Gerade mal vier, fünf Steckdosen gebe es in der Halle, sagt Arne Saak von der Johanniter-Unfall-Hilfe. Allein für die Kaffeemaschinen hätten Kabel rund um die Halle verlegt werden müssen. Allerdings: Wozu auch mehr als eine Handvoll Steckdosen installieren – in einer Sporthalle? Für Fußball und Turnen braucht es nicht viel Strom. Für 130 Menschen, die dort ihre Tage und Nächte verbringen, allerdings schon – wie der Besuch zeigt in der Heinz-Thiele-Halle in Blockdiek, umgerüstet zu einer Notunterkunft für Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind.
Den Hallenboden hat die Hilfsorganisation mit Teppich bedeckt, an den hochgezogenen Fußballtoren baumeln Luftballons und an der langen Wand neben der Tür stehen Feldbetten und Bänke. Ordentlich sortiert liegen darauf Stapel mit gespendeter Kleidung, Schuhe, weiter hinten Schlafsäcke, Windelpakete, Klopapier. Daneben stehen die orangefarbenen Warmhaltecontainer mit dem Mittagessen vom Cateringservice, Wasser in Tetrapaks, Kaffeekannen.
Notunterkunft, das heißt eigentlich: eine Bleibe für kurze Zeit. 24 Stunden, zwei, vielleicht drei Tage. Bis es weitergeht, in eine Wohnung oder zumindest ein Zimmer. Aber seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine sind so viele Menschen nach Bremen gekommen, dass das nicht klappt. Aktuell geht die Sozialbehörde davon aus, dass sich etwa 5300 Menschen aus der Ukraine in der Stadt Bremen aufhalten und weitere 1500 in Bremerhaven. Die Notunterkünfte seien Einrichtungen mit einem "niedrigen Standard, die wir als Dauerlösung nicht wollen", erklärt Ressortsprecher Bernd Schneider. Den Geflüchteten soll Wohnraum vermittelt und die Plätze in geeigneten Unterkünften sollen ausgebaut werden.

Diese Feldbetten werden gerade nicht gebraucht, stehen aber bereit: Bis zu 130 Menschen haben in der Halle in Blockdiek schon geschlafen.
"Man wünscht den Leuten natürlich eigene vier Wände", sagt auch Arne Saak. Er ist bei der Johanniter-Unfall-Hilfe für die Notunterkünfte in der Stadt Bremen zuständig. Derzeit sind das zwei Sporthallen, neben der in Blockdiek die Columbushalle in Walle. "Hier sind Menschen, die alles verloren haben. Wir geben ihnen so viel wieder, wie wir können."
Das ist: ein Feldbett. Ein Schlafsack. Essen und Getränke. Kleidung, Schuhe, Spielzeug. Steckdosen und Internet. Die Verbindung zum Netz sei das Erste gewesen, das sie eingerichtet hätten, erklärt Saak. Kaum etwas anderes sei hier so wichtig. Auf mehreren Tischen an der Wand liegen Mehrfachstecker, fast alle sind mit Handy-Ladekabeln belegt. Und das, obwohl kaum jemand da ist. 33 Menschen lebten im Moment hier, berichtet Saak, es seien schon einmal 130 gewesen. Das kann sich von heute auf morgen ändern.
Die aktuelle Situation verschafft den Geflüchteten Raum, den sie sonst nicht haben. Bei Vollbelegung füllen die Feldbetten, Reihe um Reihe, die Halle zu einem großen Teil aus. Vor Kurzem war das noch so, Saak zeigt Fotos davon auf seinem Handy. Jetzt stehen kleine Tische und Stühle in der Mitte, Spielzeug liegt drumherum verteilt. Ein paar Kinder spielen dort, zwei Frauen passen auf sie auf. Die Betten haben die Bewohnerinnen an die Hallenwände geschoben und aus unbenutzten Liegen Abgrenzungen gebaut. Privatsphäre? Na ja.

Von Privatsphäre kann in einer Turnhalle kaum die Rede sein. Behelfsmäßig haben sich die Menschen mit umgedrehten Feldbetten Abgrenzungen gebaut.
Draußen, auf einer Holzbank in der Sonne, erzählt Jelena Alexandrova, dass sie schon seit vier Wochen in der Unterkunft lebt – und auf eine eigene Wohnung hofft. Drinnen zeigt sie, wo sie und ihr Sohn Alexander schlafen. Gerade haben sie je zwei Betten zur Verfügung, auf einem liegt ein Schlafsack, auf dem anderen das, was sie mitnehmen konnten. Aus Odessa, der Stadt am Schwarzen Meer, hat der 16-Jährige seine Gitarre nach Deutschland gerettet. Es sei nicht einfach gewesen, das fragile Instrument zu transportieren, erzählt Jelena Alexandrova, aber die Gitarre sei ihm heilig. Später wird er darauf spielen, die Töne verklingen in der großen Halle.
Einen Monat nach Kriegsbeginn in der Ukraine, am 24. März, kamen die beiden nach Bremen, seitdem sind sie in der Notunterkunft in Blockdiek untergebracht. Dort sei es wie in einer großen WG. Leider habe sie noch immer kein Kopfkissen, erzählt Jelena Alexandrova, und das Essen sei am Anfang "wie im Krankenhaus" gewesen. Das sei jetzt aber besser. Wichtig ist ihr, dass ihr Sohn bald wieder zur Schule gehen kann. In der Ukraine sei das nicht mehr möglich gewesen: Selbst der digitale Unterricht sei immer wieder von Sirenen unterbrochen worden.
Neben der provisorischen Wohnstatt von Mutter und Sohn führt eine Tür in einen schmalen Gang. Wäscheständer stehen dort, links liegt ein kleiner Raum mit zwei Waschmaschinen und einem Trockner. Hinten im Flur die Toiletten, je zwei für Frauen und Männer. Zu den Duschen geht es nach oben. Vor dem Hinterausgang sitzt ein Sicherheitsmann, seine Kollegen bewachen die Vordertür. Ist das nötig? "Wir wollen nicht, dass sich fremde Leute Zutritt zum Gelände verschaffen können", sagt Saak und erzählt von den eingeschlagenen Scheiben an einem Auto mit ukrainischem Kennzeichen, das an der Straße geparkt war. Kein Zufall, meint er, sondern gezielter Vandalismus.
Also das Tor besser wieder abschließen, bevor es raus zum Parkplatz geht, auf dem zwei große Toilettenwagen stehen. Es sei nicht leicht gewesen, die zu organisieren, blickt Saak zurück: "Als sich 120 Leute die Toiletten drinnen teilen mussten, ist unsere Reinigungskraft heiß gelaufen." Auch bis die Heizung auf die richtige Temperatur angepasst war und die Menschen das Essen bekamen, das ihnen schmeckte, habe es gedauert. Nun sind diese Dinge geregelt, aber die Hauptaufgabe bleibt: die Menschen weiterzuvermitteln, sie dauerhaft unterzubringen. "Wer am längsten hier ist, kommt am schnellsten wieder raus", erläutert Saak. Bald ist es vielleicht auch für Jelena Alexandrova und ihren Sohn soweit.