Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Umfrage Wie sich der Krieg in der Ukraine auf Russen in Bremen auswirkt

In Bremen leben viele Menschen mit russischen Wurzeln. Wie nehmen sie den Krieg wahr? Wie geht ihr Umfeld - in Deutschland, aber auch die Freunde und Verwandte in Russland damit um? Ein Stimmungsbild.
04.03.2022, 07:15 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Ulrike Troue Frank Hethey Alexandra Knief

Restaurant-Besitzer, Musiker, Politiker, Gemeindevertreter: Auch in Bremen leben viele Russinnen und Russen. Einige von ihnen sind mit dem Krieg, den der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine führt, nicht einverstanden. Aber es gibt auch Menschen, die Putins Handeln anders bewerten. Der WESER-KURIER hat mit russischstämmigen Bremern über den Krieg gesprochen und gefragt, wie er sich auf ihren Alltag auswirkt. 

Natali Gurman

Schon in den vergangenen Wochen gestalteten sich vor allem die Deutsch-Gesprächskreise als äußerst schwierig, sagt Natali Gurman. Die Vorsitzende des Vereins Bremen.ru, der sich seit 2005 ehrenamtlich für die Integration von russischsprachigen Migranten engagiert, erlebt durch den russischen Angriffskrieg eine Spaltung im Verein: hier diejenigen, die Putins Angriffskrieg verurteilen und auf der anderen Seite Russischstämmige, die russische Propaganda hören und die offizielle Linie verteidigen würden.

„Es ist gefährlich zurzeit“, stellt die gebürtige Ukrainerin erschüttert fest, die seit 20 Jahren in Bremen lebt und sich große Sorgen um Angehörige und Freunde in ihrer Heimatstadt Kiew macht. Kaum jemand aus dem Verein wolle sich öffentlich äußern, „aus Angst“ vor Repressalien oder weil der Mut fehle. „In Deutschland müsste das russische Fernsehen verboten werden“, so Gurman.

Die 52-Jährige hat inzwischen Aufkleber gekauft, um den Zusatz „ru“ im Vereinsnamen zu verdecken. Schon am zweiten Tag des Krieges hat der Vorstand entschieden, dass sich der Verein einen neuen Namen geben wird. „Wir wollen auf keinen Fall, dass die Leute uns mit Russland in Verbindung bringen“, betont Natali Gurman. 

Valentina Tuchel

Natürlich würden viele Russischstämmige auf den Ukraine-Krieg angesprochen, sagt die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Valentina Tuchel. Die 56-Jährige stammt aus der autonomen Republik Komi in Nordwestrussland und ist durch ihre Arbeit bei der Migrationsberatung der Arbeiterwohlfahrt gut vertraut mit der Stimmung unter zugewanderten Russen. Von Anfeindungen oder Beschimpfungen ist ihr bislang nichts bekannt. Im Gegenteil, auch unter Russen erlebt sie eine Welle der Solidarität mit geflüchteten Ukrainern. Vor allem jüngere Russen nutzten die sozialen Netzwerke, um wichtige Informationen nach Russland weiterzuleiten. „Damit die Russen nicht einfach der staatlichen Propaganda glauben.“  

Lesen Sie auch

Irina Ostrovskaia

Auch Irina Ostrovskaia aus dem Opernchor des Theater Bremen kann noch immer nicht glauben, was gerade in der Ukraine geschieht. „Ich habe bis zum Ende gehofft, dass die Probleme diplomatisch gelöst werden können. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für diesen Angriff“, sagt die 64-Jährige, die seit 26 Jahren in Deutschland lebt. Was in den russischen Medien passiert, ist in ihren ­Augen nichts als Propaganda: „Die Angriffe werden als militärische Operation dargestellt, es wird verboten, das Wort Krieg zu sagen. So was habe ich noch nie erlebt.“

Wer in Russland lebt, habe kaum eine Möglichkeit, an andere Informationen zu kommen als an die, die Putin verbreiten will. Ostrovskaia hat einen Cousin und eine Freundin in Russland. „Ich hoffe, dass ihnen nichts passiert“, sagt sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das alles weitergehen soll, selbst wenn der Krieg aufhört. Das alles wird einen Schatten auf die russische Geschichte werfen. Das kann man nie wieder wegradieren.“

 

Katja Scheffler

„Ich habe schon immer gewusst, dass Putin ein schrecklicher Mensch ist“, sagt Katja Scheffler. Sie wurde in St. Petersburg geboren und lebt seit 22 Jahren in Deutschland. Sie spielt 1. Violine bei den Bremer Philharmonikern. Was jetzt in der Ukraine geschieht, macht sie fassungslos. „Ich konnte zuerst wirklich nicht glauben, was ich da gesehen habe.“ Der Krieg habe sogar dazu geführt, dass sie den Kontakt zu einigen Freunden in St. Petersburg, die Putins Aussagen über die Ukraine glauben, erst einmal abgebrochen hat. Propaganda in den Nachrichten sei in Russland schon immer ein Problem gewesen. „Und wenn man etwas zwanzig Jahre lang eingebläut bekommt, dann glaubt man es auch irgendwann“, sagt sie. „Leider merken die Menschen zum Teil nicht, dass das nicht die Wahrheit ist.“ Sie hofft, dass der Krieg schnell ein Ende hat. Und das dies gleichzeitig auch das Ende von Putins Macht bedeutet. Hier in Deutschland habe sie bisher glücklicherweise keine Anfeindungen wegen ihrer russischen Wurzeln erlebt. Ihre russische Staatsbürgerschaft hat die 42-Jährige schon vor einer ganzen Weile abgelegt (besser: aufgegeben), worüber sie aktuell sehr froh sei.

Grigori Pantijelew

Zahlreiche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Bremen stammen aus der früheren Sowjetunion, aus Russland und der Ukraine. „Viele haben Verwandte in der Ukraine“, sagt Gemeindesprecher Grigori Pantijelew. Er selbst wurde in Moskau geboren und kam 1994 als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. „Man weiß heute nicht mehr, was ein imperialistischer Krieg ist. Diese tragische Lehrstunde erleben wir jetzt“, sagt der 63-Jährige. Wladimir Putin – er nennt ihn den russischen Diktator – wolle das alte Zarenreich zurückhaben.

Die Ukrainer seien ein freiheitsliebendes Volk auf dem besten Weg zur Demokratie, weg von der Korruption der Sowjetzeit. „Das will Putin nicht zulassen.“ Europa dürfe dem Vernichtungskrieg nicht tatenlos zusehen. Seine Forderung: den Luftraum über der Ukraine schließen, damit die Gräueltaten aufhören. „Die Mehrheit unterstützt unseren Kurs“, so Pantijelew. „Einige sehen aber auch russisches Fernsehen. Die sind geblendet, da kann man wenig machen.“

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)