Frau Herrmann, sind Sie schon einmal einem Wolf in der freien Natur begegnet?
Sonja Herrmann: Bisher leider noch nicht. Ich fahre manchmal sehr früh zur Arbeit und halte dann Ausschau nach ihnen. Bislang vergeblich. Ich würde gerne mal einen sehen.
Deshalb sind Sie Wolfsberaterin geworden?Bei uns im Schlachthof hing ein Aushang, dass das Bremer Umweltamt Wolfsberater sucht. Ich dachte, nein, das willst du nicht. Aber wie es manchmal so ist, es ging mir nicht aus dem Kopf.
In Niedersachsen Wolfsberaterin zu sein, wäre Ihnen zu nahe an ihrem Lebensort gewesen?Der Landkreis Cuxhaven hatte bereits vier Wolfsberater, Bremen damals noch keinen einzigen. Im Raum Cuxhaven sind wir umgeben von Wölfen. Bei uns ist bestimmt auch schon mal einer über das Grundstück gelaufen. Im Ort hängen überall Schilder der Initiative Wolfsmanagement – ein Herz für Weidetiere. Viele Menschen sehen den Wolf als Bedrohung.
Ich sehe durchaus die Problematik. In unserem Nachbarort sind schon viele Schafe gerissen worden. Auch Rinder. Die Meinungen von Wolfsgegnern und Schützern prallen hier knallhart aufeinander. Ich wollte mir da mein eigenes Bild machen. Letztendlich ist doch die Frage, ist er für den Menschen gefährlich?
Und was ist mit den Weidetieren?Wenn Menschen in Gefahr wären, sähe die Sache anders aus. Wölfe gucken, wo sie am einfachsten an Nahrung kommen. Schafe sind nicht besonders wehrhaft. Die Wölfe machen das wie wir, mit möglichst wenig Aufwand, viel Ertrag erzielen.
Was sollten wir Menschen aus dieser Lehre ziehen?Das ist schwierig. Ich bin nicht dafür, alles einzuzäunen. Im ländlichen Raum geht das auch oft gar nicht. Die Weidetiere sollen ja auch auf der Weide bleiben. Wenn es dann ab und zu mal einen Nutztierriss gibt, dann ist das so.

Wolfsberaterin Sonja Herrmann
Der erste – und bislang einzige Riss im Land Bremen war ja erst im Juni. Jetzt wird erst einmal eine Richtlinie erarbeitet, wie so eine Entschädigung aussehen könnte. Das Umweltamt beschäftigt sich gerade damit.
Das Ergebnis der Untersuchung, dass es sich tatsächlich um einen Wolfsriss handelt, hat drei Monate gedauert. Wie ist das zu erklären?Es hat in der Wildtiergenetik Gelnhausen einen Personalwechsel gegeben. Obendrein mussten insgesamt fünf DNA-Proben ausgewertet werden. Das ist der einfache Grund für die Dauer. Abgesehen davon, dass diese Probenanalyse immer etwa zwei Monate dauert.
Wo haben Sie bislang Wölfe im Bremer Osten verzeichnet?In Borgfeld gab es mehrere Sichtungen. Der Riss war in Oberneuland. Zwei Schafe wurden gerissen, eines verletzt. Die Weide war eingezäunt.
Die waren sehr aufgebracht, ihr Lieblingsschaf war dabei. Das war eine Hobbyhaltung. Das eine Schaf war sieben Jahre alt, da bauen sich natürlich Bindungen auf.
Was machen Sie konkret vor Ort?Ich versuche zuerst einmal, die Leute zu beruhigen. Dann gehe ich über das Gelände, suche es großflächig nach Spuren ab. Begutachte Zäune, Losungen und die Rissspuren. Der Kehlbiss ist in der Regel gut zu erkennen. Wölfe öffnen zuerst die Bauchhöhle, packen die Gedärme beiseite und ziehen das Schaf an einen anderen Ort.
Was besagt das Ergebnis?Es handelt sich um eine Fähe, die bereits 2017 in Sachsen-Anhalt gesehen worden ist. Von allen Nutztier-Rissen werden DNA-Proben genommen. Deshalb weiß man so viel über die Tiere, ihre Aufenthaltsorte und ihre Gewohnheiten. Über die DNA kann die Familienzugehörigkeit nachgewiesen werden. Die Tiere sind durchnummeriert und registriert.
