Herr Simic-Schleicher, das Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus) hat eine Infektionswelle ausgelöst, die zu einer Überlastung der Kinderärzte führt. Wie ist die Lage bei Ihnen im Klinikum Bremen-Nord?
Gunter Simic-Schleicher: Es gibt auch hier deutlich mehr Kinder mit Atemwegserkrankungen, die wenig trinken oder Sauerstoff benötigen. Beim RS-Virus ist es nicht ungewöhnlich, dass sich die Kinder gleichzeitig eine bakterielle Lungenentzündung holen. Spätestens dann sind sie in der Regel sauerstoffpflichtig.
Mit welchen Symptomen haben die Kinder noch zu kämpfen?
Sie haben Fieber, was aber nicht immer der Fall ist. Die Kinder haben Husten und bekommen sehr schwer Luft. Denn das Virus befällt bei Säuglingen unter zwei Jahren bevorzugt die Bronchiolen, die kleinen Luftwege. Der Schleim verstopft diese kleinen Luftwege, so entstehen die ganzen Probleme. Wir Erwachsenen würden nur wochenlang husten, weil unsere Luftwege weiter sind.
Wie viele Kinder können Sie maximal versorgen?
Abseits des Bereichs für Neugeborene haben wir eigentlich 24 Betten. Wegen krankheitsbedingter Ausfälle und unbesetzter Stellen im Pflegebereich sind derzeit aber nur zehn bis 14 Betten belegbar. In Einzelfällen versuchen wir, auch mal ein Bett mehr zu belegen. Das ist aber immer schwierig, weil die Betreuungssicherheit gewährleistet sein muss.

Gunter Simic-Schleicher, Direktor der Kinderklinik des Klinikums Bremen-Nord.
Warum sind bei Ihnen Stellen unbesetzt?
Die Stellen sind freigegeben, aber aufgrund der Ausbildungssituation der vergangenen Jahre rücken zu wenig examinierte Pflegekräfte nach.
Sie würden also einstellen, es fehlen aber die Bewerber?
Ja. Das geht aktuell allen Krankenhäusern von Kiel bis Konstanz so.
Bekommt trotz der kritischen Bedingungen jedes Kind die Behandlung, die es benötigt?
Jedes Kind, dass bei uns vorstellig wird, sehen wir uns genau an. Dann müssen wir entscheiden, wer aufgenommen werden muss. Wenn wir keinen Platz haben, beginnt das große Telefonieren und teilweise auch die Verlegung mit dem Notarztwagen. Das ist sehr zeitaufwendig und bindet zusätzlich Ressourcen. Man vertelefoniert schnell eine Stunde, bis man mit umliegenden Kliniken irgendwie ein Bett rausschindet. Für das Krankenhaus, das verlegen muss, ist dies zudem ein großes Minusgeschäft. Was deutlich schlimmer ist: Für die Kinder verzögert sich die endgültige Aufnahme. Wir hatten zuletzt zum Beispiel ein Kind aus dem Emsland bei uns. Letztlich werden alle Kinder versorgt. Aber die gefahrenen Strecken, bis eine endgültige Lösung gefunden ist, sind deutlich länger geworden.
Nach Aussage des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte schicken die Kliniken Kinder zurück in die Praxen, die eigentlich stationär behandelt werden müssten. Ist dies Im Klinikum-Nord vorgekommen?
Es ist immer eine Grauzone, ab wann ein Kind aufgenommen werden muss. Diese Grauzone hat sich zuletzt – um im Bild zu bleiben – in Richtung schwarz verschoben. Kinder, die nicht zwingend aufgenommen werden müssen, verweisen wir zurück in den ambulanten Sektor. Dadurch belasten wir unsere Kollegen dort natürlich mehr. Wir bekommen es auch nur hin, die jungen Patienten so früh wie möglich zu entlassen, wenn die Ärzte im ambulanten Bereich danach mehr übernehmen. In umgekehrter Richtung gibt es aber auch eine hohe Zahl an Eltern, die abends bei uns vor der Tür stehen, weil sie eine zweite Meinung haben wollen. Durch die insgesamt desolate Situation steigern wir also gegenseitig noch zusätzlich die Arbeitsbelastung.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Krankenhäuser dazu aufgerufen, Personal aus anderen Bereichen in die Kinderkliniken zu verlegen. Inwieweit ist das bei Ihnen möglich?
Auch bei den Erwachsenen sind die Stationen knapp besetzt. Hinzu kommt, dass die Pfleger aus diesen Bereichen nicht ohne weiteres in der Lage sind, in der Kinderklinik auszuhelfen. Es hat Gründe, dass es spezielle Ausbildungsinhalte für Kinder und Jugendliche gibt. Deshalb halte ich diese Idee für weltfremd. Eine Ausnahme sind lediglich Krankenhäuser mit einem hohen Anteil an elektiven Eingriffen, wie Hüft- oder Herzoperationen. Ich halte es aber für ethisch fragwürdig, wenn Operationen wie diese um mehr als eine Woche verschoben werden. Auch diese Menschen haben ein Recht auf Behandlung.
Am Dienstag hat Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) niedergelassene Ärzte und Kliniken in einer Krisensitzung an einen Tisch gebracht. Was können Runden wie diese erreichen?
Sie tragen zumindest zur Meinungsbildung auf der Ebene der Entscheidungsträger bei. Akteure wie die senatorische Behörde oder die Kassenärztliche Vereinigung können lernen, wo die Probleme liegen. Schnelle Änderungen sind am schwierigsten zu erreichen. Langfristig ist aber einiges möglich, auch wenn uns das erst im kommenden Winter oder in drei Jahren hilft.
Die Krisensitzung hat die Idee hervorgebracht, mit den Ärzten des Kinderimpfzentrums kurzfristig eine zusätzliche Praxis zu eröffnen. Was halten Sie davon?
Im günstigsten Fall könnte dies auch uns Kliniken helfen, wenn sich dadurch weniger Eltern bei uns melden. Den niedergelassenen Bereich würde eine solche Anlaufstelle aber definitiv entlasten, was auch dringend notwendig ist.
Das Gespräch führte Björn Struß.