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Stadtteil-Check Huchting Straßenbahn kostet Wohlfühl-Punkte

Huchting sei "wunderschön grün", loben die Huchtinger ihren Stadtteil, doch es gibt offenbar einiges, was sie extrem stört. Im Stadtteil-Check haben sie verraten, was ihnen fehlt – und was ihnen zu viel ist.
13.10.2022, 06:00 Uhr
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Von Gerald Weßel
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Sie wissen um die Stärken ihres Stadtteils, doch manch Huchtingerin, manch Huchtinger sieht die Heimat auch in einer Abwärtsspirale. Verkehrsfrust und Sorge um Sauberkeit, Sicherheit und Gesundheit belasten den Stadtteil aus Sicht seiner Einwohner. Solider Einzelhandel, guter ÖPNV und viel gelobte Naherholungsgebiete können über den Verdruss offenbar nicht zur Gänze hinwegtrösten. Alles in allem erreicht Bremens westlichster Stadtteil mit einem Mittelwert von 5,58 einen 16. Rang im Feld der 23 Bremer Wohnquartiere, die bewertet werden konnten.

Gefragt nach der subjektiv empfundenen Lebensqualität vergaben die 344 Personen, die an der Umfrage teilgenommen haben, Punkte, die unter dem Strich einen Durchschnittswert von 6,7, damit mehr als 0,6 Zähler weniger als im Stadt-Mittel (7,32) und Platz 18 in dieser Kategorie bedeuten.

„Der Stadtteil ist abgerutscht“, heißt es in einem der 154 freien Kommentare von Huchtingern zur Umfrage. Etwas konkreter wird es hier: „Von der unsinnigen Straßenbahnverlängerung über fehlende Müllentsorgung, Ärztemangel oder Stau bei der Bildungsplanung, Huchting gilt immer als vernachlässigbar.“ Manch einer, der den Stadtteil bereits seit Jahrzehnten kennt, sieht kaum noch Licht: „Ich wohne über 30 Jahre in meinem Stadtteil. Im Großen und Ganzen haben sich alle Bereiche verschlechtert. Das einzig Positive ist, dass Huchting wunderschön grün ist.“

Und das ist nicht der einzige Lichtpunkt, der das düstere Bild aufhellt: „Es gibt viel Engagement und Zusammenhalt, und der Stadtteil hat ein super Sport- und Freizeitangebot.“ Das zeigen auch die Zahlen: In Sachen Bildung, Kinder, Jugendliche und Familie landet Huchting im Mittelfeld, Ähnliches gilt fürs Vereinsleben.

ÖPNV und Verkehr

Ein echtes Dilemma Huchtings zeigt sich indes bei ÖPNV und Verkehr: Ersterer landet im bremenweiten Vergleich im oberen Mittelfeld, aber beim Verkehr ist man beinahe Schlusslicht. Die Huchtinger wissen offenbar sehr wohl, dass ihre Mobilität dank Bahn zum Roland-Center und dank eines Bus-Ringverkehrs dem eigenen Bekunden zufolge „ordentlich“ ist, doch gleichzeitig sorgen die Bauarbeiten zum Ausbau der Linien 1 und 8 für großen Ärger. „Durchlauferhitzer“, betitelt Beiratssprecher Falko Bries (SPD) den Stadtteil in diesem Punkt. „Die langfristig teilweise katastrophale Verkehrssituation während der Ausbauphase wird noch durch die Dauerbaustelle auf der B 75 verschärft.“ Aussagen wie diese bekommt auch er quasi täglich zu hören.

„Die Koordination der Baustellen muss verbessert werden“, wünscht sich ein Umfrageteilnehmer. „Hier werden mehrere Bauvorhaben gleichzeitig getätigt, das führt teilweise zu chaotischen Verkehrssituationen.“ Deshalb fordert Ortsamtsleiter Christian Schlesselmann: „Wir möchten bei der Absprache der Verkehrsführung mit am Tisch sitzen.

