Rolf Lind schaut sich noch einmal um in der alten Betriebshalle des BSAG-Straßenbahndepots in Gröpelingen, zieht dann den Reißverschluss seiner Jacke etwas höher und steckt die Hände in die Taschen. „Das war ein Stück meines Lebens“, sagt der 69-Jährige. Am Sonnabendvormittag ist es in der Werkshalle leer, kühl und zugig, nur die für den Anlass angerollten historischen Straßenbahnen stehen auf den Schienen, große Teile des Depots sind abgesperrt. Nach seiner Lehre als Kfz-Elektriker bei der BSAG begann Lind seinen Dienst in dieser Halle, mit Unterbrechungen arbeitete er dort bis zum Ruhestand im Jahr 2009. „Vom Pimpf zum Rentner“ sei er auf dem Gelände herangewachsen, sagt Lind, zuletzt war er Betriebsleiter des Depots.
Für Lind und zahlreiche Anwohner, BSAG-Mitarbeiter und Straßenbahnfans hieß es am Sonnabend Abschied nehmen: Das knapp 100 Jahre alte Depot am Drehkreuz zwischen Gröpelingen und Bremen-Nord wird abgerissen. Wo bisher Straßenbahnen der Linien 2, 3, 5 und 10 endeten und täglich knapp 40 Fahrzeuge gewartet wurden, sind ab Montag Bauarbeiter im Einsatz. Das gesamte Areal soll erneuert werden, nicht nur die Werkstatt und die Abstellanlage, sondern auch die gesamte Haltestelle. Der Werkstattbereich wird künftig an der Stapelfeldtstraße angesiedelt, die Straßenbahn- und Busumsteigeanlage wird parallel zur Gröpelinger Heerstraße auf die gesamte Länge des bisherigen Betriebshofs verlegt. Auch das Polizeikommissariat West soll in einem Neubau mit knapp 150 Beamten einziehen. Bis auf das Transformatorenhäuschen wird alles abgerissen, drei Jahre Bauzeit sind geplant. „Das sollten wir schaffen“, sagt BSAG-Vorstandssprecher Hajo Müller. „Wir benötigend diese Anlage dringend.“ Deswegen werde auch „unter rollendem Rad“ gebaut, also bei laufendem Straßenbahnbetrieb.
Ab Montag wird die Werkhalle endgültig leergeräumt, ab Februar beginnen die Abbrucharbeiten. Warum das Depot mit den Spitzgiebeln weichen muss, erklärt Müller: „Sie entspricht nicht mehr den Anforderungen.“ Zwar wurde das Depot in seiner langen Geschichte mehrfach erneuert und umgebaut, nun ist das Gebäude aber zu eng: Die 77 neuen Straßenbahnen, die schon bald im Einsatz sein sollen, sind mit 2,65 Meter genau 35 Zentimeter breiter als ihre Vorgänger.
Müller erhofft sich von dem Projekt eine deutliche Optimierung der Betriebsabläufe, vor allem in der Werkstatt. Denn dem Umbau sei eine intensive Analyse der Betriebsabläufe vorausgegangen, sie sollen in der neuen Werkshalle überholt werden. Dass mit der BSAG-Betriebsstätte auch der gesamte Straßenbahnknotenpunkt erneuert wird, sei ursprünglich nicht geplant gewesen, sagt Müller. Umso mehr freue er sich, dass die Vorhaben nun gemeinsam umgesetzt werden – mit der entsprechenden finanziellen Unterstützung der Stadt. Allein der Abriss und Neubau des Depots kosten mehr als 50 Millionen Euro.
Mehr als Transportmittel
Wie das alles aussehen soll und wie die Bauabschnitte genau geplant sind, davon können sich die Besucher am Sonnabend ein Bild machen: Das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) informiert mit großen Lageplänen über die Neugestaltung des Areals, zahlreiche Anwohner stellen interessiert Fragen. Denn die von der BSAG als Abrissparty angekündigte Veranstaltung steht nicht nur im Zeichen des Abschieds, sondern vor allem des Neuanfangs. „Dieses Projekt wird dem Stadtteil gut tun“, erklärt Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne). „Das ist ein wichtiges Anliegen und gut angelegte Investitionen.“ Sie lobt, dass in dem seit 2016 laufenden Prozess auch die Bürgerinnen und Bürger gut eingebunden wurden, um das Drehkreuz Gröpelingen insgesamt attraktiver zu gestalten. „Straßenbahnen und Busse sind mehr als Transportmittel“, so Schaefer.
Ein bisschen Abschiedsstimmung schwingt trotzdem mit, erklärt die Leiterin des Ortsamts West, Ulrike Pala. „Ich bin seit 20 Jahren hier, das geht mir schon nah.“ Trotzdem sei der Umbau ein wichtiges Projekt, denn gerade der hintere Bereich der Bahnsteige sei aktuell ein Angstraum für viele Menschen, der mit der Kompletterneuerung aufgelöst werden könne. Und: Sie hofft, dass damit auch die Verlängerung der Straßenbahn nach Oslebshausen endlich Wirklichkeit wird. Doch bis es soweit ist, will sie die Abrissfeier deshalb nutzen, um die alte Werkshalle noch einmal auf sich wirken zu lassen und aus allen Winkeln Fotos zu machen.
Auch Gerd Borcherding, zweiter Vorsitzender des Vereins Freunde der Bremer Straßenbahn, ist mit seinen Vereinskollegen am Sonnabend nach Gröpelingen gekommen. Sie haben historische Straßenbahnen der BSAG mitgebracht, um dem Abschied auch den entsprechenden historischen Rahmen zu geben. „Die Halle war prägnant für den Stadtteil“, sagt er. „Zu Straßenbahnen gehören nun mal auch die Hallen dazu, schließlich sind die Wagen rollendes Kapital.“
Gebaut wurde das Gröpelinger Straßenbahndepot im Jahr 1926, zeitgleich mit dem in Sebaldsbrück. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage stark beschädigt, nach dem Wiederaufbau konnte sie 1957 bis 1959 grundlegend modernisiert werden. Borcherding, der dem Verein der Straßenbahnfreunde seit seiner Gründung 1989 angehört, führt zahlreiche Interessierte durch fünf verschiedene Straßenbahnwagen aus dem 20. Jahrhundert. Er sagt, die typischen Spitzgiebel des Depots werden künftig im Stadtteil fehlen.
Doch dass der Umbau nötig ist, da stimmt Borcherding auch mit dem ehemaligen Betriebsleiter Lind überein. Auch wenn er an diesem Vormittag etwas nostalgisch ist, ist für ihn völlig klar: Der Umbau muss sein, um auch einen Raum für die neuen Fahrzeuge geschaffen. „Hier hat sich immer viel verändert, und so geht es nun weiter“, sagt Lind.