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Gehirnforschung an Makaken Der Affe heißt Wum

An der Universität Bremen erforscht der Neurobiologe Andreas Kreiter die Geheimnisse des Gehirns. Er benutzt dafür Makaken. Die Versuche mit den Tieren sind hoch umstritten.
09.01.2020, 17:00 Uhr
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Der Affe heißt Wum
Von Jürgen Hinrichs

Der Affe sitzt fixiert in einem Stuhl und erledigt Aufgaben. Sind seine Reaktionen schnell und richtig, wird er mit Flüssigkeit belohnt. Dann klackt es in der Kammer nebenan, wo die Messgeräte stehen. Ständig dieses Geräusch, klack, klack, klack. Das Tier zählt zu den Besten, es ist 13 Jahre alt und hat die meiste Zeit seines Lebens in Bremen verbracht, in einem Versuchslabor mit großem Gehege. Das Gebäude gehört zur Bremer Universität und liegt etwas abseits hinter einem gesicherten Zaun. 18 Makaken, die dort untergebracht sind und für Experimente benutzt werden. Einer davon hat gerade Dienst. Der Affe heißt Wum.

Die Tiere leiden nicht, versichern die Wissenschaftler um den Neurobiologen Andreas Kreiter. Trotzdem ist die Arbeit mit den Makaken hoch umstritten – grundsätzlich und jetzt noch mehr, seit ein anderes Versuchslabor in die Schlagzeilen geraten ist. Die Bremer Einrichtung hat zwar einen völlig anderen Schwerpunkt und ungleich bessere Haltungsbedingungen als der Skandalbetrieb in der Nähe von Hamburg, wo die Affen großen Qualen ausgeliefert waren. Wer grundsätzlich gegen Tierversuche ist, trifft solche Unterscheidungen aber nicht.

Wum ist gegen Mittag aus dem Gehege geholt worden. Seit gut einer Stunde schaut er immer wieder für einige Sekunden auf einen Bildschirm und behält einen kleinen grauen Punkt im Auge. Links und rechts davon sind Dreiecke, das eine grün, das andere rot. Kippt eines davon, ist der Moment da: Hat der Affe die Veränderung bemerkt, obwohl er woanders hinguckt?

Gefordert sind Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Die Ergebnisse verwenden die Wissenschaftler, um zu klären, welche neuronalen Mechanismen die kognitiven Leistungen erklären. Im Gehirn des Affen wie dem des Menschen, das ähnlich funktioniert. Eine Sisyphusarbeit – kein Organ ist komplizierter und weniger erforscht.

Seit 22 Jahren wird in Bremen an Affen geforscht

Kreiter leitet das Labor. Seit 22 Jahren betreibt er in Bremen Grundlagenforschung. „Wir sind noch nicht an der Schwelle zu einer ersten geschlossenen Theorie der Gehirnfunktion, sehen aber, dass sich erste Teile davon abzeichnen“, sagt der Professor, "erst wenn die Normalfunktion eines gesunden Organs erfasst ist, können die Störungen, die darin auftreten, erfolgversprechend untersucht und verstanden werden.“ Angewandte Forschung, die auf Therapie zielt, käme auf dieser Grundlage erst danach. Im Ergebnis könne zum Beispiel Patienten geholfen werden, die unter Epilepsie leiden, unter Parkinson, Lähmungen oder dem sogenannten Locked-in-Syndrom – einer Krankheit, die den Menschen wach sein lässt und bei Bewusstsein, ihm aber die Möglichkeit nimmt, einen Gesichtsausdruck zu zeigen, sich zu bewegen und zu sprechen.

Finanziert wird die Arbeit der Neurobiologen zum größten Teil von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Der Verein, dem diverse Hochschulen und Forschungseinrichtungen angehören, speist seinen Milliardentopf aus Steuergeldern, die vom Bund und den Ländern bereitgestellt werden. Kreiter muss für seine Forschung immer wieder neu Anträge stellen, zurzeit laufen bei ihm drei DFG-Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Erlaubnis, mit Affen zu experimentieren, erteilt die Bremer Gesundheitsbehörde. Alle drei Jahre gibt es ein neues Genehmigungsverfahren. Die aktuellen Versuche sind bis zum November 2021 begrenzt.

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Doch wie brauchbar sind die Ergebnisse eigentlich, und gibt es Alternativen? Der Affe mag evolutionsbiologisch nah dran sein und über ein ähnliches Sehsystem verfügen, ein Mensch ist er aber nicht. Trotzdem: „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass das, was wir bei den Makaken erforschen, übertragbar ist“, betont Kreiter. An den Affen will er nachvollziehen, wie bestimmte Sinneseindrücke vom Hirn verarbeitet werden. Wie sich Millionen von Nervenzellen koordinieren und synchronisieren und damit Aufmerksamkeit, Wahrnehmung oder Gedächtnisleistungen erzeugen.

Wenn beim Arzt ein EEG gemacht wird, misst es beim Patienten die elektrischen Aktivitäten des Gehirns. „Ein grobe Mustererkennung, mehr nicht“, sagt Kreiter. Er will hinter das Muster blicken, hat aber nicht immer Erfolg damit: „Manchmal dreht einem das Hirn eine lange Nase.“ Alternativen zu den Affenversuchen sieht der Wissenschaftler keine. Wenn es sie gäbe, müsste er mit seinen Experimenten aufhören. So steht es im Gesetz.

