Heiße Spätsommer hat Bremen schon vor 75 Jahren erlebt. So kletterte das Thermometer am 5. September 1949 auf 31,9 Grad. Der Bridge-Club Bremen-Nord zitiert auf seiner Internetseite diese Meldung des WESER-KURIER und präsentiert dazu – mit den Worten "Bridge fand heute in der Weser statt" – ein passendes Foto: Vier Damen im Badeanzug stehen mit Spielkarten in der Hand bis zur Hüfte im Wasser um einen schwimmenden Tisch herum.
In die Weser hat es die Nordbremer Bridgespieler bei Hitze noch nicht getrieben, aber das kuriose Bild musste dennoch auf die Homepage, weil das Jahr 1949 in der Geschichte des Vereins eine wichtige Rolle spielt. Vor 75 Jahren hatte der Militärattaché Edgar von Spiegel den Club ins Leben gerufen – damals noch unter dem Namen Bridge-Spielkreis und mit Sitz in Bremen-Mitte. Fünfzig Jahre später hatte sich der Club so stark entwickelt, dass er mit 367 Mitgliedern der zweitgrößte Bridge-Club Deutschlands war.

Christa Kalisch, Waltraud Hahnfeld und Béla Raasch (von links) vom Vorstand des Bridge-Club Bremen-Nord bereiten im Lesumer Hof alles für den Turniernachmittag vor.
Unter der damaligen Vorsitzenden Ingeborg Fehse, die den Bridge-Club über 30 Jahre lang engagiert geleitet hatte, war der Verein so stark gewachsen, dass er wegen Platzmangels mehrmals das Spiellokal wechseln musste. 1974, berichtet Schriftführerin Waltraud Hahnfeld, wurde ein zweiter Spieltag eingeführt. Auf den Tisch kamen die Karten dann im Vereinshaus des Vegesacker Ruderclubs. 1984 wechselte der Bridge-Club für seine Turniernachmittage in die Strandlust, wo die Vorsitzende nach dem Turnier in der Küche verschwand, um Marmelade zu kochen. "Die Früchte hatten die Frauen mitgebracht." Seit 2021 trifft sich der Bridge-Club Bremen-Nord montags von 15 bis 18.30 Uhr im Lesumer Hof. Die Blütezeit, in der der Club "fast 40 Jahre lang über 300 Mitglieder hatte" und in der von Montag bis Donnerstag jeden Tag Bridgespiel angeboten wurde, gehören der Vergangenheit an. Es gab sogar erfolgreiche Jugendmannschaften. Zum 50-jährigen Bestehen war die jüngste Aktive 14 und die älteste 94 Jahre alt. Heute zählt der Bridge-Club Bremen-Nord 52 Mitglieder, der Altersdurchschnitt liegt bei 70 Jahren.
Lange Lernzeit
Die Schriftführerin war 2001 zum ersten Mal mit dem Bridge-Club in Kontakt gekommen. Der Verein hatte zu einem kostenlosen Schnuppertraining eingeladen. Waltraud Hahnfeld und ihr Mann wollten sich das gerne anschauen. "Wir dachten, da sitzen vielleicht 20 oder 30 Leute." Was sie sahen, habe sie regelrecht "erschlagen", erinnert sich die Nordbremerin. "Der Saal in der Strandlust war brechend voll." Beide sind nach dem Schnuppern dabei geblieben. Auch wenn Waltraud Hahnfeld – eigentlich passionierte Kartenspielerin – am Bridge und seinen Regeln zeitweise schier verzweifeln konnte. Nach 20 Stunden Grundkurs, blickt sie schmunzelnd zurück, "weiß man eigentlich erst, wie man Bridge schreibt". Noch nach zwei Jahren Bridge-Kurs habe sie sich gefragt, was an diesem Spiel dran sein soll, dass jemand es mit solchem Elan vermittelt. "Ich habe gedacht, ich lerne Chinesisch."

Der Bridge-Club Bremen-Nord besteht seit 75 Jahren. Zeitweise war er mit 367 Mitgliedern der zweitgrößte Bridge-Club Deutschlands.
Doch dann packte sie der Ehrgeiz. Waltraud Hahnfeld wälzte Bücher übers Bridgespiel und kam an den Punkt, an dem sie Übersicht gewann. An dem an Strategie zu denken war und vorausplanendes Spiel möglich schien. "Das ist Adrenalin pur", beschreibt sie das Gefühl des guten Zusammenspiels. Denn darum geht es beim Bridge, bei dem zwei sich gegenüber sitzende Spieler eine Brücke bilden und gemeinsam um die besten Punkte spielen. "Wer die Brücke zu seinem Partner nicht findet, wer nicht optimal kooperiert, hat kaum eine Chance auf Erfolg." Dabei muss alles ohne Worte geschehen. Die Spielschritte miteinander zu besprechen, ist nicht erlaubt. Tricks und Kniffe kommen auch nicht gut an. "Es gab Weltmeister, die haben geschummelt und sich durch Husten verständigt", weiß Club-Vorsitzende Christa Kalisch. "Sie wurden erwischt und für zehn Jahre vom Weltverband ausgeschlossen."
Keine Glückssache
Der Unterschied zu anderen Kartenspielen sei, "dass Bridge nicht Glückssache ist, sondern Können", erklärt Sportwart Béla Raasch, der 1998 zusammen mit seinem Mitspieler Leszek Molak den ersten Platz in der Weltrangliste errang. Alle Spieler hatten am Ende eines Turniers das gleiche Blatt auf der Hand. Später wird per Computer ermittelt, welches Spielerpaar das Blatt am besten bewertet und die meisten Stiche erreicht hat. "Zufall und Kartenglück sind ausgeschlossen." Die Zahl der Möglichkeiten bei der Blattverteilung sei im Übrigen schwindelerregend – sie ist 27-stellig.

Dürfen beim Bridge nicht fehlen: Bietboxen, die an kleine Karteikästen erinnern. Darin stecken Karten, deren Symbole der bridgeferne Betrachter nicht deuten kann. Man braucht sie zum Reizen.
Bridge gehe auf das Kartenspiel "Whist" zurück, das schon im 17. Jahrhundert in England weit verbreitet war, weiß Waltraud Hahnfeld. Daher rührt womöglich das Image, das dem Kartenspiel noch anhaftet: dass es ein Spiel der älteren englischen Damen beim Tee sei. "Das ist nicht der Fall", widersprechen die Bridgespielerinnen. "Nach Tennis und Golf ist es die am häufigsten praktizierte Freizeitbeschäftigung", die dem Gehirn Beine macht. Bridge halte die grauen Zellen auf Trab, "weil es die Konzentrationsfähigkeit fordert und fördert". Außerdem sorge Bridge dafür, dass man sich nicht einsam fühlen muss. Spielerinnen und Spieler seien überall willkommen. Es wird weltweit nach denselben Regeln gespielt. In Polen ist es sogar Unterrichtsfach, erzählen sie. Dann beginnt im Lesumer Hof der Turniernachmittag. Die Karten sind verteilt. Jetzt bloß keinen Pieps mehr. Nur noch konzentrierte Stille.