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Interview mit einer Aufräumberaterin „Ordnung macht glücklich“

Aufräumcoach Tanja Kliemann hilft beim Ordnung schaffen. Das Besondere: Unbrauchbares geht zurück in den Kreislauf - durch Spenden, Verkäufe und Auktionen.
05.02.2021, 10:55 Uhr
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„Ordnung macht glücklich“
Von Petra Scheller

Frau Kliemann, Aufräumen und Ausmisten sind zurzeit Trend. Wie viele Dinge brauchen wir, um uns frei und glücklich zu fühlen?

Tanja Kliemann: Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Wichtig ist es, dass uns die Dinge um uns herum nicht erdrücken. Berge von Besitz erschlagen oft förmlich. Jedes Ding hat eine Energie. Je mehr Dinge in einem Raum sind, desto mehr Energie steckt darin.

Was überfordert die Menschen am Besitz?

Gegenstände wollen gepflegt werden. Wenn ich eine Glasvitrine habe, muss ich sie regelmäßig abstauben. Auch die Dinge darin wie Bücher, Geschirre oder Vasen wollen regelmäßig gepflegt und geordnet werden. Kleidung muss gewaschen, getrocknet und gebügelt werden. Wenn uns die Pflege der Dinge um uns herum überfordert, ist es an der Zeit, etwas zu verändern.

Wie helfen Sie dabei konkret?

Zunächst misten wir gemeinsam aus. Denn vorm Aufräumen kommt immer erst das Ausmisten. Ich gehe mit meinen Klienten zunächst durchs ganze Haus oder durch die Wohnung und frage, welcher Raum am meisten bedrückt. Dann sehen wir uns das gemeinsam an. Wir nehmen uns das gesamte Zimmer vor und nehmen alles – wirklich alles – einmal in die Hand. Es ist wichtig, dass wir achtsam auf die Dinge schauen, die uns umgeben. Erfahrungsgemäß können sich die meisten Klienten von mindestens 20 Prozent ihres Besitzes trennen.

Womit fangen Sie an?

Wir ordnen Dinge zunächst nach Themen. Alle Vasen werden zusammengetragen. Alle Bücher, Schallplatten, Kleidungsstücke, Tischdecken, Spiele, die Oster- und Weihnachtsdekoration. Alle Fotoalben, Briefe und Ordner. Die meisten Menschen sind dann erst einmal erstaunt, wie viele Gegenstände sie zu einem Thema angesammelt haben, oder finden Sachen wieder, die sie schon lange gesucht haben. Es ist wichtig, dass es für jedes Thema nur einen festen Ort im Haus gibt – und nicht hier mal eine Schublade und dort eine andere. So behalten wir den Überblick. Dann fragen wir uns, macht uns das Geschirr, die Kanne, der Tisch oder die Bluse wirklich glücklich – verbindet mich mit diesem Gegenstand ein gutes Gefühl? Wann haben wir diese Bluse zuletzt getragen? Vor einer Woche, vor einem Jahr, vor fünf Jahren oder vielleicht noch nie?

Wie trennt man sich von überflüssigen Dingen, an denen jedoch das Herz hängt?

Angenommen wir haben ein altes T-Shirt, komplett verwaschen und ausgeleiert, aber es hängen viele Erinnerungen daran. Dann ist das ganz klar ein Fall für unsere Schatzkiste. Darin bewahren wir Dinge auf, die keine Funktion mehr haben, die uns aber dennoch glücklich machen. Wir laden Gegenstände oft mit Emotionen auf. Deshalb fällt es uns manchmal schwer, uns davon zu trennen. Ich helfe den Menschen dabei, diese Emotionen zu erkennen und sich zu verabschieden.

Wie machen Sie das?

Oft bewahren die Menschen Dinge auf, die mit negativen Emotionen aufgeladen sind. Alte Briefe, in denen Beschimpfungen des Ex-Freundes stehen, das Geschirr der Ex-Frau, die sperrige Anrichte der Schwiegermutter, die Doktorarbeit mit 25 Ordnern von vor 50 Jahren – alles, was mit negativen Gefühlen behaftet ist, belastet oft unbewusst, und davon kann man sich verabschieden.

Um ein altes Möbelstück kann es vielleicht schade sein.

Wenn wir es nicht wertschätzen und es keine Funktion hat, kann es zurück in den Kreislauf gebracht werden. Wir schmeißen die Dinge ja nicht achtlos weg. Sie werden gespendet, verkauft, auf Auktionen versteigert – allein das macht schon glücklich: zu sehen, dass Dinge einen neuen Platz finden. Meine Klienten wissen, dass sie die Dinge weitergeben. Sie bekommen die vollen Erlöse der Verkäufe oder Versteigerungen dafür. Ich bin lediglich die Vermittlerin.