Mit dem Projekt Linie 1 und 8 zeigen sich weite Teile der Huchtinger unversöhnlich: „Es wird eine Bahn finanziert, die niemand möchte“, oder: „Durch die Bahn wird nicht die Infrastruktur verbessert, sondern der Lärm wird größer und die Lebensqualität sinkt.“ Und das sind keine Einzelstimmen. „Die Ablehnung ist weitaus größer als die Zustimmung“, sagt Schlesselmann. Die Gründe dafür sind vielfältig, einer ist zum Beispiel das Fällen zahlreicher Bäume entlang der zukünftigen Strecke. Und bei manch einem besteht die Sorge, dass die Ringbuslinie nach Verlängerung der Linien ins Umland eingestellt wird. Doch hier beruhigt der Ortsamtschef: „Wir haben eine klare Zusage für den Erhalt, eventuell wird jedoch die Taktung verschlechtert.“

Sauberkeit

„Huchting hat ein Müllproblem“, gesteht das Ortsamt unumwunden ein – im stadtweiten Vergleich Platz 21 mit einem Wert von 3,8. Schlechter schneiden in der Umfrage in dieser Kategorie nur Woltmershausen und Gröpelingen ab. Überlaufende Müllbehälter, Säcke direkt daneben, umherwehender Unrat, illegal abgestellter Sperrmüll – die Liste ist lang. Falko Bries plädiert an dieser Stelle für mehr Information, zum Beispiel durch mehrsprachige Mieter in Wohnblöcken. Die könnten gegen eine Mietabsenkung Nachbarn erklären, wie, wo und wann welcher Müll abgeholt wird oder abgegeben werden kann. „Auf diesem Weg ließen sich auch Abholtage für Sperrmüll je Block koordinieren“, schlägt Bries als ein weiteres Puzzlestück vor, um die Menschen ohne Drohungen in die Verantwortung zu nehmen.

Sicherheit

Auch die Sicherheit wird in vielen Kommentaren als verbesserungswürdig empfunden, jedoch hält Schlesselmann ein 24-Stunden-Polizeirevier, wie es mehrere Umfrageteilnehmer fordern, für wenig hilfreich. Denn wichtig sei die Präsenz auf der Straße. Allerdings wünscht sich der Ortsamtsleiter einen Ort auf der linken Weserseite, um wenigstens eine Anzeige erstatten zu können.

Handel, Gastronomie und Kultur

Einzelhandel wird durchschnittlich, Gastronomie und Kultur etwas schlechter bewertet. „Es fehlen Einzelhandelsangebote in der Fläche, alles konzentriert sich auf das Roland-Center.“ Dies funktioniere als sozialer Treffpunkt mit viel Gastronomie allerdings gut. „Es ist quasi der überdachte große Marktplatz des Ortes“, heißt es in einem Kommentar.

Mehrfach wird der Sodenmattsee als „unterentwickelt“ bezeichnet. „Hier wird Potenzial verschenkt.“ Laut Christian Schlesselmann wird es ab dem kommenden Jahr einen Verkaufskiosk für Pommes und mehr in der Nähe des Badestrandes an der DLRG-Station geben. Bries sieht allgemein in Sachen Stadtteilentwicklung auch Investoren und Eigentümer in der Pflicht: „Es gibt leider Fälle, wo weniger getan wird, als möglich wäre.“

Gesundheitsversorgung

Schlecht schneidet auch die Gesundheitsversorgung ab: Es fehle unter anderem an Frauenärzten, Neurologen und Kinderärzten, heißt es in den Anmerkungen der Umfrageteilnehmer. Die eine Gemeinschafts-Kinderarztpraxis sei oft überfüllt – „kein Wunder bei einem der kinderreichsten Stadtteile“. Dieses Jahr soll sich laut Christian Schlesselmann noch eine Arbeitsgruppe zusammenfinden, um an Lösungsideen zu arbeiten. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung soll nach Impulsen gesucht werden, die mehr Ärzte in den Stadtteil locken.

