Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Nordbremer Wissenschaftlerin im Interview "Es braucht Pausen von negativen Meldungen"

Klimawandel, Corona, Ukraine-Krieg: Derzeit gibt es viele Nachrichten, die betroffen machen. Im Interview sagt Wissenschaftlerin Sonia Lippke, wie wir mit ihnen umgehen können, ohne dass sie uns überfordern.
04.03.2022, 11:28 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Christian Weth

Frau Lippke, wie war Ihnen zumute, als Sie in der vergangenen Woche die Nachricht vom Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hörten?

Sonia Lippke: Wie viele Menschen hatte ich bis zum Schluss gehofft, dass es nicht zu einer Invasion kommt. Darum war die Nachricht für mich wie ein Schock, der mich erst fassungslos, dann traurig gemacht hat. 

Und wie haben Sie es geschafft, die negativen Gedanken nicht Oberhand gewinnen zu lassen?

Ich beschäftige mich schon länger wissenschaftlich mit der Wirkung der Medien auf die Psyche. Darum weiß ich inzwischen auch, wie viele Nachrichten ich vertragen kann und was mir persönlich in solchen Situationen hilft.

Und was ist das?

So einfach das klingt: reden. Ich habe eine Vorstandssitzung mit Kollegen aus dem Ausland genutzt, um über den Einmarsch zu sprechen. Unter den Teilnehmern war auch eine Kollegin aus Rumänien. Der Austausch hat mir das Gefühl vermittelt, dass wir alle zusammenstehen und neben Spenden den Betroffenen auch psychologisch helfen können.

Lesen Sie auch

Klima-Krise, Corona-Krise, Ukraine-Krise: Momentan kann man den Eindruck bekommen, dass es die Menschen immer schwerer haben, zuversichtlich zu bleiben. Was machen schlechte Nachrichten mit der Psyche?

Sie können eine Negativ-Spirale auslösen. Erst einmal können sie verunsichern. Aus der Unsicherheit kann Angst werden. Und aus der Angst schließlich Hoffnungslosigkeit und das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Was den Menschen antriebslos und depressiv werden lassen kann, wenn man aus der Spirale nicht rauskommt.

Und wie sind die Folgen für den Körper?

Für den Körper bedeutet das Stress. Was erst einmal nichts Schlechtes ist.

Inwiefern?

Stress ist eine natürliche Reaktion. Der Körper schaltet, wenn man so will, in den Modus unserer frühgeschichtlichen Vorfahren um, die bei Gefahr zwei Möglichkeiten hatten: entweder zu flüchten oder anzugreifen. Hat man aber permanent Stress, kann man sich nicht erholen. Am Ende kann eine körperliche Krankheit oder psychosomatische Störung entstehen.

Welche Warnsignale gibt es?

Es gibt mehrere Anzeichen. Die meisten haben mit Emotionen zu tun. Zum Beispiel mit dem Gefühl, überfordert zu sein, alles schwarz zu sehen und sinnlos zu finden. Hält der Zustand an, ist manchmal Hilfe von außen notwendig.

Lesen Sie auch

Wie kann man lernen, mit Krisen-Nachrichten besser umzugehen?

Man kann lernen, den Stress in bestimmten Situationen zuzulassen und in anderen zu vermeiden. Es braucht Pausen von negativen Meldungen. Man kann es auch Medien-Hygiene nennen. Für die psychische Gesundheit ist sie elementar.

Was raten Sie denn Menschen, denen es immer schwerer fällt, nach schlechten Nachrichten zuversichtlich zu bleiben?

Ich rate ihnen, einen Ausgleich, eine Art Katalysator zu finden. Sich zu bewegen, kann zum Beispiel so ein Ausgleich sein. Sich auf das zu konzentrieren, was man gerade macht – und nicht nebenbei die Nachrichtensender eingeschaltet zu haben. Und die Meldungen nicht nur im Fernsehen und dem Internet zu verfolgen.

Warum nicht?

Weil Studien belegen, dass die Korrespondenten-Aufnahmen im Fernsehen und die Videos im Internet einem mehr zu schaffen machen können als zum Beispiel ein Bericht über den Ukraine-Krieg in der Zeitung. Beim Lesen entstehen eher Bilder in unserem Kopf, die uns weniger überfordern – das ist im Fernsehen und bei Online-Videos anders.

Lesen Sie auch

Psychologen und Verhaltenstrainer haben manchmal Übungen für die Menschen, die zu ihnen kommen. Sie auch?

Ich bin keine Psychotherapeutin. Was ich aber empfehlen kann, ist: Sport hilft, in Balance und damit psychisch belastbar zu bleiben. Ich kenne beispielsweise einen Kollegen, der schaut die Fernsehnachrichten nicht mehr im Sitzen, sondern beim Hüpfen. Er hat im Wohnzimmer ein Minitrampolin.

Inzwischen wird es immer schwerer, sich der Meldungen und Eilmeldungen zu entziehen. Das Smartphone ist überall. Wie süchtig sind wir inzwischen nach Nachrichten?

Wir haben uns tatsächlich – so ähnlich wie ans Anschnallen im Auto – unbewusst an die Push-Nachrichten per Smartphone-App gewöhnt. Was sich jeder allerdings immer wieder bewusst machen sollte, ist: Wir können diese Push-Funktion auch abstellen. Genauso wie wir uns allgemein angewöhnen können, Nachrichten nur noch zu bestimmten Zeiten am Tag zuzulassen und nicht als Dauerberieselung.

Lesen Sie auch

Das klingt nach einem weichen Entzug.

Ich würde eher sagen, dass das ein Plan ist, nur so viele Nachrichten zuzulassen, wie man verkraften kann.

Würden Sie auch sagen, dass wir für schlechte Nachrichten empfänglicher sind als für gute Nachrichten?

In gewisser Weise schon. Das hat mit unserer Befähigung zu tun, zukünftige Ereignisse antizipieren zu können, um aus ihnen zu lernen. Mit der Folge, dass wir auch Veränderungen starten können. Die Klima-Krise zum Beispiel ist für uns alle ja mehr als eine schlechte Nachricht, sondern auch ein Grund zum Handeln.

Was ist denn für Sie ein ausgewogener und damit vielleicht auch gesunder Nachrichtenkonsum?

Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass ein ausgewogener Medienkonsum nicht nur bedeutet, die Zeit der Nachrichten zu begrenzen, sondern auch für einen Mix an Nachrichten zu sorgen.

Wie meinen Sie das?

Ich meine damit, dass es helfen kann, auch nach Meldungen zu suchen, die mal nichts mit Klima-Krise, Corona-Krise und Ukraine-Krise zu tun haben.

Und was lesen Sie dann?

Mir helfen zum Beispiel die Lokalnachrichten, mich quasi wieder zu erden.

Das Interview führte Christian Weth.

Zur Person

Sonia Lippke (47)
ist Professorin für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Jacobs University. Seit 2011 arbeitet sie an der Grohner Privatuni. Lippke wohnt in Bremen-Nord, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)