Wer war Karl Oppenheimer? War er ein angenehmer, gebildeter Zeitgenosse, der fröhlich grüßte und mit dem man gerne schnackte? Oder war er zurückhaltend, verschlossen, in sich gekehrt? Hatte er besondere Interessen, Steckenpferde, Eigenheiten? Seine Nachbarn hatten nicht viel Zeit, ihn näher kennenzulernen. Nur ein Jahr lang wohnte Oppenheimer an der Neukirchstraße 54, dann wurde er von der Gestapo abgeholt. Vom 22. November 1940 an verliert sich seine Spur. Seit dieser Woche erinnert eine kleine Gedenktafel an den Menschen, der selbst für seine Familie ein Rätsel ist, und von dem nicht einmal ein verblichenes Foto überlebt hat.
Das Projekt „Stolpersteine“ setzt seit 25 Jahren Opfern des Nationalsozialismus ein Denkmal, damit ihre Schicksale immer präsent bleiben. Für den Initiativkreis Stolpersteine Bremen hat Franz Dwertmann alles zusammengetragen, was über Karl Oppenheimer herauszufinden war: Dass er am 15. März 1899 in der nordhessischen Kleinstadt Battenberg in eine große jüdische Kaufmannsfamilie geboren wurde, dass er 1929 als Geschäftsreisender nach Bremen zog, kurz darauf die Delmenhorsterin Marie-Luise heiratete, Vater eines Sohnes namens Albert wurde und mit seiner Familie in der Neustadt wohnte. 1933 trennte sich das Ehepaar, zwei Jahre später war die Scheidung vollzogen. Warum? „Manchmal geschah das, weil man den nichtjüdischen Ehepartner schützen wollte“, erklärte Dwertmann bei der Stolperstein-Verlegung.
Deportiert in ein Ghetto
Ob es bei den Oppenheimers auch so war? Der Vermieter Neußer, die Witwe Husemann und der Feuerwehrmann Peters in den Häusern links und rechts: Hatten sie sich gefragt, was wohl mit dem Nachbarn geschehen war? Wurde er vermisst? Man wird es nie erfahren. Die Quellen sagen darüber nichts aus. Sicher sei, dass Oppenheimer seine Wohnung nicht freiwillig verlassen habe, sagt Dwertmann. Dem Gedenkbuch des Bundesarchivs sei zu entnehmen, dass er nach Polen „abgeschoben" worden sei. Im Klartext: deportiert in ein Ghetto oder Vernichtungslager. Wie er starb, wann und wo – das konnte nicht mehr rekonstruiert werden.
Man wird auch nie erfahren, welche Gesichts- und Wesenszüge er vielleicht an seine Nachkommen vererbt haben mag. Und dennoch: Die Recherche hat vieles ergeben, was selbst die Familie nicht wusste. „Das Schicksal unseres Großvaters war nie Thema. Es wurde immer verdrängt“, erklärt Enkel Ralf Oppenheimer, der mit seiner Familie aus Osnabrück angereist war. Karl Oppenheimers Ehefrau hatte ein zweites Mal geheiratet und war mit der Familie wieder in ihre Geburtsstadt gezogen. Sohn Albert – erst siebenjährig, als der Vater verschwand – habe sein Leben lang jede Nachfrage abgeblockt, erzählt Schwiegertochter Ulrike. Erst nach Alberts Tod im Jahr 2020 entschloss sich die Familie, die Erinnerung zuzulassen. Bereits als Jugendliche habe sie sich gefragt, warum es in der väterlichen Linie nur Fragen, keine Antworten gebe, erklärt Urenkelin Jara, 32 Jahre. Und ihr Cousin Kai, 14 Jahre, sagt, „bis vor zwei Wochen wusste ich noch nicht einmal, dass dieser Mensch existiert hat.“ Wegen des so jüdisch klingenden Familiennamens habe man nie Nachteile oder Diskriminierung erfahren, betonen alle Oppenheimers. „Aber als wir vor einigen Jahren den Ort Battenberg besuchten, haben wir erlebt, dass manche ältere Leute komisch wurden, als sie unseren Namen hörten“, erzählt Ulrike Battenberg. „Dieser Stolperstein ist sehr, sehr wichtig für uns“, sagt Ralf Oppenheimer. „Er ist für uns auch ein Anlass, noch mehr über unsere Familiengeschichte herauszufinden.“
80.000 Stolpersteine angefertigt
Der Kölner Bildhauer und Aktionskünstler Gunter Demnig hat in den vergangenen 25 Jahren rund 80.000 Stolpersteine angefertigt und größtenteils mit den eigenen Händen in die Gehsteige eingelassen. Sie erinnern an Menschen, die wegen ihres Glaubens, ihrer Abstammung, ihrer politischen Überzeugung oder ihrer Behinderung von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Stolpersteine Bremen ist ein Projekt der Landeszentrale für politische Bildung Bremen und des Vereins „Erinnern für die Zukunft e.V.“, und wird von Ehrenamtlichen des Initiativkreises Stolpersteine Bremen getragen. Sie übernehmen auch die Recherche der Biografien, und veröffentlichen alle Informationen zu den Bremer Stolpersteinen auf der Website www.stolpersteine-bremen.de. Immer auf der Suche sind die Initiatoren auch nach Freiwilligen, die die Pflege der Gedenktafeln übernehmen, erklärte Peter Christoffersen aus dem Initiativkreis. In Findorff hat sich die Suche erledigt: Der SPD-Ortsverein hat die Patenschaft für die rund 40 Stolpersteine im Stadtteil übernommen.