Borgfeld/Horn. Frank Harreß ist allein im Studio. Seine Mitarbeiter hat der Geschäftsführer einer Firma für Radio-Software zu deren Schutz vor dem Coronavirus ins Homeoffice geschickt. „Die einzige, die ich einmal in der Woche sehe, ist meine Reinigungskraft“, sagt der Borgfelder. Völlig allein sitzt Harreß zwischen grüner Wand, Mischpult und zwei Bildschirmen. Ihm macht das nach eigenen Angaben nichts aus. Aber es gebe Menschen, die fühlten sich allein im Homeoffice oder freigestellt in Kurzarbeit nicht wohl. „Manche bekommen einen Lagerkoller, wenn sie über mehrere Wochen wegen Kurzarbeit zu Hause sind und nicht wissen, was in den nächsten Tagen und Wochen mit ihnen passiert.“ Psychologen bestätigten, dass es unter diesen Voraussetzungen zu depressiven Verstimmungen kommen könne. Harreß hat einen Weg gefunden, die Situation für Mitarbeiter erträglicher zu gestalten.
Seit einigen Wochen bietet er deutschlandweit aktiven Unternehmen an, mithilfe seiner professionellen Video- und Radiotechnik kostenfrei Live-Sendungen für deren Mitarbeiter zu produzieren. „Ich möchte, dass sie sich auch zu Hause weiter mit ihrem Arbeitsplatz beschäftigen und nicht den Mut verlieren“, sagt der 59-Jährige. Sie sollten weiter das Gefühl haben, zum Unternehmen zu gehören und gebraucht zu werden, auch in Kurzarbeit. „Die Mitarbeiter sollen wissen, die wirtschaftliche Delle trifft nicht nur unser Unternehmen, sondern alle und wir kommen da durch.“ Dazu holt sich Harreß alle ins Boot, die eine positive Botschaft in petto haben: Firmenchefs, Betriebsräte, Persönlichkeitstrainer, Personalentwickler.
Sein eigenes Büro hat er dafür extra etwas umgebaut. Jetzt gibt es eine grüne Wand, auf die das Firmenlogo projiziert wird, wenn die Kamera läuft. Für jedes Unternehmen überlegt sich Moderator Harreß ein passgenaues kleines Drehbuch. Er klärt Fragen wie: Was soll bekannt gegeben werden, was ist Ziel der Konferenz? Er spricht mit der Firmenleitung und überlegt sich Fragen zu Dingen, die den Mitarbeitern jetzt unter den Nägeln brennen. Jedes Unternehmen, sagt er, habe seine eigenen Befindlichkeiten. Darum: „Für alle dasselbe produzieren, copy and paste, geht nicht.“
Besonderen Wert legen die Firmen auf die Live-Situation. Keine nachträgliche Bearbeitung, kein künstliches Schönen soll das Gesagte verfälschen. Authentizität ist gefragt. In Zeiten von Fake-News setzten viele Arbeitgeber bewusst auf die manchmal sichtbar ungeschönte Wahrheit. „Die Firmen möchten die Live-Situation, damit ihre Mitarbeiter überall in Deutschland wissen, da sitzt jetzt wirklich mein Geschäftsführer“, sagt Harreß. „Wenn der sich verhaspelt, dann ist das eben so.“ Die Zuhörer können noch während der Sendung, abhängig vom Provider, per Chatfunktion Fragen stellen. „Die lesen wir vor und beantworten sie“, so Harreß.
Zu seinen Auftraggebern zählt Harreß Unternehmen mit einer Größe von 800 Mitarbeitern bis hin zu großen Konzernen mit deutlich mehr als 10 000 Mitarbeitern. Darunter ist eine bekannte Schnellrestaurantkette, ein großer Möbelanbieter und eine Kaufhauskette. Harreß' Faustformel: Je mehr Mitarbeiter, desto drängender die Probleme in der Mitarbeiterkommunikation. Je inhomogener die Mannschaft, desto größer der Druck auf die Geschäftsführung, jetzt etwas zu unternehmen.
Die Idee zur Live-Schalte entstand jedoch schon vor der Corona-Krise. „Kunden sind auf uns zugekommen und haben gesagt, sie hätten Schwierigkeiten, ihre Mitarbeiter schnell zu erreichen.“ Seine ersten dankbaren Abnehmer für die Live-Situationen fand Harreß darum auch unter den eigenen Kunden. Von Hause aus stattet der Borgfelder Kaufmann unter anderem die Studios von Radio- und Fernsehsendern mit Informationstechnik aus – von der Kamera bis zur Software. Seine Firma ist in Horn-Lehe ansässig. „Wir haben hier die technischen Einrichtungen, die diese Live-Sendungen für 10 000 Menschen schnell, in guter Bild- und Tonqualität und ohne zusätzliche Kosten ermöglichen“, erklärt Harreß den Unterschied zu Plattformen für Video-Konferenzen, die sonst so genutzt werden.
Die Resonanz auf die Video-Streams ist laut Harreß durchweg positiv. „Die Mitarbeiter sind extrem dankbar und fühlen sich informiert“, sagt er. Sie schätzten, dass sich die Geschäftsführung Zeit für sie nehme. Auch die Unternehmen profitierten: „Einige regen ihre Mitarbeiter an, kreativ zu sein und zu Hause pro Tag einen Gedanken aufzuschreiben, der die Arbeitssituation verbessern könnte; sie versuchen, den Mitarbeitern eine Aufgabe zu geben, die sie am Ende selbst vorwärts bringen könnte.“ Hintergedanke dabei sei auch, dass es in Zeiten der Kontaktsperre unter Familienmitgliedern zu Frustration kommen kann. „Es ist durchaus gewollt, dass auch Ehepartner an den Konferenzen teilnehmen, damit die Familien über neue, andere Themen sprechen als über Corona.“
Harreß, der sein Unternehmen seit 35 Jahren leitet, bietet die Live-Sendungen jedem Unternehmen kostenfrei an. „Das ist unser Beitrag zur Krisenbewältigung.“ Zeit für die Produktion hat Frank Harreß jetzt, denn auch seine Arbeit ruht. Insgesamt 32 Mitarbeiter und Freiberufler beschäftigt seine Firma europaweit. Drei Kreuzfahrtschiffe hätte die EBH Radio Software GmbH in diesem Jahr mit Musik- und Video-Technik ausstatten sollen. Auftragsvolumen: Mehrere hunderttausend Euro. Verschoben auf 2021. Per Video-Konferenz hat auch Frank Harreß seine Mitarbeiter motivieren müssen: Es gehe weiter, keinem werde gekündigt. „Wir kommen da gemeinsam durch.“