Es ist ein Stück Alltag, Bildungsalltag, für Kinder, die zum Teil viel durchgemacht haben: In der Stresemannstraße im alten Telekom-Gebäude können ukrainische Kinder seit Schuljahresbeginn in der zweiten Willkommensschule Bremens wieder zur Schule gehen. Weltpolitik soll hier keine Rolle spielen.
Etwa 90 Kinder im Oberschulalter besuchen derzeit die provisorische Schule in dem ehemaligen Bürogebäude. Die Flure sind recht trist – nüchterner deutscher Bürostil –, in den zu Klassenzimmern umfunktionierten Büroräumen hängen aber schon ein paar bunte Plakate, die ein wenig Farbe in das Bürograu bringen.
Aus dem Ruhestand geholt
Im Schulleiterbüro sitzen Margarethe Cimiotti und Ulrike Deitschun. Sie sind so etwas wie Bildungsveteraninnen im Bremer Südosten. Deitschun war Schulleiterin in Arbergen, Cimiotti an der Grundschule Osterholz. Eigentlich hätten die beiden ihre Pension genießen können, aber für die Willkommensschule in der Stresemannstraße haben sich die beiden Frauen zusammengetan, um die Schule auf Kurs zu bringen.
"Es ist eine riesige Chance, Schule einmal anders zu machen", sagt Deitschun über die Motivation, die Aufgabe Willkommensschule anzunehmen. Der Start allerdings war etwas holprig. "Es war ganz schwierig in der Ferienzeit, weil wir keinen Kontakt hatten und etwas in der Luft hingen." Doch inzwischen hat sich dies gelegt: Zehn Lehrerinnen und Lehrer unterrichten die Kinder, Schulmöbel wurden aus Lagern in die Stresemannstraße gebracht, der Unterricht hat begonnen.
Anderes soll noch nachgeholt werden: WLan und Ipads für den Online-Unterricht sollen noch folgen. Mit den Ipads können die Kinder auch das Online-Angebot der ukrainischen Bildungsbehörde wahrnehmen.
"Wir haben ganz unterschiedliche Lehrer, die ganz unterschiedliche Ansichten haben, wie Schule funktionieren soll. Das sind ganz spannende Prozesse", sagt Deitschun über das Kollegium. Sprachbarrieren gibt es in der Schule kaum. "Wir haben nur drei Kolleginnen, die nicht Russisch oder Ukrainisch sprechen und die sitzen zwischen zwei Kollegen, die es können", erklärt Deitschun. So könne bei Bedarf Übersetzungshilfe geleistet werden.
Alle Lehrerinnen und Lehrern hingegen sprechen Deutsch, so Deitschun. Einen Konflikt, ob auf Russisch oder Ukrainisch unterrichtet wird, wollen die Schulleiterinnen nicht zulassen. "Die Politik bleibt hier außen vor, unser Auftrag ist die Bildung der Kinder und deswegen machen wir bei der Sprache keinen Unterschied."
Unterrichtssprache ist weitgehend Russisch. Nach dem Einfall russischer Truppen in die Ukraine wird in vielen Teilen des Landes ukrainisch als Abgrenzung zu Russland gesprochen. Aber längst nicht alle Ukrainer und ukrainische Kinder sprechen überhaupt Ukrainisch.
Kinder mit seelischem Gepäck
Die Kinder in der Willkommensschule müssen sich nun in einem neuen Bildungssystem zurechtfinden. "Die müssen erst einmal lernen, dass deutsche Schule anders ist", sagt Deitschun. So sei das ukrainische Schulsystem deutlich leistungsorientierter, und auch Inklusion spiele keine Rolle.
Für die Schüler eine Umstellung, die erst nach und nach gelingt. "Ich habe aber das Gefühl, dass wir jetzt in einer Phase sind, wo die Schülerinnen und Schüler ankommen", stellt Cimiotti fest. Die Schüler kämen mehr aus sich heraus, würden lebhafter. "Das ist jetzt eine Phase, wo man hingucken muss, wo größere Päckchen zu tragen sind."
Die Kinder hätten einiges hinter sich, ergänzt Deitschun. "Wir haben dafür eine Sozialarbeiterin, die in beiden Kulturkreisen zu Hause ist." Es gebe ein paar Fälle unter den Schülern, wo sie auf den ersten Blick sehe, dass dort genauer hingeschaut werden müsste.
Das erklärte Ziel der Willkommensschulen: Die ukrainischen Kinder fit machen für den Besuch der regulären weiterführenden Schulen in Bremen. Derzeit liegt der Schwerpunkt auf dem Deutschunterricht, bald sollen Mathematik und Englisch als Unterrichtsfächer folgen.
Wie viele Kinder überhaupt aus der Ukraine in Bremen untergekommen sind, ist nicht genau zu bestimmen. Laut Auskunft der Sozialbehörde sind derzeit etwa 6800 Ukrainer registriert. 1600 davon leben in öffentlichen Einrichtungen.
Für die Schule bedeutet das, auf sich aufmerksam zu machen. "Ganz viele sind privat bei Familien untergekommen, deswegen ist es wichtig, dass wir auch diese erreichen, damit die Kinder möglichst schnell in die Schule kommen", sagt Maike Wiedwald, Sprecherin der Bildungsbehörde.
Dass es überhaupt spezielle Willkommensschulen gibt, erklärt die Sprecherin damit, dass die bereits bestehenden rund 90 Vorklassen in den Schulen schon mit Kindern aus anderen Ländern voll sind. "Wir hätten die Anzahl verdoppeln müssen." Die Willkommensschulen seien daher eine Lösung, möglichst schnell Kinder in das Bildungssystem zu bringen.
Esra Basha, Fachreferentin im Ressort, ergänzt: "Ukrainische Kinder können direkt mit der Schule anfangen, sie sind keine Asylbewerber in dem Sinne und müssen nicht erst registriert sein." Seit Ende der Sommerferien gelte die Schulpflicht auch für ukrainische Kinder.
Ob die Kinder mit ihren Familien wieder in die Ukraine zurückkehren? Cimiotti hat ihre Zweifel: "Es gibt Schüler aus Gebieten, da gibt es nichts mehr, wo man hingehen könnte."