Frau Linnert, in der Stadtbibliothek West gibt es seit fast genau einem Jahr einen Bürgerinformationsservice, der es den Menschen vor Ort einfacher machen soll, Kontakt zu den bremischen Behörden zu bekommen. Was hat es mit diesem Angebot auf sich?
Karoline Linnert: Wir wollen unseren Bürgerservice weiter verbessern. Deshalb wollen wir Bibliotheken, die nach dem dänischen Vorbild Treffpunkte sind. Generell geht es um die Frage, wie der Staat gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern auftritt. Der Obrigkeitsstaat mit den Bürgerinnen und Bürgern als Bittsteller war vorgestern. Wir leben in einer modernen Demokratie mit einer bürgerfreundlichen, serviceorientierten und rechtsstaatlichen Verwaltung, in der die Menschen sich wertgeschätzt und aufgehoben fühlen sollen.
Dabei möchten wir alle Menschen erreichen – auch die, die vielleicht nicht unsere Sprache sprechen oder nicht gut lesen und schreiben können. Eine wichtige Rolle beim Bürgerservice spielt die Digitalisierung und die Frage, wie wir die Verwaltung für die kommenden Jahre aufstellen. Wenn wir unverständliche Formulare einfach nur ins Netz stellen, dann ist das nicht der richtige Weg. Wir sind verpflichtet, den Menschen zu helfen, sich auch in der digitalisierten Welt zurechtzufinden.
Digitalisierung ist eine riesige Chance, die aber auch neue Hürden mit sich bringen kann. Die Frage ist also: Wie sorgen wir dafür, dass die Hürden nicht größer werden? Ein erster Schritt in diese Richtung war das Bürgertelefon Bremen. Jeder kann dort unter der Nummer 115 anrufen. Probieren Sie es einmal aus: Sie können dort fragen, was Sie wollen – Sie werden eine Antwort bekommen. Es gibt aber Menschen, für die auch das noch eine Hürde ist. Diese Menschen können sich an den Bürgerinformationsservice wenden.
War dieser Umstand ausschlaggebend dafür, speziell in Gröpelingen solch eine neue Anlaufstelle zu testen?
Gerade in einem Stadtteil wie Gröpelingen sind die Hürden besonders groß. In Gröpelingen gab es außerdem einen Glücksfall, und der heißt Maria Kroustis. Bei einem Stadtteilspaziergang durch Gröpelingen hatte ich zwei besonders interessante Menschen getroffen. Der eine ist ein freiberuflicher Finanzberater, dem viele Gemüsehändler ihre Obstkisten mit Quittungen bringen und der ihnen bei der Steuererklärung hilft. Das fand ich schon sehr spannend. Die zweite Person ist Maria Kroustis, die einen Copyshop hatte.
Sie erzählte, dass zu ihr immer wieder Leute mit verschiedenen Formularen und Behördenbriefen kämen, die sich die Haare rauften. Ihr Copyshop war also auch eine Beratungsstelle. Wir hatten bereits das grobe Konzept für ein solches Verwaltungsangebot, dass Teil des Leistungsspektrums des Bürgertelefons Bremen ist. Mit Maria Kroustis konnten wir diese Stelle mit einer Person besetzen, die man in Gröpelingen kennt und die über ihre frühere Tätigkeit im Stadtteil gut vernetzt ist. Um daneben ein breites Verwaltungswissen zu erhalten, hat Frau Kroustis eine Schulung im Bürgertelefon Bremen erhalten. Wir testen dieses neue Angebot nun ein Jahr lang.
Wie kam dabei die Bibliothek ins Spiel?
Wir wussten: Wir müssen dahin, wo die Menschen sind. Wir wollen dort präsent sein, wo sich viele Menschen aufhalten. Das ist unser Konzept von Bürgernähe. Bremens Bibliotheken haben jährlich mehr als eine Million Besucher – mehr als Werder Bremen – und ungefähr noch einmal so viele über das Netz, weshalb es für uns nahelag, dorthin zu gehen. Die Stadtbibliothek hat sehr positiv auf unsere Anfrage reagiert, da sie ihre Bibliotheken zunehmend als Service- und Begegnungsstätten ausrichten. Die Bibliothek ist heute mehr als ein Ort der klassischen Bücherausleihe. Sie ist Veranstaltungsort, Sprachcafé, Treffpunkt für Jugendliche, die gemeinsam an der Spielekonsole „zocken“ und vieles mehr. Von daher fügt sich unser Beratungsangebot hier hervorragend ein.
Die ersten Erfahrungen sind positiv und die Resonanz ist gut. Gibt es auch Schwierigkeiten?
Ja, die gibt es – und wir wollten ja bei dem Ganzen auch etwas lernen. Wir merken zum Beispiel, dass wir mit dem Projekt viel näher an Sozialarbeit dran sind als gedacht. Denn für manche Menschen ist Maria Kroustis eine Art Kummerkasten mit Behördenzugang geworden. Es gibt außerdem immer wieder Anfragen, die nichts mit den rund 1400 Dienstleistungen der bremischen Behörden zu tun haben, sondern zum Beispiel das Jobcenter oder die Verbraucherzentrale betreffen.
Das müssen wir besser steuern lernen. Wer zuständig ist, ist wichtig, aber die Bürgerinnen und Bürger müssen natürlich nicht auswendig wissen, wer der richtige Ansprechpartner ist. Sie müssen sich an uns wenden können und Hilfe bekommen. Alles andere würde ich nicht bürgernah finden – ein bürgernaher Staat hat hier Verantwortung zu übernehmen und Antworten zu geben. Man könnte zum Beispiel gemeinsam mit anderen Stellen entsprechende Faltblätter entwickeln.
Gibt es schon Pläne für die Zeit nach dem Testbetrieb?
Wir werden das nächste halbe Jahr nutzen, um die gemachten Erfahrungen auszuwerten. Es gibt dazu einen Senatsbeschluss: Wir wollen aus der Auswertung lernen, was wir besser oder anders machen können.
Gröpelingen ist sicherlich nicht der einzige Stadtteil mit Bedarf. Könnten Sie sich vorstellen, ähnliche Angebote später auch anderswo in der Stadt einzurichten?
Durchaus – ich möchte aber jetzt nichts versprechen, was ich nicht sicher halten kann. Ganz wichtig: Die ganze Sache steht und fällt damit, dass wir Menschen finden, denen die Bürgerinnen und Bürger vertrauen und die uns ein Fenster in ihre Welt öffnen. Sie sind als unsere Außenposten gewissermaßen unsere Fühler vor Ort.
Das Gespräch führte Anne Gerling.
Karoline Linnert ist Finanzsenatorin und Bürgermeisterin (Grüne). Sie hat im August 2017 in Gröpelingen den Bürgerinformationsservice auf den Weg gebracht.