Es sind oft die einfachen Sätze, die die Wahrheit am besten ausdrücken. An diesem Tag steht ein solcher Satz auf einem Transparent, schlichte schwarze Buchstaben auf weißem Grund: „Jeder hat ein rotes Herz, kein weißes oder schwarzes“.
Eineinhalb Tage nachdem ein Rechtsradikaler in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund und seine Mutter erschoss und zwei Tage nachdem ein Unbekannter eine Bombendrohung gegen die Fatih-Moschee verschickte, haben sich am Freitag etwa 300 Personen vor dem Gebetshaus zu einer Mahnwache versammelt. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus dem Bundestag, der Bürgerschaft und dem Stadtteil, Polizeipräsident Lutz Müller, aber auch Engagierte aus Vereinen und Schulen sind gekommen. Die Botschaft der Anwesenden: Mehr Zusammenhalt und mehr Bewusstsein für Rassismus sind notwendig. Im Kern, so sagt es auch der Spruch auf dem Plakat, sind wir doch alle Menschen.
Mehr als nur Mitgefühl und Solidarität
Die muslimischen Verbände aus Bremen wollten jedoch mehr als nur Mitgefühl und Solidarität ausdrücken. Der Präsident der Islamischen Föderation Bremen, Ekrem Kömürcü sagte, man sei zutiefst betroffen und erschüttert über die Morde von Hanau. "Wir sind aber auch wütend über die bisherige Verharmlosung von Rassismus in Deutschland", sagte Kömürcü. "Wir fragen uns: Wie viele noch? Und wann werden unsere Appelle gehört?“ Noch immer seien einige Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag nicht umgesetzt. Kömürcü kritisierte Politik und Sicherheitsbehörden bundesweit, bedankte sich aber auch bei der Bremer Polizei. Sie habe die Drohung gegen die Fatih-Moschee sehr ernst genommen.
Dem Vorsitzenden von Schura Bremen, Murat Celik, zufolge ist die Bombendrohung ein „Novum für die Bremer Muslime“. Die größte Moschee Bremens wurde schon mehrmals mit islamfeindlichen Parolen beschmiert. Er habe gerade eine Pressemitteilung über die Drohung formuliert, erzählte Celik, da ereilten ihn die Nachrichten aus Hanau. Erst vor wenigen Wochen habe er einen Hanauer Imam kennengelernt. Das Fastenbrechen auf dem Hanauer Marktplatz sei ein Vorzeigeprojekt. Hanau sei, genau wie Bremen, als weltoffene Stadt bekannt. „Wenn das in Hanau passieren kann, kann das auch in Bremen passieren“, sagte Celik. Ein Bündnis aus Vereinen, Schulen und Jugendeinrichtungen aus Gröpelingen sieht es genauso. Die angegriffenen Hanauer Stadtteile seien Gröpelingen sehr ähnlich, schreiben sie in einer „Gröpelinger Erklärung“. Ihre Mahnung: „Es ist nun an uns, ob wir wegsehen, schweigen“, und weiter: „Es ist nun an uns, aufmerksam, empathisch und solidarisch Netzwerke zu knüpfen.“
„Zu Bremen gehört der Islam ganz selbstverständlich dazu“, betonte Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). „Wir wollen zeigen, dass in Bremen jeder willkommen ist.“ Gegenüber geistigen Brandstiftern solcher Taten sei eine „klare, entschiedene, keinen Zweifel lassende Haltung“ notwendig. Das Klima der Ausgrenzung und des Hasses werde sowohl von Prominenten als auch von vielen Namenlosen im Internet bereitet.
Wenn im Internet, im Sportverein oder am Stammtisch jemand etwas Rassistisches sage, gelte es, dagegenzuhalten, unterstrich Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff (CDU). „Wir müssen aufstehen und sagen: ,Stopp'“, appellierte er. „Wir lassen uns von dieser braunen Soße nicht einschüchtern.“ Einige Menschen schrieben im Internet so hasserfüllt, sagte Imhoff. Als Methode gegen Radikalisierung riet er, anderen zuzuhören. „Es muss nicht immer einer recht haben.“ Er frage sich auch, wie sich Menschen fühlten, die bedroht seien. Ob sie Angst hätten, ob sie sich unerwünscht fühlten oder ob sie darüber nachdachten, Deutschland zu verlassen.
Diese Frage beantworteten jene, die am Freitag zur Fatih-Moschee gekommen waren, unterschiedlich. Viele fühlen sich sicher, andere berichteten von einem „mulmigen Gefühl“ im Bauch. „Damals erkannte man Nazis an Glatze und Springerstiefel, heute sind es auch Lehrer oder Bäcker“, sagte Atsiz Güral aus Delmenhorst. Coskun Safettin aus Gröpelingen hat keine Angst, sagte er. Deutschland sei sein Land, die Türkei ein Urlaubsland. „Wir sind normale Bürger, haben ein Haus gekauft, zahlen Steuern.“ Sein Sohn habe ein Unternehmen gegründet, biete 40 Menschen einen Arbeitsplatz. Murat Celik kritisierte, „dass wir als Fremde angesehen werden, obwohl wir in der dritten, vierten Generation hier leben“.
Eine Runde von Männern diskutierte die Frage, ob sie verunsichert seien, bei schwarzem Tee im Aufenthaltsraum der Moschee. „Natürlich haben wir jetzt Angst“, meinte Sayin Yurdal, 53 Jahre, aus Gröpelingen. Er sieht eine Mitverantwortung einiger Politiker für die hasserfüllte Stimmung. Einige hätten schließlich oft gesagt, Migranten wieder in ihre Heimat schicken zu wollen. Yurdal lebt seit 1982 in Deutschland, war ein „Vulkanese“, wie er stolz sagte. Er kommt aus der Türkei, genau wie Mehmet Akkus, 61 Jahre. Akkus fühlt sich sicher, und ohnehin sei die ganze Welt unsicher. Und wieso hat der Täter von Hanau auch seine Mutter erschossen? Die Männer am Tisch können es sich nicht erklären. Zum Abschied, kurz vor Beginn des Gebets, hob Akkus seine Hand, tippte mit der anderen auf die Finger und sagte: „Fünf.“ Das sei doch bei allen gleich.
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