Eines vorweg, Fritz Rößler ist das wichtig, er schaut sehr konzentriert und betont seine Worte: „Dieser Platz ist schön, gar keine Frage, er ist nach dem Marktplatz der zweitschönste in der Stadt.“ Bei allen Klagen also, bei allem Verdruss – auf die Fläche vor dem Bremer Hauptbahnhof lässt Rößler nichts kommen. Im Grundsatz, sagt der Hotelbesitzer, ist sie ein Pfund und hat Potenzial. Im Grundsatz, doch was hilft das, wenn die Realität eine andere ist? „Die Drogen haben alles kaputtgemacht“, sagt Rößler. Vor sechs, sieben Jahren habe das angefangen, sei richtig schlimm geworden und laufe nun vollends aus dem Ruder. Die Drogen und der Alkohol. „Kein Bahnhof ist clean, das kann gar nicht sein, aber das hier sprengt jeden Rahmen.“
Mehr als 130 Jahre alt
Dieser Blick. Er geht weiter rüber bis zur Stadthalle, streift den neuen und prächtig gelungenen Hotelbau am späteren ZOB, bleibt am Überseemuseum hängen, zur anderen Seite am alten Postamt und dem Gewerkschaftshaus. Zentral ist aber der Bahnhof, in jeder Hinsicht. Er ist mehr als 130 Jahre alt und im Stil der Neorenaissance errichtet. Ein Gebäude mit besonderer Prägung, wie es nur wenige Städte in Deutschland als Hauptportal für die Reisenden besitzen. An der reich verzierten Fassade fallen Symbole für Schifffahrt und Eisenbahn auf. Die beiden Türmchen sind mit den Wappen von Hamburg, Bremen, Köln und Hannover versehen, Ausdruck der schienengetragenen Verbundenheit.
Das alles kann von hier oben studiert werden, aus dem achten Stockwerk im „Hotel zur Post“. Fritz Rößler hat für die Aussicht auf seinen Balkon eingeladen, er wohnt in dem Haus, das ihm gehört und als Vier-Sterne-Herberge seit zwölf Jahren an die Best-Western-Kette verpachtet ist. Das ursprüngliche Gebäude wurde im Krieg zerstört, es war genauso alt wie der Bremer „Centralbahnhof“, wie er früher genannt wurde und ähnlich alt wie das Überseemuseum. Doch das ist Geschichte, lange her.
Rößler ist mehr ein Mann der Gegenwart, ein rühriger Typ, der es schlecht ertragen kann, wie sehr die Gegend rund um den Bahnhof heruntergekommen ist und deshalb vor zweieinhalb Jahren die Initiative ergriffen hat. Er gründete einen Verein und gab ihm den Namen „Attraktiver Bremer Bahnhof“. Dem Negativen etwas Positives entgegensetzen. Räume zurückerobern. „Das ist das Ziel“, erklärt der 74-Jährige. Sein Verein hat dafür im vergangenen Winter das Spiegelzelt-Theater engagiert. Mit Erfolg: In den acht Wochen kamen knapp 7500 Zuschauer, die 38 Vorstellungen waren so gut wie ausgebucht. Ab November soll das Zelt wieder auf dem Platz der Deutschen Einheit vor dem Übersee-Museum stehen. „Wir wollen das Spiegelzelt in Bremen etablieren und vielleicht auch einen Beitrag leisten, dass sich das Image des Hauptbahnhofs wieder verbessert“, sagt das Theaterteam.
Der Platz ist eine Rasenfläche, umgeben von Steinquadern und Bänken, auf denen es sich Touristen bequem machen, um die Pause bis zur Zugabfahrt zu überbrücken. Sie haben Koffer und Rucksäcke dabei, packen Proviant aus, essen und schwatzen, ein schönes Bild. Viele der Sitzgelegenheiten werden allerdings von einem anderen Publikum okkupiert. Und das ist das Problem. Die Menschen mit den Bier- und Schnapsflaschen in der Hand halten Gelage ab. Sie sind mal friedlich, mal aggressiv: „Ich habe schon viele Schlägereien erlebt“, berichtet Rößler, „die können mit dem Alkohol nicht umgehen.“
Platzverweise erteilen, wie es die Polizei kürzlich an einem Abend im großen Stil getan hat, sind für den Vereinsvorsitzenden nur die eine Möglichkeit und nicht unbedingt die nachhaltigste, weil solche Kontrollen mangels Personal nicht so engmaschig sind, wie sie sein müssten, um Wirkung zu erzielen. Außerdem gibt es für solche Aktionen enge rechtliche Grenzen. Rößler geht mit seinen rund 40 Mitstreitern, die alle zu den Anrainern des Bahnhofs gehören, einen anderen Weg: Sie wollen Platzhirsch sein – mit dem Spiegelzelt im Winter und einigen anderen Veranstaltungen, die ebenfalls für einen längeren Zeitraum geplant sind: „Irish Summer, Beachvolleyball, Alpenmarkt, Keramikmarkt, gerne auch Ableger vom Freimarkt und der Osterwiese“, zählt Rößler auf.
Subtile Art des Platzverweises
Beim Spiegelzelt-Theater sei die Rechnung aufgegangen. Der Platz der deutschen Einheit sei auf einmal ganz anders bevölkert worden. Die Alkoholiker-Szene habe sich gestört gefühlt und das Weite gesucht. So sei das immer – setze man diesen Menschen etwas entgegen, nehme ihnen ihre Dominanz, wählten sie einen anderen Ort, die nahe gelegenen Wallanlagen am Contrescarpe-Center zum Beispiel. „Damit ist das Problem nicht gelöst“, gibt Rößler zu, „aber es nicht mehr unmittelbar unseres und entspannt die Situation.“ Die Verdrängung geschieht unterschwellig, eine subtile Art des Platzverweises.
„Glauben Sie mir, ich bin ein sehr sozialer Mensch, mir tun die Leute leid, die an Drogen- oder Alkoholsucht erkrankt sind“, versichert Rößler. Er ist dafür, die Drogen zu legalisieren, „damit würde die Beschaffungskriminalität wegfallen“. Alkohol sollte am Bahnhof verboten werden. Eine Forderung, die auch Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erhebt. Das Beispiel dafür ist der Hauptbahnhof in München. Seit drei Jahren ist dort auf den Außenflächen und in den umliegenden Straßen ganztägig untersagt, Alkohol zu trinken. Ziel sei ein besseres Sicherheitsgefühl für Anwohner, Reisende und Geschäftsleute, erklärt die Münchener Stadtverwaltung. Rößler will solche Taten sehen, unbedingt, es ist ihm eilig damit: „Wir müssen kapieren, welcher Schaden für die Allgemeinheit durch die Zustände am Bahnhof angerichtet wird.“