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Stadtentwicklung in Blumenthal "Wir haben darum kämpfen müssen"

Das Blumenthaler Zentrum wird, was Stadtteilpolitiker gefordert haben: Sanierungsgebiet. Im Interview sagen die Beiratssprecher, was sie erwarten – und welche Pläne es gibt, den Ortskern voranzubringen.
19.07.2022, 16:37 Uhr
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Von Christian Weth

Frau Frömming, Herr Thormeier, jahrelang hat der Beirat vergeblich gefordert, dass der Blumenthaler Ortskern mehr Hilfe bekommt als andere Gebiete der Stadt. Was ist schiefgelaufen?

Hans-Gerd Thormeier: Ich glaube gar nicht, dass damals grundsätzlich etwas schiefgelaufen ist.

Nein? Und warum ist nichts passiert?

Thormeier: Weil Blumenthal nicht so im Fokus der Bremer Politik stand, wie es der Stadtteilteil verdient hat und inzwischen steht. Wir haben darum kämpfen müssen, dass er ins Bewusstsein aller Bürgerschaftsabgeordneten und des Senats rückt.

Und wie lange hat der Kampf gedauert?

Thormeier: Ich würde sagen, mindestens acht Jahre.

Bianca Frömming: Vor allem seit 2019 hat sich viel getan.

Seit vergangener Woche sind Sie, wenn man so will, am Ziel: Das Stadtteilzentrum ist jetzt Sanierungsgebiet. Wie erklären Sie sich das Umdenken in Politik und Verwaltung?

Thormeier: Damit, dass wir vor allem hartnäckig geblieben sind und mit der Zeit immer mehr Unterstützung auch von der Initiative Blumenthal bekommen haben.

Frömming: Auch die Nordbremer Bürgerschaftsabgeordneten haben nicht lockergelassen und immer wieder die Situation im Ortskern geschildert.

Der lag vor Jahren genauso darnieder, wie es jetzt darniederliegt. Was, glauben Sie, hat nun alle Abgeordneten davon überzeugt, dass gehandelt werden muss?

Frömming: Ich denke, dass es bei einigen eine gewisse Hemmschwelle gab, sich für ein Sanierungsgebiet auszusprechen. Das ist ja auch ein Eingeständnis: Die Probleme sind so groß, dass sie ohne Hilfe von Land und Bund nicht gelöst werden können.

Thormeier: Und es war immer eine Finanzierungsfrage. Viele Projekte, die wir wollten, sind von einem Haushalt in den nächsten geschoben worden, weil entweder kein Geld da war oder ein anderes Vorhaben dem Senat wichtiger.

Der Beirat hatte ursprünglich gehofft, dass das Sanierungsgebiet größer ausfällt. Die Hafenspitze, die Bahrsplate und das Kämmerei-Quartier wurden rausgenommen. Ist der Erfolg also nur ein Teilerfolg?

Thormeier: Für mich nicht. Die Bahrsplate wird zwar nicht zum Sanierungsgebiet dazugerechnet, dafür aber Teil eines Fördergebietes. So gesehen, wird es auch für sie eine Unterstützung geben.

Aber die Hilfe in einem Fördergebiet fällt anders aus als in einem Sanierungsgebiet, auch finanziell: Fürs Sanierungsgebiet soll es 21 Millionen Euro geben, für das Fördergebiet nicht mal halb so viel...

Frömming: Ich glaube, dass wir nicht mehr Geld fürs Sanierungsgebiet bekommen hätten, wenn die Bahrsplate dazugerechnet worden wäre. Darum bin ich im Grunde froh, dass für sie ein anderes Finanzierungskonzept gefunden wurde.

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Nach der Sommerpause soll es eine erste Planungskonferenz geben. Was erwarten Sie von ihr?

Thormeier: Ich erwarte, dass wir dann ein Gesamtkonzept fürs Stadtteilzentrum entwickeln. Dass Meilensteine festgelegt werden, die markieren, was bis wann umgesetzt werden soll. Und dass wir zügig in die Umsetzung kommen.

Was ist denn für Sie zügig?

Thormeier: Zügig wäre für mich, wenn wir im nächsten Jahr damit beginnen, erste Projekte anzugehen.

Der Beirat hat ein Konzeptpapier mit 40 Punkten und Unterpunkten formuliert. Was macht Sie so optimistisch, so viele Vorhaben bei den Behörden durchzubekommen?

Thormeier: Optimistisch sind wir deshalb, weil wir all die Jahre auf viele dieser Punkte immer wieder hingewiesen haben. Alles, was wir fordern, hat Hand und Fuß.

Frömming: Und alles hat nicht nur Auswirkungen auf Blumenthal, sondern auf Bremen insgesamt, sodass auch die Stadt profitiert.

Und was ist, wenn das Geld nicht für alle Projekte reicht?

Frömming: 21 Millionen Euro sind in der Tat nicht viel. Allerdings geht es bei einem Sanierungsgebiet auch darum, dass nicht nur eine Kommune investiert, sondern auch Hauseigentümer anfangen, Geld auszugeben.

Thormeier: Und sollte es tatsächlich so kommen, dass es am Ende an der Finanzierung mancher Vorhaben scheitert, werden wir Alarm schlagen und weiteres Geld fordern.