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Verraten Sie uns ihre persönliche Ordnungsstrategie?

Ich bin eher eine Minimalistin. Meine größte Schwäche sind allerdings Bücher. Irgendwann stapeln sie sich im Regal, werden übereinandergelegt, spätestens dann nehme ich mir einen Wochenendtag vor und sortiere aus, da ich nur ein Bücherregal besitze, müssen die Bücher da reinpassen.

Was macht Ordnung mit uns?

Es geht ja um innere und äußere Ordnung. So ein Aufräumprozess und das Ausmisten von Gegenständen wirkt sich auch auf unser Inneres aus. Man wird dadurch klarer und auf jeden Fall gelassener. Das Leben entspannt sich. Ich hatte mal eine Klientin, die besaß 70 Blumenvasen – zum Schluss blieben 30 übrig. Es geht darum, dass wir uns von Ballast befreien. Ordnung macht uns frei, leicht und glücklich. Ich habe mittlerweile über 300 Menschen begleitet, und es gab keinen, dem es danach nicht besser ging.

Das Interview führte Petra Scheller.

Zur Person

Zur Person

Tanja Kliemann (51)

ist Aufräumcoach und hilft Menschen beim Sortieren von Gegenständen. Seit sechs Jahren bietet die Kauffrau diesen Service in Bremen und der Region an, koordiniert Umzüge, hilft beim Entrümpeln von Schränken, Kellern und Dachkammern, entwirrt Papierchaos und ordnet den Nachlass Verstorbener.

Info

Zur Sache

Aufräumen im Keller eines Borgfelder Friseur-Salons

Die Idee für das Interview mit Aufräumcoach Tanja Kliemann entstand im Keller eines Borgfelder Friseur-Salons. „25 Jahre lang sammelten sich hier Dinge an, bis man weder ein- noch auskam“, berichtet Friseurmeisterin Angela Daum. Auf knapp 35 Quadratmetern stapelte sich alles an, was in einem Geschäft so anfällt: Dekoartikel für alle Jahreszeiten, Pflegeprodukte, Haarfärbemittel, Kataloge, Poster, Registrierkassen, Schminkköpfe, Möbel aus alten Zeiten, neue Möbel, Papiere, Rechnungen, Ordner und Fotos.

„Ich betreibe den Salon in der dritten Generation“, berichtet Daum. „Seit den 1950er-Jahren haben sich die Dinge einfach vermehrt. Viele Erinnerungsstücke waren zwar nicht mehr brauchbar, aber es hingen Geschichten daran.“ Deshalb konnte sich Angela Daum einfach von vielem nicht trennen. „Beispielsweise von dem Ondulier-Gerät, mit dem meine Großmutter früher zu Kundinnen gefahren ist, um ihnen am Wochenende die Wellen ins Haar zu machen.“

Freunde und Verwandte boten Hilfe an. Doch die wollte die Friseurmeisterin und Pharmareferentin nicht annehmen. „Freunde bewerten die Sachen. Sie sagen, das oder jenes kann doch weg. Ein Aufräumcoach macht das nicht“, berichtet Daum. „Ein Coach stellt Fragen. Die Entscheidung, ob ich mich von jedem einzelnen Stück trennen möchte oder nicht, habe ich selbst getroffen – das ist entscheidend, um es hinterher nicht zu bereuen.“

Daums Ziel war es, aus dem unordentlichen Keller ein Warenlager und ein Büro zu machen. Drei Tage lang habe das gedauert. „Ich habe jetzt das Gefühl, dass jedes Ding seinen Platz hat. Wenn ich eine Rechnung suche, greife ich einfach zu einem Ordner und finde alles.“

Drei Jahre lang habe sie gebraucht, um sich zum Ordnen ihrer Dinge Hilfe zu holen, räumt Daum ein. „Ich arbeite viel und hatte dann keine Lust, auch noch in meiner Freizeit Ordnung zu schaffen.“ Besonders schwer trennen konnte sich die Handwerksmeisterin von alten Wohnzeitschriften. „Da hingen meine Träume, Wünsche und Hoffnungen dran.“ Inzwischen sei es befreiend, sie weggegeben zu haben. Nur einen Nachteil habe die Aktion gehabt. „Seither vermisse ich meine weißen Gardinen. In dem Chaos hatten sie einen festen Platz. Seither finde ich sie nicht mehr.“

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