Wie viele Wölfe sind in Niedersachsen und Bremen bislang gesichtet worden?18 Rudel, zwei Paare und ein residenter Einzelwolf stehen hier auf meiner Liste vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Ein Rudel besteht etwa aus vier bis zehn Tieren – den Eltern und ihren Welpen. Die Jungtiere gehen zum Teil schon mit auf die Jagd. In ganz Bremen ist bislang nur eine einzige Fähe registriert worden.
Wann ist Ihrer Meinung nach eine Bestandsreduktion von Wölfen notwendig?Wir beschäftigen uns mit stabilen Populationen ab 1000 Wölfen. Dann könnte man über Entnahmen nachdenken. Darunter wären die Bestände immer noch gefährdet. Ein Abschuss nach heutiger Rechtslage ist unzulässig. Die Populationen kommen über Osteuropa. Aber wir können davon ausgehen, dass es nicht unendlich viele Wölfe werden. Die Rudel leben alle in Territorien von 200 bis 450 Quadratkilometern. In Städten wie Bremen sind es zumeist befriedete Gebiete, in denen die Fähe gesichtet wurde. Da kann nur sehr eingeschränkt geschossen werden. Man stellt sich das immer so einfach vor. In solchen Gebieten könnte man die Tiere höchstens einfangen.
Was verbinden Sie mit den Tieren?Durch Ausrottung gab es lange Zeit keine Wölfe mehr, jetzt sind sie zurückgekommen und das ist gut so. Mein Mann und ich sind aktive Jäger. Wir haben hier noch keine Wölfe gesehen. Das sind reine Zufallsbegegnungen.
Das geht nur durch Information. Taucht irgendwo ein Wolf auf, fahren die Leute zwei Stunden später ihre Kinder mit dem Auto zur Schule. Die Angst, die da hochkommt, ist unbegründet. Auch wenn man sich die Biologie des Wolfes ansieht. In den vergangenen 50 Jahren, gab es kaum Todesfälle durch den Wolf. Neun Menschen sind in diesem Zeitraum durch Wolfsbisse gestorben, fünf durch Tollwut – die Zahl fällt also schon mal raus. Dann gab es vier Kinder, die in den Pyrenäen als Schäfer gearbeitet haben und die Nacht im Freien verbringen mussten. Sie wurden von einem Wolf angegriffen und sind an den Verletzungen gestorben.
Die Angst vieler Menschen vor dem Wolf sitzt tief.Keiner ist frei davon, dass ihm das Herz in die Hose rutscht, wenn man einem Wolf begegnet. Das ist so eine Art Urangst. Seit über 1000 Jahren wird der Wolf gejagt. Um 1850 war er dann ausgerottet. Es gibt diese ganzen Schauermärchen wie Der Würger vom Lichtenmoor, Der Wolf und die sieben jungen Geißlein, Das Rotkäppchen. Dem Wolf wird Falschheit und Hinterhältigkeit nachgesagt, das prägt sich ein. Der Wolf ist ein Wildtier und kann gefährlich werden, wenn er sich bedrängt fühlt. Jungtiere können neugierig sein, aber in der Regel trollen sie sich dann auch wieder.
Das Gespräch führte Petra Scheller.Sonja Herrmann (53) ist seit Anfang des Jahres ehrenamtliche Wolfsberaterin der Stadt Bremen. Im Juni hat die promovierte Tiermedizinerin die Spuren des ersten – und bislang einzigen – Wolfsrisses in Bremen untersucht. Die gebürtige Berlinerin praktiziert als amtliche Tierärztin auf dem Rinderschlachthof in Bremerhaven und ist Jägerin. Sie ist Mutter von vier Kindern lebt mit ihrem Mann in einem stark von Wölfen frequentierten Dorf bei Cuxhaven. Am Dienstag, 23. Oktober, ab 19.30 Uhr, berichtet sie dem Borgfelder Beirat in der Ernst-Klüver-Halle über ihre Arbeit.