Sie wollen nicht nur, dass Gebäude saniert werden, sondern fordern auch ein neues Wohn- und Verkehrskonzept. Klingt es nur so oder soll tatsächlich kaum noch etwas so bleiben, wie es mal war?

Frömming: Wir wollen so viel wie möglich verbessern. Häuser aufzuwerten, ist wichtig. Aber genauso essenziell ist es auch, an der Aufenthaltsqualität zu arbeiten. Und dazu gehören neue Wohn- und Verkehrsideen unbedingt dazu.

Wie soll denn der Verkehrsfluss verändert werden?

Frömming: Wir denken etwa an Fahrradstraßen und Spielstraßen. Wo die möglich sind, sollen uns die Experten aus der Verkehrsbehörde sagen.

Thormeier: Wir dürfen den Einzelhandel im Müllerloch nicht beeinträchtigen.  Deswegen können wir die Landrat-Christians-Straße erst verkehrsberuhigen, wenn es eine alternative Anbindung gibt.

Und wo soll die verlaufen?

Thormeier: Vorstellbar ist für uns, über die Straße Marschgehren den Verkehr, der aus Richtung Vegesack kommt, durch das frühere Woll-Kämmerei-Gebiet zu den Einkaufsmärkten dahinter umzuleiten.

Wie? Sie wollen durchs Kämmerei-Quartier mehr Verkehr lotsen, wo in den nächsten Jahren mehrere Tausend Schüler unterrichtet werden sollen?

Thormeier: Die Straße führt ja um den Berufsschulcampus herum.

Frömming: Und ob das überhaupt geht, müssen uns die Sachverständigen der Behörde sagen. Momentan wissen wir das noch gar nicht.

Was Sie aber wissen, ist: Die Mühlenstraße wird nie wieder zu einer Geschäftsstraße wie vor Jahrzehnten. Was soll Ihrer Meinung nach mit den leeren Läden der Geschäftshäuser passieren?

Thormeier: So, wie es früher mal war, wird es sicher nicht. Trotzdem gibt es Potenzial für neue Geschäfte, wenn der Berufsschulcampus kommt. Ich denke da zum Beispiel an Gastronomie und Dienstleistung.

Frömming: Dass es sie im Zentrum immer weniger gibt, kommt ja nicht von ungefähr. Über Jahre ist nicht in die Geschäftshäuser investiert worden. Die Höhe der Mieten blieb jedoch. Da muss man jetzt ran.

Und wenn ein Eigentümer nicht investieren will?

Thormeier: Das Sanierungsgebiet bietet die Möglichkeit der Enteignung. Das wäre zwar der allerletzte Schritt, aber es wäre einer.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass dieser Schritt gegangen wird?

Thormeier: Ich kann mir vorstellen, dass Eigentümer bereit sein werden, die eine oder andere Schlüsselimmobilien zu verkaufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand enteignet wird, halte ich dagegen für gering.

Haben denn schon Eigentümer signalisiert, dass sie investieren wollen?

Thormeier: Ich gehe davon aus, dass es Investoren gibt, die Geld in Projekte stecken wollen, sofern es eine wirtschaftliche Perspektive gibt. Von dem einen oder anderen Investor wissen wir auch schon, dass er sich engagiert.

Manche Politiker hoffen, dass die Stadt bestimmte Gebäude, etwa an der George-Albrecht-Straße, übernimmt, um die Wohnverhältnisse verbessern zu können. Und Sie?

Frömming: Ob ich das Hoffnung nennen würde, weiß ich nicht. Ich weiß, dass es diese Gedankenspiele gibt. Eigentlich hoffe ich, dass es nicht so weit kommt und die Eigentümer einlenken.

Die Entwicklung des Sanierungsgebietes soll von einem Sanierungsbeirat begleitet werden. Warum muss ein zusätzliches Gremium her?

Thormeier: Weil in dem Gremium nicht nur Vertreter des Beirates, sondern auch der Behörden zusammenkommen.

Stadtplaner gehen davon aus, dass die Sanierung zehn Jahre dauern wird, Baustaatsrätin Gabriele Nießen spricht sogar von 15. Wie fällt Ihre Prognose aus?

Frömming: Ich halte zehn bis 15 Jahre für realistisch. Schließlich soll gut werden, was fürs Zentrum geplant wird.

Thormeier: Am liebsten hätten wir wohl alle, dass es schneller geht. Dass eigentliche Bauen geht auch meistens recht zügig. Bei der Planung und Genehmigung sieht das leider oft anders aus.

Das Interview führte Christian Weth.

Zur Person

Bianca Frömming (44)

ist seit 2019 stellvertretende Sprecherin des Blumenthaler Beirats. Früher fuhr sie zur See, jetzt ist sie selbstständige Unternehmerin im Bereich Marine. Frömming gehört den Grünen an, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Hans-Gerd Thormeier (57)

ist seit vier Jahren Sprecher des Blumenthaler Stadtteilparlaments. Er
arbeitet für die Deutsche Flugsicherung und macht Politik für die CDU. Thormeier ist verheiratet und hat drei Kinder.

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