Es kommt vor, dass in Borgfeld die Zeit stehen bleibt, die goldenen Zeiger der Uhr am Kirchturm rücken dann einfach nicht weiter. "Das passiert, wenn wir verbaselt haben, das Uhrwerk aufzuziehen", gesteht Kirchenvorstand Klaus Nannt. Damit das historische Uhrwerk in Zukunft jederzeit funktioniert, will die Kirchengemeinde es noch in diesem Jahr mit einem elektrischen Antrieb versehen lassen.
Derzeit steigen einmal wöchentlich Ehrenamtliche auf den Kirchturm, um das Uhrwerk per Hand aufzuziehen – in diesem Fall ist es der Kirchenvorstand. Oft übernimmt auch Jan-Hendrik von Stemmen diese Aufgabe. Der ehemalige Küster, Dietmar Früchtenicht, ist vor zwei Jahren in den Ruhestand gewechselt, die Kirchengemeinde hat seine Stelle eingespart.
Der Weg zum Herzen der Kirchturmuhr ist verwinkelt und steil; er führt auf die Orgelempore der Borgfelder Kirche hinauf, durch einen rund 50 Zentimeter breiten Spalt hinter die Orgel, zwei steile Holzstiegen hinauf. Es riecht nach Holz, altem Mauerwerk und Staub. Auf der zweiten Ebene öffnet Klaus Nannt einen Holzverschlag und gibt den Blick auf das historische Uhrwerk frei. Vor der Wand dahinter hängen zwei Betongewichte, fünf Millimeter starke Stahlseile verbinden diese über Flaschenzüge mit dem Uhrwerk. Dessen Mechanik ist ein kleines Wunderwerk aus elf unterschiedlich großen Rädern, deren Zähne präzise ineinandergreifen; aus Metallstangen, Sperren, einem großen Pendel und Seilwinden.
Mit der Kurbel ans Werk
An der Holzwand informiert eine Anleitung in altdeutscher Schrift über die "Behandlung von Thurm- und Hof-Uhren" einer Firma aus dem Harz. Plötzlich beginnen einige Zahnräder sich hektisch zu bewegen. Nannt unterbricht seine Erläuterungen. "Die Glocke schlägt gleich", sagt er. Es ist 10 Uhr. Erst als sich die Zahnräder wieder beruhigt haben, steckt er eine unterarmlange Kurbel an die Seilwinde, die im Inneren des schwarzen Metallgestells angebracht ist und zieht mit jeder der 19 Umdrehungen eines der Gewichte ein wenig höher. "Man kennt das von alten Standuhren zu Hause", sagt Klaus Nannt, "nur, dass hier der Weg zum Zifferblatt weiter ist". Er nimmt die Kurbel ab und steckt sie an die zweite Winde. "Hier ist das schwieriger", weiß der Kirchenvorstand.
Rund 70 Mal muss er nun kurbeln, danach ist Nannt kurz außer Atem. "Es wird einem schon warm dabei", kommentiert der 60-jährige Borgfelder und fügt hinzu: "Das Aufziehen selber ist nicht schwer – es ist einfach die Zeit, die man dafür jede Woche aufwendet, man muss dran denken und rübergehen."

Die Borgfelder Kirchturmuhr wird derzeit von Hand aufgezogen - wenn nicht, bleibt sie stehen.
Klaus Nannt hat auch deshalb die Umstellung auf einen elektrischen Antrieb mit vorangetrieben. Die Entscheidung hat sich der Kirchenvorstand nicht einfach gemacht. "Das Kirchturmuhrwerk ist ein wichtiger Teil der Kirche", begründet er. Hergestellt wurde es von der Turmuhrenfabrik J. F. Weule in Bockenem. Ein Mitglied der Familie Noltenius, aus der bekannte Juristen, Ärzte und Kaufleute hervorgegangen sind, hat das Uhrwerk 1893 der Borgfelder Kirchengemeinde gespendet.
Mehr als 130 Jahre ist das mit zwei großen Kirchenglocken und einer kleinen Zeitglocke verbundene Uhrwerk im Einsatz – und es könnte noch sehr viel länger funktionieren. Im Gegensatz dazu ist die in den 1950er-Jahren in einen Schaltkasten eingebaute elektronische Anlage, mit der die Glocken per Knopfdruck bedient werden können, bereits in die Jahre gekommen. Ehe größere Reparaturen anstehen und hohe Kosten verursachen, hat sich die Kirchengemeinde Anfang 2024 dazu entschlossen, die Läutanlage zu modernisieren.
Erhalt der historischen Mechanik
Beschlossen hat sie in dem Zuge auch, dass ein Schaltkasten mit Funkuhr die historische Mechanik ersetzen und die goldenen Zeiger auf dem Zifferblatt am Turm antreiben soll. Es wäre auf Dauer die kostengünstigere Lösung gewesen. Nach reiflicher Überlegung schwenkte die Kirchengemeinde aber um und entschied sich dafür, die historische Uhr zu belassen, wie sie ist, und nur einen Motor einsetzen zu lassen, der das Aufziehen der Uhr übernimmt. "Wir glauben, dass es den Borgfeldern wichtig wäre, wenn man das alte Uhrwerk erhält", begründet Nannt. "An der Uhr ist nichts auszusetzen, außer dass man sie aufziehen muss."
Künftig soll es möglich sein, die Glocken vom Bildschirm aus über WLAN zu bedienen, ohne dass jemand in die Kirche laufen und Knöpfe drücken muss. Außerdem könne niemand mehr vergessen, die Uhr aufzuziehen. "Sie bleibt nicht mehr stehen", sagt Nannt. In diesem Moment rastet neben ihm eine Sperre ein, ein metallischer Schlag ertönt, die Zahnräder bewegen sich wieder. Ihre Bewegung wird über die Stahlseile in die Kirchturmuhr übertragen, wo der große Zeiger in diesem Moment auf die Sechs vorrücken sollte. Draußen sind zwei leise Glockenschläge zu hören.
Die geplante Modernisierung der Läutanlage inklusive Kirchturmuhr wird die Kirchengemeinde nach eigenen Angaben mindestens 20.000 Euro kosten. "Wir versuchen dafür Spenden einzuwerben", sagt der Kirchenvorstand, "4000 Euro haben wir jetzt zusammen". Für den Kirchenumbau 2017 habe die Kirchengemeinde um die 50.000 Euro gesammelt, Nannt ist deshalb zuversichtlich. "Den Rest werden wir als Gemeinde tragen müssen."
Bevor es mit der Modernisierung der Glockenanlage losgeht, will die Kirchengemeinde bis Anfang Oktober die Sanierung des alten Pfarrhauses abschließen, sagt Nannt. Seinen Angaben zufolge haben die Arbeiten rund 60.000 Euro mehr gekostet als veranschlagt und so ein Loch in die Finanzen der Kirchengemeinde gerissen. Nannt bleibt dennoch optimistisch. "Im Frühjahr 2026 sollten die Glockenanlage und das Uhrwerk fertig sein", sagt er und hofft, dass die Spezialisten der Herforder Elektromotoren-Werke nach dem Startschuss ohne Verzug mit den Arbeiten beginnen können.