einer Kontrolle des Fahrtenschreibers 120 Euro zahlen müssen, die Spedition sogar das dreifache." 

Was sie transportieren, sei den Kraftfahrern nicht bekannt, erzählt der Speditionskaufmann. Das könnten Chemikalien oder elektronische Geräte sein. Damit werde der Container-Klau unterbunden. Gefahrengüter seien aber entsprechend markiert, betont Olaf Balzun. Ein Dorn im Auge sei ihm bei alldem der stetig wachsende Reichtum der Reedereien, während die Lastkraftwagenfahrer zusätzlichem Stress ausgesetzt seien. "Auf einer Tour von Shanghai nach Bremerhaven seien die Preise für einen Container in den vergangenen zwei Jahren um das fünf- bis zehnfache gestiegen, meint der Nordbremer. Die Lastkraftwagenfahrer würden trotz größerer Herausforderungen nicht profitieren. "Aber ich mag meinen Job trotzdem - ich fahre gern." 

Zur Sache

Container stapeln sich

In den deutschen Seehäfen stapeln sich wegen der erhöhten Nachfrage und mangelnder Logistik die Container, und die Transportpreise steigen. "Es gibt zu wenig Container und zu wenig Schiffsraum", bestätigt Christian Denso, Sprecher des Verbandes Deutscher Reeder in Hamburg. Die Häfen seien aktuell nicht imstande, diese Container-Mengen umzuschlagen und nennt zwei Beispiele in Übersee: An der Ostküste der USA fehle derzeit die erforderliche Infrastruktur und in China sei derzeit ein ganzes Terminal wegen eines Corona-Falls geschlossen worden. Allein dort lägen 30 bis 40 Schiffe fest. Aufgrund der Pandemie hätten die Menschen vermehrt Waren bestellt. Durch den Rückstau seien die Umlauf-Zeiten um 20 Prozent länger und die Raten für kurzfristige Kontrakte gestiegen. 

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)