Es gab Jahre, da stapelten sich mit buntem Geschenkpapier beklebte Schuhkartons beinahe überall im Haus des Ehepaares Orlovsky. "Mein Mann hat große Augen gemacht, aber ich hab mich immer gefreut, wenn es richtig voll wurde", erzählt Andrea Orlovsky. "Im November habe ich zum Teil bis spät in die Nacht Kartons gepackt und durchgeschaut." Mehr als 25 Jahre hat die 61-Jährige die Aktion "Weihnachten im Schuhkarton" in Bremen-Nord und Umgebung koordiniert. In diesem Jahr übergibt sie das Projekt an Klaudia Laupichler, die es ebenfalls schon lange für ganz Bremen organisiert.
"Weihnachten im Schuhkarton" ist eine internationale Aktion der christlichen Hilfsorganisation "Samaritan's Purse", die bis 2019 unter dem Namen "Geschenke der Hoffnung" agierte. Nicht nur im deutschsprachigen Raum, auch in den Vereinigten Staaten, Australien, Neuseeland, Kanada, Großbritannien, Spanien und Finnland werden Schuhkartons mit Geschenken und nützlichen Dingen für bedürftige Kinder gepackt.
Es sind private Gründe, aus denen Andrea Orlovsky die Organisation von "Weihnachten im Schuhkarton" abgibt. "Wir verkaufen unser Haus und wollen ab kommendem Jahr, wenn mein Mann in Rente geht, viel unterwegs sein", erläutert die St. Magnuserin. Wer an der Aktion teilnehmen möchte, findet aber weiterhin mehrere Annahmestellen in Bremen-Nord und Umgebung. Klaudia Laupichler wird die Pakete abholen und in die Hauptsammelstelle in der Innenstadt bringen. In diesem Jahr ist das die St.-Martini-Kirche in Bremen-Mitte. "Dort können wir die Sakristei nutzen", erläutert die Koordinatorin.
Laupichler lebt in Findorff und arbeitet als Hebamme. Alljährlich reduziert sie ihre Arbeitszeit im November zugunsten von "Weihnachten im Schuhkarton" etwa um die Hälfte. Sie organisiert Packaktionen, füllt Kartons mit Spenden auf, die sie das Jahr über sammelt, kümmert sich darum, dass die Schuhkartons in Frachtkartons geladen werden. Ende November werden diese dann von einer Spedition abgeholt und nach Berlin gebracht. Dort schauen Ehrenamtliche sie in der sogenannten Weihnachtswerkstatt noch einmal auf Inhalt und Qualität durch. Durch die Kontrolle soll sichergestellt werden, dass die Kartons keine zollrechtlich verbotenen, alten, kaputten, unangebrachten oder gefährlichen Gegenstände enthalten oder nur halb voll sind. Von Berlin aus werden die Kartons schließlich per Lkw in die Empfängerländer transportiert.
Die Päckchen aus dem deutschsprachigen Raum werden an bedürftige Kinder in Osteuropa, unter anderem auch in der Ukraine, verteilt. 2022 kamen in Bremen knapp 2000 Schuhkartons zusammen, davon wurden 479 in Bremen-Nord gepackt, sagt Orlovsky. In der Vergangenheit haben sie und Klaudia Laupichler allerdings weitaus höhere Zahlen verzeichnet. "Durch die Corona-Pandemie und die Inflation ist die Beteiligung ziemlich gesunken", meint Laupichler. Die ebenfalls 61-Jährige hat wie auch Andrea Orlovsky zweimal an Verteil-Aktionen in Empfängerländern teilgenommen. Beide erinnern sich mit Begeisterung an diese Reisen und die Reaktionen der Kinder beim Empfang der Pakete.
Für einige Mädchen und Jungen ist dieses Erlebnis so außergewöhnlich, dass sie die Geschenke sogar noch als Erwachsene aufheben, erzählt Laupichler. "Ein Freund meines Neffen lebt in Georgien. Von ihm weiß ich, dass er noch als Student die Federmappe benutzt hat, die er als Kind durch die Aktion geschenkt bekam." Und eine Frau aus Rumänien, die inzwischen in Deutschland lebt, erzählte der Hebamme, dass sie noch immer ein Kuscheltier besitzt, dass einst in einem Schuhkarton steckte.
In den Empfängerländern übernehmen christliche Gemeinden die Verteilung an die bedürftigen Kinder. "Häufig bekommen die Familien einen Gutschein für eine Weihnachtsfeier, bei der es Gebäck und Getränke gibt", erzählt Laupichler. Nach Angaben von "Samaritan's Purse" werden die beschenkten Mädchen und Jungen auch zu einem Glaubenskurs eingeladen. Das hat schon für Kritik gesorgt. Der Organisation wurde vorgeworfen, mit der Aktion aggressiv zu missionieren.
Dem tritt "Samaritan's Purse" allerdings entschieden entgegen. Es gehöre zum ureigensten Auftrag der Kirche, auf einladende Weise vom Glauben zu reden. "Eine Weihnachtsfeier, in der man die Geburt von Jesus Christus und seine Bedeutung für jeden einzelnen Menschen ausklammern würde, wäre keine Weihnachtsfeier", heißt es in einer Stellungnahme. Wo die Verteilungen in eine Weihnachtsfeier eingebettet seien, geschehe dies "entsprechend der kulturellen Gepflogenheiten" der beteiligten Partner, betont die Hilfsorganisation.