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Kinder- und Jugendarbeit Stadtteilfarm Huchting: Jobcenter-Entscheidung lässt Zukunft ungewiss

Die Stadtteilfarm Huchting steht vor einer ungewissen Zukunft. Mitarbeiter und Tiere könnten bald getrennte Wege gehen. Was steckt dahinter?
14.03.2024, 05:00 Uhr
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Von Christa Neckermann

Mit traurigem Blick beobachtet Sabine Röhricht auf der Stadtteilfarm Huchting über den Zaun hinweg Schweinchen „Trüffel“, das ganz unbeschwert im Futtertrog nach Leckereien schnüffelt. „Ich werde ihn vermissen“, sagt sie leise. Kollegin Maria Schmarse, die Trüffel ebenso wie alle anderen Tiere auf der Stadtteilfarm ins Herz geschlossen hat, nickt. „Es ist unfair“ sagt sie.

Was die beiden AGH-Kräfte auf der Stadtteilfarm am Sodenmatt-See so bedrückt, hatte am Abend zuvor Sigrun Bösemann vom Leitungsteam der Stadtteilfarm dem Beirat Huchting in einem eilig eingereichten Tagesordnungspunkt vorgetragen: Laut Mitteilung des Jobcenters vom 26. Februar hat das Jobcenter „aktuell keinen Bedarf an AGH mit Einsatz auf der Stadtteilfarm“. Unter AGH-Stellen versteht die Behörde „Arbeitsgelegenheiten“. Ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das Arbeitslose bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen soll. Praktisch bedeutet das Schreiben, dass die dort unter dieser Maßnahme Beschäftigten zum 30. April ihren Arbeitsplatz, und die Stadtteilfarm ihre langjährigen Mitarbeiter, verlieren. Was dann mit den über den Beschäftigungsträger Bras auf der Stadtteilfarm arbeitenden Mitarbeitern geschehen wird, ist noch offen.

Diese Beschäftigungen, die bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt helfen sollen, werden außerhalb des regulären Arbeitsmarkts angeboten und sollen im öffentlichen Interesse liegen. Das Instrument eignet sich besonders für solche Arbeitslose wie Sabine und Maria, die aufgrund körperlicher oder psychischer Einschränkungen wenig bis keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Angebot massiv eingeschränkt

„Die AGH-Maßnahmen auf der Stadtteilfarm bieten Langzeitarbeitslosen in einem geschützten Rahmen einen Einstieg in das Arbeitsleben“, erläuterte Sigrun Bösemann dem Beirat Huchting. Die Farm biete ihnen eine Alltagsstruktur, eine sinnvolle Aufgabe, die den Menschen helfe, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und Ideen für eine berufliche Zukunft zu entwickeln, führte Bösemann weiter aus. Maßnahmen bezeichnen hierbei sämtliche Qualifizierungen, berufliche Weiterbildungen und andere Angebote, die Arbeitslose unterstützen sollen, einen Arbeitsplatz zu bekommen oder zu behalten.

Auf der Stadtteilfarm gibt es derzeit fünf Stellen für Langzeitarbeitslose mit jeweils 20 bis 30 Wochenstunden. Dazu ist eine Stelle mit 20 Stunden als Anleitungsstelle für diese Mitarbeiter genehmigt.

„Damit fällt die Mitarbeit in der Geländepflege und im Handwerk auf der Stadtteilfarm ebenso weg wie die Mitwirkung bei der Versorgung der Farmtiere, im Tiertraining und bei der Pflege des Farmgartens“, machte Sigrun Bösemann den Beiratsmitgliedern deutlich. Auch die Verschönerungsarbeiten auf dem Farmgelände müssten künftig wohl wegfallen, ganz zu schweigen die Unterstützung in der pädagogischen Arbeit, vor allen Dingen mit Kindergarten-Gruppen und Schulklassen.

„Hier habe ich die Bestätigung bekommen, die ich gebraucht habe, um Selbstbewusstsein aufbauen zu können“
Maria Schmarse, Mitarbeiterin

Was das bedeuten würde, weiß besonders Maria Schmarse aus eigener Erfahrung. Sie hat ihre Kindheit und Jugend auf der Stadtteilfarm verbracht, weil sie nur hier ihrem Elternhaus entfliehen konnte. „Hier habe ich die Bestätigung bekommen, die ich gebraucht habe, um Selbstbewusstsein aufbauen zu können“, sagt die junge Frau, die trotz einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Fahrradmechanikerin ihren Weg zurück auf die Farm gefunden hat.

„Es gibt hier im Stadtteil noch viele solcher Kinder wie mich, die hier Ruhe vor ihrer Familie und Zuspruch erfahren“, weiß Maria Schmarse. Für sie wäre es schrecklich, wenn durch den Wegfall der AGH-Maßnahmen die Qualität des pädagogischen Angebotes auf der Stadtteilfarm massiv eingeschränkt würden.

Für Sabine Röhricht ist die Farm vor allen Dingen die Erfüllung ihres Berufswunsches, in der Landschaftsgärtnerei und der Tierpflege tätig zu sein. Aufgrund ihrer Einschränkungen im Sehvermögen wäre es ihr nicht möglich, anderswo in diesen Bereichen tätig zu sein. „Ich darf keinen Führerschein machen, und das ist bei solchen Betrieben erforderlich“, erklärt Sabine Röhricht trocken. Nach zwei erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildungen und kurzer Tätigkeit in den jeweiligen Berufen, bei denen sie jedoch Probleme mit den Mitarbeitern hatte, ist sie vor 14 Jahren zur Stadtteilfarm gekommen.

Appell blieb nicht ungehört

Anstelle der AGH-Maßnahmen plant das Jobcenter, zukünftig verstärkt Qualifizierungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose anzubieten, sagt Sigrun Bösemann. „Aus unserer jahrzehntelangen Erfahrung als Einsatzstelle für Personen in unterschiedlichen Maßnahmen des Jobcenters wissen wir aber: Qualifizierung ist sinnvoll und notwendig – aber nicht für jede Person das Richtige!“

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Der dringende Appell der Stadtteilfarm blieb im Beirat Huchting nicht ungehört. Etliche Beiräte haben oder hatten selbst Kinder, die regelmäßig auf der Stadtteilfarm unterwegs sind. „Wir schätzen die Arbeit der Stadtteilfarm Huchting für den Stadtteil sehr“, sagt auch Ortsamtsleiter Christian Schlesselmann.

Qualifizierung ist sinnvoll und notwendig – aber nicht für jede Person das Richtige!
Sigrun Bösemann, Leitungsteam der Stadtteilfarm

Der Beirat Huchting will nun mit einer offiziellen Beschwere unter anderem an die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration gegen die geplante Streichung der AGH-Maßnahmen an der Stadtteilfarm protestieren und die zuständigen Behörden nach dem Hintergrund der geplanten Streichungen fragen. Diese Beschwerde soll noch vor Ostern eingereicht werden.

Außerdem wünscht sich der Beirat Huchting Aufklärung darüber, ob auch andere Einrichtungen in der Stadt Bremen betroffen sind und falls ja, welche. Weiterhin wird der Beirat in seinem Schreiben an die Behörden darauf hinweisen, dass die Leistungen und die Funktion der Stadtteilfarm als außerschulischer Lernort bis heute nicht ausreichend gewürdigt, und demzufolge auch nicht ausreichend mit Finanzmitteln versorgt ist. Für den 8. April wurde zudem zur Situation der Farm eine Sondersitzung anberaumt.

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