Die Szene hat ein bisschen was von Loriot. Man denkt unweigerlich an den empörten Reporter, der in einem Zeichentrick-Film einen Mann interviewt, der behauptet, er habe seinem Hund das Sprechen beigebracht. Aber der Reporter hat seine Zweifel: "Ihr Hund kann gar nicht sprechen". Kann er auch nicht. Der Zeichentrick-Hund Bello ebenso wenig wie der leibhaftige Schäferhund-Mix Rex. Der ist zwar ein Vorlesehund, aber lesen oder gar vorlesen kann er trotzdem nicht. Der Hund sitzt einfach nur still dabei, wenn Kinder und Jugendliche laut Geschichten lesen. Aber allein das ist schon eine sehr große Hilfe.
Sagt Eva-Maria Backhaus, die den einstigen Straßenhund mit Unterstützung eines deutschen Tierschutzvereins aus einer Tötungsstation in Rumänien rettete und das Tier im Laufe der Zeit für die hundgestützte Sprach- und Leseförderung ausgebildet hat. An diesem Vormittag wird Rex schon sehnsüchtig erwartet. Seit Januar fährt Eva-Maria Backhaus mit ihrem siebenjährigen Hund jeden Montagmorgen von Rotenburg-Wümme nach Bremen-Marßel, um an der dortigen Willkommensschule Leseförderung anzubieten. Kaum angekommen, bekommt Rex auch schon die ersten Streicheleinheiten. Die Schülerinnen und Schüler gleiten mit ihren Händen übers weiche Fell, knuddeln das Tier und sind hocherfreut über den Besuch auf vier Pfoten. Der muss nun aber arbeiten. Und das heißt: sich brav auf seine Decke setzen und lauschen, was die Schülerin und der Schüler, die von Eva-Maria Backhaus einen Text bekommen haben, vorlesen.
Verein hilft ehrenamtlich
87 Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien besuchen derzeit die Willkommensschule Blumenthal, die ihren Standort momentan noch in Burglesum hat – in Mobilbauten auf dem Gelände der Oberschule an der Helsinkistraße. Schulprofil, erzählt der kommissarische Schulleiter Nermin Sali, ist das Theaterspiel. Ein Angebot, mit dem die Pädagogen seinen Worten zufolge einen guten Zugang zu den Kindern und Jugendlichen der fünften bis zehnten Klassen gewinnen können. Schließlich bringen alle Schülerinnen und Schüler ihre ganz eigenen – nicht nur guten – Erfahrungen mit.
"Es wäre auch schön, einen Schulhund zu haben", sagt Stephanie Seumer, Gründungsbeauftragte der Willkommensschule und ebenso im Leitungsteam tätig. Weil sich ein eigener Schulhund aber nicht realisieren ließ, begab sich die Lehrerin auf die Suche nach einer anderen Lösung – und stieß im Internet auf den Verein "Lesehund im Norden". Deren Mitglieder wie Eva-Maria Backhaus engagieren sich ehrenamtlich in Schulen, Büchereien und anderen Einrichtungen und sorgen mit ihren Hunden für eine stressfreie und wertschätzende Leseatmosphäre, was Kindern die Angst davor nimmt, beim Vorlesen Fehler zu machen. Weil die Willkommensschule ihre Leseförderung intensiver ausbauen wollte, knüpfte Stephanie Seumer Kontakt zum Verein und lud Eva-Maria Backhaus und Rex zum Besuch ein.
"Es war unser Wunsch, Kinder gezielt in Kleingruppen zu fördern", erzählt Seumer. Profitieren sollten vor allem die Schülerinnen und Schüler, die mit dem Spracherwerb noch am Anfang stehen. Hund und Halterin haben sich in den Klassen vorgestellt, um zu schauen, welche Kinder und Jugendlichen gern mit Rex in einer Kleingruppe von zwei bis drei Schülern das Vorlesen üben möchten. Auf Anhieb gingen aber nicht alle Finger nach oben. "Viele Kinder haben sehr wenig Kontakt zu Tieren und sind es nicht gewohnt, ihnen nahe zu kommen", erklärt die Pädagogin. Inzwischen würden sie aber sehen, wie gut die kleine Trainingseinheit mit Rex den teilnehmenden Kindern gefalle. "Es melden sich immer mehr Kinder, die mitmachen wollen."
Der Hund lacht keinen aus
Der Rüde hat längst eine große Fangemeinde unter den Schülern. In den 20 Minuten, in denen sich Eva-Maria Backhaus mit zwei oder drei Schülern zum Vorlesen zurückzieht, spendet das Tier ihnen durch seine bloße Anwesenheit eine große Sicherheit. Backhaus, die selbst unter ihrem Namen eine gemeinnützige Stiftung gegründet hat, "um das gegenseitige Verständnis zwischen Tier und Mensch zu verbessern", weiß: "Viele Kinder haben Hemmungen vorzulesen, wenn ihnen dieses nicht fehlerfrei gelingt. Sie empfinden dann oft einen großen Druck, verlieren das Selbstvertrauen und möchten nicht mehr vorlesen." Kinder, die viele Rückschläge und Misserfolge erlebt haben, seien oft seelisch dünnhäutig, hätten Angst zu versagen und würden schnell aufgeben.
Mit Rex haben die Kinder einen aufmerksamen Zuhörer, der ihnen Zuneigung schenkt und der vor allem nicht wertet, sagt Stephanie Seumer. Der Hund kritisiert nicht und lacht auch niemanden aus. Seit das Projekt laufe, bei dem die Teilnehmergruppen regelmäßig wechseln sollen, würden die Klassenleitungen bei den Schülern ein deutlich gestiegenes Selbstbewusstsein feststellen. Das bemerkt auch Eva-Maria Backhaus, die mit ihren Texten für die Vorleseübungen gleichzeitig ein Stück Wissen vermittelt. "Die Kinder freuen sich auf das Treffen mit dem Vorlesehund, trauen sich schneller, beim Lesen den ersten Schritt zu machen und sind motivierter."