„Grolland ist anders“

Nur jeder zehnte Einwohner Huchtings lebt in Grolland, doch die es tun wissen, was das bedeutet: „Grolland ist komplett anders“, schreibt jemand im Stadtteil-Check. Allerdings heißt anders nicht schlichtweg besser: „Fast nur Einfamilienhäuser, ruhige Straßen bis auf drei Ausnahmen, aber fast keine Einkaufsmöglichkeiten“, wird abwägend aufgezählt. Als Beispiel für die Versorgungslücke wird ein Bioladen genannt. Die anderen Viertel böten dagegen weitaus bessere Möglichkeiten, nur eben fußläufig schlecht erreichbar von der „Insel“ aus. Die Abbindung an den ÖPNV wird in Grolland nämlich als schlechter empfunden. Doch: „Grolland ist der wohl situiertere Teil, in dem man besser leben kann“, lautete ein Kommentar. Denn Kirchhuchting, Mittelshuchting und Sodenmatt seien einkommensschwächer und durch viele Migranten geprägt. „Eine bessere Durchmischung täte dem Stadtteil sicher gut“, lautete ein Wunsch.

Kritik, Wünsche und Anregungen

Ein Auszug aus den über 2800 eingegangenen Anmerkungen, die die Umfrage-Teilnehmer frei formulieren konnten:

• Zuwanderung, Kriminalität, Geldwäsche - Huchting hat Probleme.

• Huchting wird auch gestützt durch die Interessengemeinschaft Huchtinger Unternehmer, die den Stadtteil auch nach außen hin vertritt und zeigt, dass sein Ruf besser ist als gesagt wird. Ein liebens- und lebenswerter Stadtteil. Dies sollte auch endlich von der Politik anerkannt werden, von dort aus wird der Stadtteil „stiefmütterlich“ behandelt.

• Die Stadtplanung ist ein Schildbürgerstreich. Huchting ist ein kleiner Stadtteil, der nun eine Betonwüste wird. Alles ist zu viel für den kleinen Raum: zu viele Menschen/Häuser/Dreck/Lärm/Aggressionen.

• Huchting ist besser als sein Ruf, da sehr viele Familien mit Kindern hier leben - eben ein Familienstadtteil.

• Der Stadtteil Huchting ist übersichtlich, hat sehr viel Grün und ist lebendig.

• Das Prestigeprojekt Erweiterung Linie 1 und 8 wird entgegen dem Bürgerwillen auf Biegen und Brechen durchgezogen, obwohl der Bus-Ring etabliert und angenommen ist. Weniger Autoverkehr, mehr Fahrradstraßen, höhere Parkgebühren, mehr Straßenreinigung!

• Unerlaubter Müll, Sperrmüll, Straßenrennen; rüpelhaftes Verhalten vieler Radfahrer; keine Polizei präsent. Deutlich mehr Polizei und Ordnungsamt sind nötig. Ab 18 Uhr geht man nicht aus dem Haus - aus Angst vor kriminellen Belästigungen und Ähnlichem.

• Weitere Kinderärzte sind dringend notwendig. So viele Kinder im Stadtteil und nur eine Kinderarztpraxis, das ist katastrophal.

• Es fehlt ein Café in der Nähe vom Sodenmattsee.

• Ich lebe in Grolland, wo es beschaulicher und schöner zu leben ist als in den anderen Vierteln des Stadtteils.

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So haben wir die Werte ermittelt
Insgesamt nahmen an der Umfrage vom 17. August bis zum 18. September 6601 Menschen teil. In die Auswertung flossen die Abstimmungen jener ein, die angegeben haben, direkt in Bremen zu wohnen: Das waren 6275. Von denen waren die meisten, 42,14 Prozent, zwischen 46 und 64 Jahren alt, 33,58 Prozent waren 65 und älter, 16,88 Prozent zwischen 32 und 45, 6,12 Prozent haben ein Alter zwischen 22 und 31 Jahren. 0,8 Prozent aller Befragten waren nicht älter als 21.
In Huchting beteiligten sich 344 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Umfrage.
Auf einer Skala von 1 bis 10 konnten jeweils Noten in 14 Themenbereichen vergeben werden.
Auch Freitext-Antworten waren am Schluss der Umfrage möglich. Das nutzten viele Menschen, um zusätzliche Anmerkungen zu verfassen. Es kamen insgesamt 2801 Kommentare, Meinungen, Anregungen, Wünsche und Kritik zusammen.

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