Makaken haben eine Fünf-Tage-Woche

Die Makaken kommen vom Primatenzentrum in Göttingen und werden eigens für die Forschung gezüchtet. „Sie sind von Natur aus lernfähig, ausdauernd und geduldig“, sagt Kreiter. Wum nimmt er als Beispiel. Dass der Affe geradeaus blickt, auf den Punkt in der Mitte des Schirms, wurde ihm über viele Monate beigebracht. Irgendwann hat er auch das mit den Dreiecken gelernt und was er tun muss, um an seinen Lohn zu kommen. Merkt Wum, dass eines der beiden Dreiecke kippt, lässt er einen Hebel los, den er in der Hand hält. Sofort fließ durch ein Trinkrohr, das vor dem Maul endet, Flüssigkeit nach.

Der Versuch ist zu Ende, wenn das Tier nach zwei oder drei Stunden keine Lust mehr hat und die Aufgabe nicht mehr erledigt. Dann wird es zurück ins Gehege gebracht. Für Wum ist die Fahrt im Stuhl Routine, er sitzt ganz ruhig und wendet auf dem Flur nur kurz mal den Kopf, als er fremde Menschen bemerkt. Besucher sind selten im Labor und vor dem Gehege.

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Die Affen haben eine Fünf-Tage-Woche. In dieser Zeit decken sie ihren Flüssigkeitsbedarf ausschließlich im Labor und durch die Erfüllung der Verhaltensaufgaben. Im Gehege gibt es dann kein Wasser mehr. Eine Methode zur Konditionierung, die von den Gegnern solcher Versuche scharf kritisiert wird. In ihren Augen machen die Makaken nur deshalb mit, weil sie an diesen Tagen sonst nichts zu trinken bekämen.

Kreiter hält dagegen. Der tägliche Bedarf werde stets gedeckt. Davon unabhängig seien die Tiere in der Lage, Flüssigkeit deutlich länger zu speichern als Menschen. Beispielsweise könnten sie im Freiland in Trockengebieten auf der Suche nach der nächsten Wasserstelle tagelang ohne etwas zu trinken auskommen. Grundsätzlich gelte, so der Professor, dass die Affen bei den Versuchen keinen Durst haben dürften, sonst könnten sie ihre Aufgaben nicht so erledigen, wie es erforderlich sei.

In einem Gutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, das sich mit Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren beschäftigt, kommt im Kapitel über die Makaken eine andere Position zum Ausdruck: „Ständiger Zugang zu Wasser (Selbsttränken) ist unabdingbar.“ Demnach müsste den Affen auch im Gehege jederzeit Flüssigkeit angeboten werden. Ein Widerspruch zur Praxis bei den Tierversuchen in Bremen.

Kreiter entgegnet, dass der Text aus dem Ministerium in keiner Weise den Ansprüchen eines wissenschaftlichen Gutachtens genüge. Er sei lediglich so überschrieben. Die Empfehlungen zielten überdies ausdrücklich nicht auf Versuchstierhaltungen. In Zoos, Tierhandlungen, Zirkussen oder privaten Wohnungen ohne permanente Überwachung sei es das Einfachste und Sicherste, durchgängig Wasser zu geben. Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, dass dies für die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere notwendig wäre.

Elektrophysiologischen Messungen im Gehirn

Bevor die Affen an den Versuchen teilnehmen, werden sie Schritt für Schritt an die Bedingungen herangeführt, was in der Regel länger als ein Jahr dauert. Notwendig ist außerdem eine Operation. Den Tieren wird eine Kappe aus einem medizinischen Kunststoff implantiert, die dem Schädelknochen exakt angepasst ist und durch kleine chirurgische Schrauben gehalten wird. Aus der Kappe ragen kleine zylindrische Messkammern heraus, ein Anblick, der sofort klar macht, dass die spielfreudigen und neugierigen Makaken im Gehege keinen Zoo bewohnen, sondern Versuchstiere sind.

Für die elektrophysiologischen Messungen im Gehirn werden zuvor wenige Millimeter große Löcher in den Schädel gebohrt. Damit ist der Zugang geschaffen. Die haarfeinen Elektroden gelangen durch die Messkammern und Löcher zu der Gruppe von Neuronen, die interessant sind. Ein Vorgang, der für die Affen schmerzfrei ist, versichert Kreiter. Die Tiere sitzen währenddessen in einem Stuhl mit transparenten Plastikwänden drumherum, so wie in der gesamten Zeit, die sie für einen einzelnen Versuch im Labor verbringen. Dabei ist die Kappe auf dem Schädel mit dem Stuhl verbunden. Der Kopf lässt sich nicht mehr bewegen, während Körper, Arme und Beine frei bleiben.

Nach der Arbeit, die aus Sicht von Kreiter und seines Teams eine positive Art von Beschäftigung ist, können die Tiere sich wieder austoben. Im Gehege, das viel Platz und Gelegenheit zum Klettern bietet, werden die Makaken in Gruppen gehalten. Die Pfleger lassen sich etwas einfallen, um sie zu beschäftigen. Kerne auf dem Boden, die geöffnet werden müssen, um sie fressen zu können. Boxen mit Futter, das geschickt herausgeklaubt werden muss. Autoreifen, Bälle, anderes Spielzeug. Ein Netz an der Decke, das als Hängematte dient. Um neue Reize zu schaffen und Monotonie zu vermeiden, wird die Einrichtung immer mal wieder verändert.

Wum ist jetzt wieder bei seiner Horde. Die Affen hocken auf Vorsprüngen oder auf dem Boden, andere tollen herum, fressen Äpfel und Früchte, pulen Erdnüsse aus der Schale. Freie Zeit bis zum nächsten Tag, wenn der Dienst wieder beginnt.

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