Der Fall hat viele beschäftigt: die Kulturbehörde, die Denkmalpflege, die Politik, das Ortsamt. Und jetzt beginnt er, nachdem anderthalb Jahre vergangen sind, wieder alle zu beschäftigen. Damals ging es um Bäume und Büsche, die hauptsächlich aus dem Dach des Gebäudes 56 gewachsen sind – diesmal geht es um Bäume und Büsche, die vor allem aus Fenstern und durch die Fassade wuchern. Dabei soll die eigentlich erhalten bleiben. Nur, fragt sich Detlef Gorn, was kann von ihr noch übrig bleiben, wenn sich das Wurzelwerk weiter ausbreitet.
Im vergangenen Jahr hat der frühere Fördervereinsplaner und jetzige Mitstreiter der Initiative Kämmerei-Quartier einen Brandbrief an Bürgermeister und Kultursenator Andreas Bovenschulte (SPD) geschrieben, in diesem sich ans Landesamt für Denkmalpflege gewandt. Und an alle Beiratspolitiker, die Stadtteilverwaltung und an die Nordbremer Bürgerschaftsabgeordneten gleich mit. Gorn beklagt, was er schon 2022 beklagt hat: den Zustand vieler Gebäude auf dem Gelände. Und dass die weiteren Sicherungsarbeiten, die auf den ersten Rückschnitt des Grüns auf dem Dach folgen sollten, in diesem Jahr nun doch nicht gefolgt sind. Zumindest bisher nicht.
Gorn verweist in seiner Post ans Amt auf eine E-Mail, die er im Vorjahr von der Kulturbehörde bekommen hat. Staatsrätin Carmen Emigholz schreibt darin von Notmaßnahmen, die zwischenzeitlich ergriffen wurden. Und davon, dass weitere bald umgesetzt werden sollen. Einen Termin nennt sie nicht. Stattdessen hofft sie auf Verständnis, dass die Maßnahmen eine Vorlaufzeit für Planung und Finanzierung brauchen. Der Initiativen-Mitbegründer findet jedoch, dass Bremen – gemessen an den Jahren, die der Verfall des Industriebaus andauert – genug Zeit hatte. Und jetzt keine mehr verstreichen sollte, um wenigstens die Fassade zu retten. Wenn schon das Gebäude nicht mehr gerettet werden kann.

Detlef Gorn im Kämmerei-Quartier: Der Initiativen-Mitbegründer findet, dass Bremen mehr für den Erhalt der Industriekultur tun muss.
Seinem Schreiben an die Denkmalpflege hat er Fotos beigefügt, die zeigen, wie viel Grün vor und aus den roten Außenmauern inzwischen gewachsen ist. Und wie ein anderes Kämmerei-Gebäude vor 24 Jahren aussah und wie es heute aussieht. Auf der Aufnahme von damals ist die Front zu sehen und ein Busch neben einer Toreinfahrt – auf der aktuellen eine grüne Wand, hinter der die Toreinfahrt verschwunden ist. Auf dem alten Bild sind alle Fenster heil, auf dem neuen fast alle kaputt. Gorn findet, dass so mit Industriedenkmälern nicht umgegangen werden sollte. Und dass andere Städte es vormachen, wie man es macht. Zum Beispiel Delmenhorst mit dem Nordwolle-Gelände.
Dass nur noch Teile des Gebäudes 56 zu retten sind, wissen die Stadtteilpolitiker seit April. Jürgen Opielka hat es ihnen gesagt. Und auch, was mit dem Klinkerbau passieren soll. Der Projektplaner der Wirtschaftsförderung sprach von einem Haus im Haus, das entstehen soll: außen die denkmalgeschützte Fassade, innen ein Neubau. Opielka stellte einen Plan für eine Mensa im Parterre und einer Turnhalle im Obergeschoss vor – plus einen Handwerkerhof im hinteren Teil des Gebäudes. Summen für den Umbau nannte er nicht. Dafür stehen inzwischen welche im Entwicklungskonzept, mit dem das Blumenthaler Zentrum und die angrenzenden Quartiere vorangebracht werden sollen.
Demnach werden die Kosten für das Gebäude-im-Gebäude-Konzept auf rund 32,5 Millionen Euro geschätzt. Allein für die Sanierung der Fassade kalkulieren die Planer mit einem Betrag, mit dem beinahe das halbe Sport- und Bewegungszentrum, das auf einem Grundstück nebenan geplant ist, finanziert werden könnte: 4,2 Millionen Euro. Gorn ist kein Experte für Bäume, glaubt aber, dass die Summe am Ende noch höher ausfallen kann, wenn die Wurzeln der Bäume weiterhin ungehindert wuchern. Und dass es besser gewesen wäre, das Grün nicht vor allem oben und an den Seiten zu kappen, so wie er das im vergangenen Jahr beobachtet hat, sondern eben unten an seiner Quelle.

Von drinnen nach draußen: Das Grün will an vielen Stellen raus – auch durchs Fenster.
Gorn hat richtig geschaut: Nach Angaben von Andrea Bischoff haben Arbeiter das Grün bisher ausschließlich eingekürzt. Und weil es dafür Kran und Gerüste brauchte, kommt die Sprecherin der Wirtschaftsförderung auf einen fünfstelligen Betrag, den der Einsatz gekostet hat – 20.700 Euro. Und auf eine fast viermal so hohe Summe, um zu machen, was der Initiativen-Mitstreiter gleich im Vorjahr gemacht hätte: Das Mauerwerk von den Wurzeln zu befreien. 76.000 Euro sind dafür seit diesen Sommer genehmigt. Die Summe, sagt Bischoff, hat ein Architekt mit Entscheidern der Denkmalpflege ermittelt. Wann das Vorhaben startet, soll demnächst bekannt gegeben werden.
Und im November feststehen, wie es mit dem Gebäude 56 und anderen Industriebauten im Kämmerei-Quartier weitergeht. Das hofft jedenfalls Oliver Fröhlich. Der Ortsamtsleiter spricht von einer Planungskonferenz, die es dann geben soll. Und davon, dass bis dahin auch eine andere Zahl genannt werden könnte als die zu möglichen Umbau- und Sanierungskosten des Industriebaus. Eine Jahreszahl nämlich, wann es mit dem Millionenprojekt eigentlich losgeht. Worauf Gorn schon länger wartet – nicht nur fürs Gebäude 56.